Donnerstag, 29. Oktober 2020

The show is going on and on and on and...

Liebste Annika,

zwei Jahre? Ist das Dein Ernst? Zwei Jahre? Bis dahin bin ich entweder verhungert oder in den Tod gestürzt! Gut, das klingt jetzt dramatischer als ich das eigentlich wollte. Lass es mich erklären. 

Verhungert, weil Liebeskummer mich wirklich schlank macht. In den vergangenen Wochen hat sich meine Kleidergröße stetig bewegt. Und als ich mir, nachdem ich zwecks meines Morticiadaseinsplans eine schwarze Bluse in 42 bestellte und mich dabei extrem mutig fand, gleich noch eine in 40 bestellen und die 42 zurückschicken musste, wurde mir klar, ich bin aus der Größe L herausgeschrumpft. Die 40 passte auch nicht. Aber ich hatte erst einmal keine Lust auf weitere Versuche, eine schwarze Bluse zu bekommen. Denn ich hatte andere Notwendigkeiten zu bewältigen.

In einem Anfall von Traurigkeit füllte ich nämlich kürzlich die Waschmaschine. Meine tränenumflorten Augen schauten in die Vergangenheit (natürlich angefüllt mit unfassbar viel Glück- verlogenes Miststück, die Vergangenheit) oder wahlweise in die Zukunft (angefüllt mit unfassbar viel Unglück und Verlassenheit- noch so ein Lügenbold) und nicht auf den gottverdammten Wäschekorb. Ich stopfte alles in die Maschine, 40 Grad Buntwäsche. Und als ich später die Wäsche aufhängte, traf mich fast der Schlag. Meine wunderbare schwarze Wolljacke, echte Wolle, kein Polyester, kein Acryl, Haare vom Schaf, gesponnen und gestrickt, kam als kleiner, harter Kittel aus der Trommel. Ich erlitt einen veritablen Zusammenbruch auf dem Betonboden der Waschküche. 

Und darum musste ich mir, statt einer Bluse, eine neue schwarze Jacke besorgen. 

Die passte einigermaßen in 40. Kurz darauf fand ich eine attraktive Bluse. Sie passt in 38. Gut, sie spackt ein bisschen unter dem Arm. Aber ich habe ja jetzt die Gewissheit, in den nächsten 20 Monaten tut sich noch was, bevor ich wieder dick und glücklich werde. 

Und in den Tod stürzen werde ich nur, wenn ich nächstes Jahr wieder die Regenrinne eigenhändig reinigen werde. Das hat mir übrigens einen hübschen Muskelkater verursacht, weil ich mich heftig am Dach festhalten wollte. Zwischenzeitlich rief ich den mittleren Sohn zur Hilfe, der sich erst einmal bog vor Lachen, als ich auf der Dachkante des Anbaus saß und ihn fragte, ob er die Nummer der Feuerwehr auswendig wüsste. Nur für den Fall. Welchen Fall, wollte er wissen. Den Fall, dass ich nicht mehr allein herunterkomme, vom Dach. Er nahm dann den Eimer mit Regenrinnenschmand entgegen und hielt die Leiter ruhig, so kletterte ich, grazil wie ein kleines Äffchen, wieder herunter, nur um mich sogleich den Regenrinnen am vorderen Teil des Hauses zu nähern. Da einige Spaziergänger am Haus vorbeikamen, tat ich extrem lässig. Unter Zuhilfenahme eines alten Hockeyschlägers entleerte ich die Rinne bis ganz ins Eck. Und die Rinnen der Nachbarin gleich mit. Das bot sich an, sonst wäre ihr Schmodder beim nächsten Regen gleich wieder zu mir herüber geschwappt. Jetzt habe ich den Titel "Beste Nachbarin". Das freut mich. 

Als ich meiner Therapeutin davon berichtete, dass ich sehr wohl allein leben und alles selber machen könnte und darum auch aufs Dach steigen und drei Jahre angesammelten Dreck aus der Regenrinne holen könnte, fragte sie mich nach Suizidgedanken (ich springe doch nicht vom Dach! Ich bin doch nicht irre, das ist hoch und man tut sich weh). 

Jetzt soll ich nicht mehr aufs Dach, erst einmal. Aber nächstes Jahr müsste ich. Eigentlich. Vielleicht lasse ich das. Vielleicht warte ich doch 20 Monate, bevor ich solche Dinge wieder wage. 

