Dienstag, 19. Mai 2020

Ausgehungert

Liebe Lavendel,

wenn du wüsstest, wie gerne ich heute gekaut hätte, egal was, aber man gab mir nix. Da lädt mich eine Kollegin zusammen mit einer anderen Kollegin zu sich auf die Terasse ein, um 14 Uhr. Sie will ihren fast neuen Hund vorführen, naja, ein Jahr alt ist er schon, aber bisher haben wir ihn noch nicht ausführlich gesehen. Geplant: Gassi gehen durch die Rehberge und dann Terasse. 

Hab mich echt gefreut, weil ich mich über jedes Treffen mit lebenden Menschen freue. Komme also an und wir wandern zwei Stunden über Stock und Stein, durch tiefen Wald und am Ende des Halbmarathons erwähnt sie nebenbei, dass sie seit sieben Tage fastet und die 10 Tage voll machen will.

Eine Welt zerbrach - denn wenn ich eins gelernt habe: Frauen übertragen ihre jeweiligen Essgewohnheiten stets auf ihren Einzugsbereich. 
  • Frauen, die Paleo ausprobieren, sind meistens von Hause aus hauchdünn und daran gewöhnt, sich eine Blumenwiese und ab und an mal ein Ei einzuverleiben
  • Frauen, die gerne Sahnetorte essen, servieren in der Regel auch Sahnetorte
  • Fauen, die nach weight watchers leben, zählen immer laut Punkte - tolle Aufläufe sind dennoch nicht ausgeschlossen
  • Frauen, die noch den zweiten Weltkrieg erlebt haben, tischen stets für eine Kompanie auf und sollte sich am Horizont abzeichnen, dass sich ein Kind oder Kindeskind der eigenen Brut auf den Weg machen, wird halb Rewe leergekauft, auf dass niemand verhungere
  • Frauen, die gut verdienen und gerne essen, kredenzen sündhaft teuren Käse und Prosciutto, direkt bei einem Italiener gekauft; das Brot dazu von der Hofpfisterei
  • Frauen, die fasten, gehen davon aus, dass andere Menschen auch nichts essen müssen wollen oder es ist ihnen egal, ob ihre Gäste hungern oder es ist ihnen nicht egal, in jedem Fall ein Ausdruck von passiver Aggressivität
Schickt man mich zwei Stunden durch die Rehberge, habe ich ein Hüngerchen. Ich bekam zwei Latte Macchiatto, den zweiten aber erst nach Aufforderung.

Auch so eine Unart: gab's früher eine Kanne Kaffee auf dem Tisch und jeder nahm sich nach, wird man von den heutigen Besitzern laut tösender Kaffeemaschinen auf dem Trockenen gelassen. Eine Tasse, mehr gibt's nicht. 

Wir saßen noch bis 19 Uhr auf der Terasse. Gegen 17 Uhr erbot sie sich, Kräuterquark im Thermo-Mix anzufertigen, dazu gab's Grissini. Ich war heilfroh, dass überhaupt etwas angeboten wurde. Sie entschwand in ihre Küche und kam nach ein paar Minuten zurück mit einer winzig kleinen Schüssel Quark. So eine kleine Schüssel, in der ich meine Teebeutel entsorge, so eine winzigekleine, vastehste? Wo mit Müh und Not eine Apfelhälfte hineingepasst hätte. Ich weiß nicht, weshalb man deshalb einen Thermodings anwerfen muss, aber mir ist das Prinzip dieses überdimensionierten Stehrumchens ohnehin ein Rätsel.

Jetzt bin ich wieder daheim, aber mein Magen hat sich bereits derart verkleinert, dass ich praktisch meinen ersten halben Tag gefastet habe. Ich muss jetzt mit Aufbaukost ganz langsam wieder anfangen.

Deine Annika



12 Kommentare:

  1. Wunderbare Beschreibung, ich lache laut, so was von zutreffend! Und wenn eine Frau vegan isst, weiß es auch die ganze Umgebung. Diese endlosen Belehrungen zu jeder Form der Ernährung. Essen sollte schmecken, Geschmäcker sind verschieden, Gastfreundschaft war mal.

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    1. Och, Gastfreundschaft ist schon noch, aber - wie immer schon - nicht überall :-)

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  2. Die wichtigste Regel lautet:
    Frauen, die ein Thermo*Miks-Gerät ihr eigen nennen, können a) nicht kochen und b) wissen gutes Essen nicht zu schätzen!
    Und noch die Kaffeegrundregel: draußen nur Kännchen, sonst rennste dir ständig die Kuchenkalorien wieder ab, und das will doch keine.

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    1. Kann man das so sagen? Der Kräuterquark war eine Wucht. Nur hätte ich ihn selbst rasch angerührt.

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    2. War nur ein bisschen zu wenig, oder? Doppelte Menge hätte es gebracht.

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  3. Eigentlich wollte ich auch was dazu schreiben, aber die Kommentare von quercus und dorothea.regina haben mich so verschreckt, dass ich lieber mein Mauseloch aufsuche...und Menschen belehre (obwohl doch, wenn ich jemals jemandem auf Nachfrage gesagt habe, was ich nicht esse, bekam ICH immer ungefragt Erklärungen und Entschuldigungen und Rechtfertigungen meines Gegenübers ab, die ich gar nicht wissen wollte...nungut. einigen wir uns darauf, dass es sowohl die nervigen Veganer als auch nervige Allesfresser gibt...
    Und zum anderen, ich bin sicher keine Meisterköchin, aber ich habe gerne Besuch und die mögen a) mein Essen und b) auch das aus der Maschine und ich würde behaupten, ich weiss gutes Essen sehr zu schätzen. Aber wahrscheinlich hab ich einfach von allem keine Ahnung...

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    1. Liebste Hedi, ich bezeuge hiermit: du bist ein leuchtendes Beispiel für entspannten Veganismus. Das flutschte doch damals nur so, gell?

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  4. Äußerst amüsanter Text, mit Vergnügen gelesen :)

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  5. Und danke für's verlinken auf deiner Blogroll

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