Sonntag, 31. Mai 2020

Hart aber unfair

Liebe Lavendel,

da reise ich ein wenig in der Welt umher und indessen kommandiert dir Schwermut dein Befinden. Ach meine Liebe, alles, was du da aufzählst, ist nichts, was einen depressionslos lässt, wenn man sich denn in die Tiefe begibt beim Betrachten dieser Abscheulichkeiten. Von daher kann ich dir nichts tröstliches sagen, denn da gibt es keinen Trost.

Die Schwanzfotos - da denke ich mir immer, das sind verschwiemelte Typen mit Pickeln auf dem Rücken, die noch nie Sex hatten und aller Wahrscheinlichkeit auch nie welchen haben werden, außer den, den sie von tapferen Prostituierten bekommen. By the way: man müsste mal für die klatschen! 

Deiner Tochter würde ich raten, die Schwanzfoto-Absender der Öffentlichkeit preiszugeben. Der Mutter des Schwanzträgers beispielsweise. Man könnte eine Rubrik in Schülerzeitungen (gibt es sowas überhaupt noch?) einrichten "Schwanz der Woche" oder so ähnlich, mit Namen des Besitzers und vielleicht dem Lehrkörper vorschlagen, mal aus aktuellem Anlass referieren zu lassen. Alles tun halt, was den Absender beschämt. Möglichst mit Humor. Der Tochter nur das eigene Entsetzen zu spiegeln, hilft am Ende wenig, dann lieber gute Tipps liefern, um die geistig schwer Verirrten wieder in die Spur zu bringen. 


Minneapolis: klarer Fall, was es auch Gutes mit sich bringt, wenn interessierte Teenager filmen und veröffentlichen. Eine Siebzehnjährige soll das auf YouTube gebracht haben, damit nicht verschleiert werden konnte, was passiert ist.  

Das ändert natürlich nichts an dem, was passiert ist. Es ist unvorstellbar brutal. Ich selbst war mal vor über 20 Jahren Zeugin von so einem Polizeieinsatz; nachts vor unserem Schlafzimmerfenster in Moabit spielte sich das ab. Wir wurden von einem Tumult wach, rissen das Fenster auf und riefen "Lassen Sie den Mann los, wir rufen die Polizei!" - zur Antwort kam "Wir sind die Polizei!". Zivilfahnder hatten einen Mann verfolgt und stellten ihn direkt vor unserem Haus. 

Genau wie in Minneapolis kniete einer der Polizisten auf seinem Hals und der Mann keuchte um Hilfe, bereits mit Handschellen auf dem Rücken - ich werde das nie vergessen, wie dieser Mann röchelte und ich beim Betrachten dieser Szenerie glauben sollte, dass von dem Erstickenden eine Gefahr ausging und der auf ihm Knieende der "Freund und Helfer" sein sollte. 

Ich vermute, dass sich in all diesen Berufen wie Polizisten, Personenschützern, Berufssoldaten, etc. eine ganz bestimmte psychische Disposition gehäuft findet. Narzisstische Allmachtsphantasien gepaart mit Depressionen und Dogen-, Alkohol- und Medikamentenabusus - naja und das alles in bewaffnete Hände gelegt... da kommt oft Scheiße bei raus. 

Mein Tipp an dich: Verdräng' das so schnell wie möglich. Es geht niemandem besser, wenn du darüber verzweifelst. Passiert sowas mal bei dir im Rheinland und du erfährst davon, kannst du sofort Demos organisieren und wegen meiner noch andere Sachen machen, um deine Ernsthaftigkeit zu untermauern, ich komme dann auch und skandiere mit - aber bis dahin: zieh dir keine fremden Kleider an. 

Du kannst eben immer nur dafür sorgen, dass am Ende für dich alles gut wird oder vielleicht noch für den einen oder anderen in deinem direkten Einflussbereich. Alle anderen müssen auf sich selbst aufpassen. 

Liebste Grüße aus der Hauptstadt
Deine Annika

PS: Von meiner Reise erzähle ich morgen.


Donnerstag, 28. Mai 2020

Mutlos Mut machen

Meine liebste Annika,

gerade jetzt bräuchte ich Dich. Aber Du kommst ja wieder. Welch ein tröstlicher Gedanke.
Wo ich so angefüllt bin mit Überlegungen. Die Gedanken auf der leichten Seite drehen sich um so weltbewegende Dinge wie die Frage, ob es eine Lesebrille gibt, die ich unter der Dusche tragen kann, damit ich nicht nach dem Duschen unter schwersten Verrenkungen im Waschbecken die Beine nachrasieren muss, da ich die Hälfte der Haare übersehen habe.