Übrigens wird Gereon heute Abend ziemlich eine auf den Sack bekommen haben. Wer ist Gereon, fragst Du jetzt. Gereon ist der Typ, der heute Mittag in der Drogerie zwei Packungen Klopapier in den Einkaufswagen gelegt hat. Und seine weibliche Begleitung (ich kann im Augenblick diese Beschreibungen von Beziehungskategorien und deren Fachtermini nicht herausbringen, sonst kommt mir das kleine Portiönchen Abendessen hoch) fuhr ihn an: "Gereon, lass das bitte.". Aber Gereon brummelte: "Man weiß ja nie...!" und sie zischte ihn an: "Leg das sofort zurück, der Keller ist voll.", wobei er sich nicht beirren ließ: "Ich nehm das mit!".

Ich bin sicher, das letzte Wort war da noch nicht gefallen. Und in meinem Kopf breitet sich ein Potpourri an Möglichkeiten aus, wie die beiden ihren Abend gemeinsam verbracht haben werden. Ja, manches garniere ich mit Blut. Viel Blut. Und es ist nicht ihres. 

Ich werde jetzt in meine Kissen sinken, weiter atmen und dabei Knight Rider schauen. Denn zu mehr bin ich intellektuell nicht im Stande. 


Immer die Deine, bei jedem Kummer.

Morticia-Juliette Lavendel

P.S.: Ich habe meine Fingernägel wieder ablackiert. Manches geht einfach nicht, egal wie groß das Unglück ist.

P.P.S.: Ich habe jetzt zwei Tattoos. Wenn das so weitergeht, werde ich sehr bunt sein, in 2 Jahren.

Samstag, 17. Oktober 2020

Morticia - why not?

 Liebes Lavendelchen,

ich schwöre dir, es wird besser. Und zwar in zwei Jahren (ab der endgültigen Trennung - sollte es wirklich darauf hinauslaufen). 

In zwei Jahren wird er morgens nicht mehr der erste und abends nicht mehr der letzte Gedanke sein. Du wirst immer öfter denken, dass es ganz gut ist, wie es so gekommen ist. Womöglich findest du es sogar erstaunlich, dass es überhaupt so lange gehalten hat. Und vielleicht denkst du, dass du dir das nie verzeihen wirst: so lange ausgeharrt zu haben. 

Solltest du Letzeres mal in meiner Gegenwart fallen lassen, werde ich schimpfen, da es weder etwas zu beklagen noch zu verzeihen gibt. Weil jeder Mensch in jeder Situation immer genau von dem das Beste macht, was er für das Beste hält. 

Du kannst noch für den Rest deines Lebens eine nihilistische Morticia Addams werden (die ich übrigens grandios als Role Model finde und Angelica Huston sah spektakulär aus), aber in den ersten 30 Jahren deiner Beziehung warst du eben genau die Mutter, Ehefrau, Hundesitterin und Gärtnerin, die es gebraucht hat und die du im besten Fall ja sogar sein wolltest. Daran ist rein gar nichts falsch. Und vielleicht bleibst du das auch noch für die nächsten 30 Jahre. 

Die Messen sind noch lange nicht gelesen, weil:

  1. Die Brotspinne hat sich einen Sugar-Daddy mit drei Kindern und einer quicklebendigen Ehefrau gesucht. Da wünsche ich viel Spaß und ihren Redebedarf kann ich mir lebhaft vorstellen. 
  2. Hätte er sich eine Frau in seinem Alter gesucht, wäre ich viel beunruhigter; da läge die Gefahr von Liebe in der Luft. In seinem Fall gehe ich von Pfirsichhaut-Anbetung aus. 

Ich finde gut, dass du den Garten umgräbst, neue Schlüpfer kaufst, die Nägel lackierst und die Haare nicht rot färbst (Haselnuss ist ein schöner warmer Ton). Du kannst aber auch einfach ein paar Wochen einfach liegen bleiben und nichts tun, außer heulen. Alles ist erlaubt in diesen Tagen; du gehst vor.

Übrigens: dass der Ruchlose dir erst nach der Kur Geständnisse macht, finde ich fast das Schlimmste. Wie gut hättest du jetzt eine sechswöchige Auszeit gebrauchen können!

Froh bin ich, dass das saufen auch für dich nix ist. Schwester im Geiste: auch ich war nur einmal besoffen, mit 16, auf der Klassenfahrt nach Amberg. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte saufen; will sagen: mein Kreislauf würde das vertragen. Aber dann hätte der Suff mich schon dahingerafft, das weiß ich. Sämtliche Eierlikörvorräte in Deutschland hätte ich verputzt. Aber das ist ein anderes Thema.

Und nun: welche ist wohl attraktiver? Hm?

 Psychology of Inspirational Women: Morticia Addams | The Mary Sue RUNNER'S WORLD

Halte durch. Atme einfach weiter. 

Deine Annika

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Heartbreak Hotel

 Liebste Annika, 

Wie gut mir Deine Worte taten. Es ist so schön, wenn es jemand für mich übernimmt, die beiden Liebeskummerproduzenten ein bisschen zu schmähen. Weil ich das nicht so gut hinbekomme, im Moment. Einfach zu traurig, weißt Du? Betreutes Weinen wäre gar nicht mal so verkehrt. Im Moment kämpfe ich noch. 

Ich weiß zwar nicht so genau, um was ich hier kämpfe, aber ich kämpfe. Seit gestern führe ich sogar meine Fingernägel in die Schlacht. Lackiert in tiefdunklem rotviolett. Eigentlich wollte ich schwarzen Lack nehmen, die Nägel abkauen wie in meiner Kindheit und dann mit ruinierten, abgestoßenen, abgeknabberten schurreschwarzen Nägeln auf mein Elend aufmerksam machen. Aber der tiefdunkel rotviolettfarbene Lack sieht einfach unerhört fesch aus, vor allem, wenn die Nägel etwas länger sind, weswegen ich sie jetzt zum ersten Mal nach der langen Nägelkurzzeit (Mutti hat die Nägel kurz wegen praktisch) wachsen lasse. Damit wirkt meine Hand sehr elegant. 

Und ich sage Dir, eine Kippe würde mich sehr kleiden. Aber schon der Geruch hindert mich daran, mir eine anzuzünden. Manchmal zieht nämlich vom gegenüber liegenden Balkon eine Rauchwolke in meine Kemenate und das ekelt mich. Auf jenem Balkon wird gern geraucht. Der Mann aus der Wohnung im ersten Stock raucht zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Balkon herum. Bis vor wenigen Wochen leistete ihm dabei seine Frau Gesellschaft. Die ist weg. Und die Klatsch- und Tratschkette förderte zutage, dass sie ihn verlassen hat, weil er zuviel Alkohol und andere Substanzen, unter anderem auch Rauchwaren, konsumierte, was seine Zeugungsfähigkeit auf 10 % Spermienaktivität hinunterschraubte, weshalb er der Holden kein Kind machen konnte, was sie ihm in ihrem ausgeprägten Kinderwunsch sehr übel nahm. 

Ja, andere Leute haben es auch nicht leicht. Und so schaue ich aus meinem Fenster auf seinen Balkon hinunter und fühle mit, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt bin, mich zu schlecht zu fühlen, um noch mit irgendwem anders mitfühlen zu können. 

Und mein Haar bleibt dran. Aber ich lasse mir mal zeigen, was ich mit meinem Haar alles anstellen kann. Kurz war ich versucht, es rot zu färben. Nur erinnerte ich mich an meine Mutter, die in den Fuffzigern auch das Haar rot trug und schon war der Plan in der Kanalisation. Dann liebäugelte ich mit schwarz (übrigens alles schon da gewesen, in meinen frühen Zwanzigern), erinnerte mich an die harten Kontraste zu meiner Haut und eigentlich möchte ich zwar nihilistisch aber nicht wie Morticia A. Addams (geborene Frump) aussehen. Darum bleibt mein Haar, wie es ist, dunkelblond oder hellbraun oder köterig, mit aparten grauen und fast weißen Strähnen. Und mehr als schulterlang. Es lässt sich hübsch hochdrapieren, seitlich eindrehen, messiknödeln. Glück hat, wer eine Tochter mit Leidenschaft für Frisurentutorials hat. 

Weißt Du, jeden Morgen werde ich wach und denke, ich kann nicht aufstehen. Ich muss jetzt für immer liegen bleiben und dabei verdursten und verhungern und dann hat das Elend ein Ende. Und dann fällt mir ein, ich muss noch mit dem Hund raus (jetzt habe ich leider Angstanfälle, wenn mir im Wald blonde Hunde begegnen, danke dafür, du beschissener Scheißbeißhund!), ich muss noch zur Arbeit, ich muss noch Sport mit einer 91 Jahre alten Dame machen, die es zutiefst bedauert, wegen Corona nicht mehr Tennis spielen zu können und darum mit mir Gymnastik macht, ich habe keine Zeit, liegen zu bleiben. Dann quäle ich mich aus dem Bett und setze einen Fuß vor den anderen, putze meine Zähne, wurschtel mein Haar zusammen und dann arbeite ich eins nach dem anderen ab. Immer kurz davor, mich wieder hinzulegen. Aber dann doch nicht. 

Und wenn es sehr arg ist, dann werde ich extrem lyrisch, schreibe traurige Gedichte in mein trauriges Notizbuch, das ich im Moment stets bei mir trage, falls ich etwas Trauriges notieren möchte.


Und dieses ganze Geschwurbel der Gefühle, dieses Geschisse des Herzens, diese gottverfluchte, elende Ehe- und Beziehungsscheißkrise hat gestern dazu geführt, dass ich mir drei Gläser Weißwein reingeschüttet habe. Ich. Die nie trinkt. Die ein einziges Mal in ihrem Leben, und zwar mit 16, betrunken war. Drei Gläser Weißwein. Muss ich mehr erklären? Es war eine Erfahrung. Und sie wird sich frühestens in 35 Jahren wiederholen. Da bin ich 86, der Mann, den ich geheiratet hatte, dürfte der statistischen Wahrscheinlichkeit und seines Blutdrucks nach bereits den Löffel abgegeben haben und ich hocke fein im Sessel und gönne mir noch einmal einen Rausch. Dann ist nämlich eh alles wurscht. 

Oder mein Löffel wurde auch schon weitergereicht. 

Auf jeden Fall ist Saufen nicht mein Metier.

Kannst Du mir bitte schwören, dass ich irgendwann nicht mehr so traurig bin? Dass auch aus meinem Hintern irgendwann wieder die Sonne scheint? Schwöre es mir. So, dass ich es glaube. Ich flehe Dich an.

Deine Juliette


Dienstag, 13. Oktober 2020

Lavendel is back

Meine liebe Lavendel,

eine Pandemie reicht dir also nicht? Dir muss auch noch das Ehegesponst übel mitspielen und selbst ein Hundebiss bleibt dir nicht erspart und diesen von einer Rasse, die allgemein als die Mahatma Gandhis unter den Tölen gelten? 

Das ist ein bissel heftig für ein Jahr und da nützt es wenig, dass du jetzt als Juliette-Greco-look-a-like durch den Wald mäanderst. Obwohl das ganz bestimmt traumschön aussieht. Ich hoffe nur, dass du dir nicht deine langen Haare abgesäbelt hast, wie das zwangsläufig bei verlassenen bzw. von Trennung bedrohten bzw. zur Trennung entschlossenen Frauen passiert.

Ach ja, das Leid steht den Frauen meistens sehr gut; jedenfalls wenn eine andere Frau ins Spiel kommt und wenn man der Meinung anhängt, eine abgemagerte Frau sei viel schöner als eine hübsch Gerundete. Aber ich versteh das, einmal noch die Hüftknochen mit eigenen Augen sehen, anstatt sie zu ertasten - das ist schon einen Dujardin wert.

Was ich überaus gütig finde, dass du dem Abspenstigen gestattest, seine Zwangsquarantäne bei dir abzusitzen und dich und eure Leibesfrüchte womöglich auch in Gefahr zu bringen. Soll er doch seine Brotspinne (=jede Frau braucht einen Arbeitstitel) gefährden; zumal die nicht mal in die Risikogruppe gehört, wenn ich dich recht verstanden habe. Paaah, und dann zwei Wochen 24/7 aufeinandergehuckt, da wünscht er sich am Ende nur noch weg, die hat doch bestimmt ganz andere Lebensinhalte.

Aber nun sitzt er also bei dir die schlimme Zeit ab, um hernach frischgestärkt und negativ gestestet zurück ins Land der Abenteuer zu entschwinden? Fürwahr nichts für entzündete Nerven.

Komm nach Berlin. Falls du noch darfst. Fuck the virus. Ich hole den Leihhund und wir latschen gemeinsam durch den Wald. Aufgrund deines existenzialistischen Aussehens werden wir die Kerle mit der Kalaschnikow von dir fernhalten müssen. Ach... was rede ich da nur? Lavendelchen, es ist schlimm und bevor es wieder besser wird, wird es wahrscheinlich noch ein bisschen schlimmer. Du kannst auch einfach kommen und in die Kissen heulen. Betreutes Weinen halt. 

Rauchen? Nimm lieber die Möhrchen. Aber du bist schon groß, Juliette. Mach alles, was du willst. 

Immer deine Annika

 

Samstag, 10. Oktober 2020

Herz kaputt

 Liebe Annika,

es tut mir leid, dass ich abgetaucht war, verschwunden in den Tiefen des Unglücks. Mein Herz wurde und wird gebrochen, im 10 Minuten Rhythmus. Der Mann, mit dem ich seit über 30 Jahren gemeinsam unser Leben verwurste, hat mir einiges gestehen müssen und seitdem bin ich nicht mehr ganz ich selbst. 

Als Therapie habe ich jeden Menge Gartenarbeit erledigt, mir über mein altes Tattoo (Was ist das? Ein Hühnerembryo?) ein Cover stechen lassen und renne täglich wie bekloppt durch den Wald, um meiner Verzweiflung Herr zu werden. 

Am Mittwoch lief ich auch wieder. Mein Hund ist sehr irritiert von meinem Verhalten, das nun schon wochenlang anhält. Nicht einmal in Ruhe durch den Wald trödeln zu können, um hier und da und dort zu schnüffeln, hält sie für eine Zumutung. Aber ich muss mich bewegen und möchte, dass mein elendes kleines Herz sich die 130 Schläge in der Minute verdient und nicht denkt, 130 Schläge in der Minute auf der Couch wären in Ordnung. 

So auch am Mittwoch. Ich lief die ganz große Runde und schnaufte und schwitzte, war aber zufrieden damit und mein Herz auch. Kurz vor Ende der Runde sah ich den Hund, der meinen Hund nicht leiden kann. So eine Hundeblondine mit schlechtem Benehmen. War unterwegs mit ihrem Besitzer. Ich runzelte prophylaktisch die Stirn und erwartete das Gekläffe. Da der Tuppes sie an der Leine hatte, ich die meine ebenfalls, erwartete ich nichts weiter als das Bellen und Knurren und ging zügigen Schrittes weiter. In der Tat sprang die Blonde in die Leine und tat, als würde sie gegen Godzilla antreten wollen. Mein Hund tat es mir gleich, wir gingen schnellen Schrittes weiter und an den zwei Hirselhubern vorbei. Ich wollte schon aufatmen, da nahm das Vieh Anlauf, sprang noch einmal mit aller Kraft in die Leine, der Mann gab etwas nach und schon hatte ich die Bestie am Bein hängen. Ein harter Schmerz durchfuhr mich und ich fing an zu schreien. Ich schlug nach dem Hund, der ließ mich dann auch aus seinen Zähnen, aber ich merkte gleich, das war eine echte Scheißaktion. Unter Tränen schrie ich weiter: "Was hat denn Ihr Scheißhund für ein Problem?" und der Mann sagte leise und verwirrt: "Ich weiß es doch auch nicht. Es tut mir so leid." 

Ich versuchte, mein Hosenbein hochzukrempeln, das war aber nur ein Stück weit möglich, weil ich seit Neuestem wieder meine alten Jeans tragen kann, von vor zehn Jahren, denn durch deutliche Gewichtsreduktion und meinem neu entwickelten Hang zum Nihilsmus, dem Tragen von schwarzer Bekleidung, dem Schreiben von sehr traurigen Gedichten, dem Kauf von Lippenstift und schwarzem Kajal, wobei ich beides eher selten benutze, drücke ich mein Unglück aus. Und sehe sehr gut dabei aus. Sagen die Leute um mich herum. Nachbarn halten auf der Straße, kurbeln ihr Autofenster herunter und rufen: "Haste abgenommen? Steht dir!!".

Egal. Wo war ich? Ah ja. Hundebiss. Die Jeans ließ sich nur bis knapp zum Biss hochzuschieben, um es genauer zu betrachten, hätte ich wohl die Hosen runterlassen müssen. Was kein Problem gewesen wäre, da ich seit Kurzem phantastische Unterwäsche trage. Die alten Baumwollschlüppis liegen traurig und allein ganz hinten in der Wäscheschublade, vorn liegt jetzt einiges, was sich sehr geschmeidig anfühlt, sehr fesch meine Pobacken betont und hin und wieder dazwischen rutscht, aber mir ein Gefühl von... nunja, wie soll ich es beschreiben, vielleicht... Attraktivität und Coolness gibt. Ich hätte also ohne weiteres meine Unterwäsche, meine rasierten Beine, sogar mein getrimmte Bikinizone zeigen können. Aber doch nicht dem Typen. Im Herbst. Bei Nieselregen. Im Wald. Also wirklich. 

Ich winkte ab, sagte, ich würde mich melden und humpelte weinend nach Hause. Dort weinte ich weiter und setzte mich auf die Treppe. Von oben rief, wie so oft in letzter Zeit, meine Tochter: "Du weinst ja, soll ich Dich trösten?" und ich rief: "Ja! Ein Hund hat mich gebissen." und schon kam sie angelaufen. Ich pellte mich aus der Hose und was da zum Vorschein kam, verschlug mir echt die Sprache. Die Bestie hatte mir eine ordentliche Wunde ins Bein gebissen. 

Von dem Weinen und Trösten und den erschrockenen Ausrufen aufgescheucht kam auch der Vater der Tochter in den Flur gestürzt, betrachtete das Gesamtbild mit medizinisch versiertem Blick und befand, ich müsse sofort und umgehend einen Arzt aufsuchen. Seine Zuwendung ließ mich noch ein bisschen mehr weinen und leiden und ich wollte nicht zum Arzt, musste aber zugeben, dass es vermutlich besser war. 

Ich rief in der Hausarztpraxis an. Aber Mittwochnachmittag ist da keiner. Ich zog mir eine meiner schlabberigen Hosen an, die ich bis vor kurzem täglich trug, als ich noch nicht existenzialistisch-nihilistisch unterwegs war, humpelte ins Auto und fuhr mich ins Krankenhaus. Warum ich mich selbst fuhr? Nun. Der Mann befindet sich in staatlich verordneter Quarantäne, weil er auf der Arbeit Kontakt zu einem coronapositiven Menschen hatte. Länger. Und dem in der Nase gepopelt hat. Somit kann er 14 Tage das Haus nicht verlassen, sonst kann das 15.000 Euro kosten und die haben wir nicht. Und die Tochter wollte sich mit ihrem Freund treffen. Sie wollte das absagen, um mich zu fahren. Aber ich wollte lieber allein fahren. 

Im Krankenhaus wurde ich dann erstmal durch die Coronaroutine geschoben, kam aber sehr schnell in einen Behandlungsraum und ehe ich noch "Achja" sagen konnte, steckte mir die Tetanusimpfung im Arm und eine Ärztin am Schenkel, die mir erklärte, Hundebisse seien eine miese Sache, da müsse man aufschneiden und bluten lassen, um die Keime rauszuspülen und alles andere abkratzen, und Betäuben ginge nicht, weil man auf keinen Fall Keime in tieferes Gewebe verbringen wolle. So arbeitete sie sich an meinem Oberschenkel mit dem Skalpell ab, während ich leise Lieder sang, weil ich damit Schmerz am besten ertragen kann, was ich erst kürzlich beim Tattoostechen herausgefunden hatte. Danach gab es noch einen hübschen Betaisodona-Verband und schon durfte ich wieder abhumpeln. 

Seitdem schlucke ich 2x täglich backsteingroße Tabletten, um Bakterien zu vernichten und schaue unter den Verband, ob alles ruhig ist. Was so ist. Keine starke Rötung, kein Eiter. 

Wie es jetzt weitergeht, möchtest Du wissen? Mein Mantra im Moment: "Ich hab doch keine Ahnung." Ich werde die Hundebesitzer nicht anzeigen. Ich habe mich mit der Hundebesitzerin geeinigt, dass wir das untereinander regeln und ich ihr eine Rechnung schreibe. Und beim Mann? "Ich habe doch keine Ahnung." und abwarten. 

Du siehst, mein Leben kann man sich nicht ausdenken. Wirkt irgendwie unglaubwürdig. Aber wenn jetzt noch Corona ins Haus kommt, dann kündige ich. 

Liebste Grüße,

Deine Lavendel

P.S.: Der selbe Hund hat vor 2 Jahren den treulosen Ehemann ins Bein gebissen. War aber nur halb so schlimm. Was sagt uns das? Vielleicht kann der uns nicht leiden, weil wir dem fies riechen. 

P.P.S.: Geht nihilistisch sein auch ohne zu rauchen? Oder muss ich damit wieder anfangen?