Auch die Überlegung, ob ich meine Tochter dazu zwingen soll, mir zu sagen, welches Arschloch ihr ein Dick-Pic geschickt hat, treibt mich auf der nicht ganz so leichten Seite um. Als ich ihr im Gespräch über „Männerwelten“ sagte, ich habe noch nicht ein einziges Mal so ein lächerliches Männergenital in Fotoform aufs Handy bekommen, schaute sie ganz erstaunt und sagte: „Echt nicht? Also ich hab schon einige.“

Da blieb mir erst einmal die Spucke weg. Meine Frage nach dem WER? wollte sie mir nicht beantworten. Aber wie kann ich sie dazu bringen, mir den Widerling zu nennen, wenn sie es partout nicht will? 
Gut, wir mussten schon auch lachen darüber, dass diejenigen, die solche Bilder verschicken, sich nicht schämen. Denn ein Penis, ich meine, jetzt mal ehrlich, ein Penis wirkt irgendwie albern. Vor allem, wenn er vom Rest des Männerkörpers getrennt daher kommt. Darüber muss ich weiter nachdenken. Nicht über Penisse ohne Rest. Sondern über meine Tochter und Penisfotos und meinen Zorn.

Und Gedanken rasen durch mich hindurch, wenn ich an die Welt als Ganzes denke. Es wächst mir fast über den Kopf, darüber zu denken. 
Ich möchte meine Haare  verzweifelt raufen, leise stöhnen und dabei suche ich in mir nach Hoffnung. Hoffnung für diese Welt.
Mir schien es fast, als gäbe es keine mehr, als ich das Video von dem Mann in Minneapolis sah, auf dessen Nacken so lange ein Polizist hockte, bis ihm das Leben genommen war. Rassismus, Polizeigewalt, dumme Leute, alles in Amerika. Ist das so?

Hanau, Halle, AFD, kehren wir in Deutschland, kehren wir vor unserer Tür. Dafür müssen wir nicht über den Teich. Dafür müssen wir nicht einmal eine Grenze queren. Rassismus, Antisemitismus, Rechtsradikalismus, das können wir selbst. Seien wir dankbar dafür, dass hier nicht Kreti und Pleti eine Knarre bekommen können.

Du siehst, das schöne Wetter schafft es einfach nicht, meine rheinische Frohnatur hochzuspülen. Denn da ruft es in mir nur lauthals KLIMAWANDEL, und ich lege meinen Kopf auf die Tischplatte.

Komm bitte bald wieder und behaupte steif und fest, dass am Ende alles gut wird.
Aber wage es Dich nicht zu behaupten, wenn nicht alles gut ist, ist es auch noch nicht das Ende. Dann schreie ich so laut, dass Du es ohne Telefon bis Berlin hörst.

Ein bisschen Mut gemacht zu bekommen, könnte mir helfen. Vielleicht könntest Du das für mich tun. Und wenn ich wieder mutig bin, dann mache ich Dir auch Mut. Wir könnten uns den Mut hin und her werfen.

Miss you, Deine Lavendel


Mittwoch, 27. Mai 2020

Auf Eis gelegt

Liebe Lavendel,

du musst übernehmen für eine Weile. Ich habe derzeit einen Platz an der Sonne und mannigfaltige gesellschaftliche Verpflichtungen, über die ich nach meiner Rückkehr berichten werde.

Hier nur ein paar Impressionen.

Immer die Deine
Annika













Freitag, 22. Mai 2020

Heiß auf Eis

Liebe Annika,

wer hat denn dann den Regen geschickt, wenn Du mir meinen Wunsch nicht erfüllen wolltest? Es ist nämlich in der Tat so, dass hier herrlichste Regentropfen an mein Dachfenster klopfen. Und der Himmel hängt voll mit grauen und wasserschweren Wolken.
Die Luft ähnelt einer feuchtfröhlichen Regenwaldluft, warm, etwas glibberig, satt und ein bisschen schwer zu atmen. Aber nach der staubigen Trockenheit ist es ein gutes Gefühl, die oberen Atemwege zu befeuchten.

Passend zum Wetter hat sich meine Laune übrigens deutlich gebessert. Das kann auch daran liegen, dass ich heute, bevor der Regen kam, Rasen gemäht, alte Blätter aus Kellerschächten geholt und überflüssiges Grünzeug abgesäbelt habe. Ich habe einmal gelesen, dass Gartenarbeit der Stimmung zuträglich ist. Außerdem werde ich mir, weil ich bei dieser körperlichen Anstrengung einiges an Energie einsetzen musste, gleich die Speicher mit einem feinen Eis auffüllen. Ich habe immerhin noch vierzig Minuten Zeit dazu. Nach 18 Uhr kann ich nämlich nicht mehr. Kein Eis nach 18 Uhr. Andere Leute trinken Alkohol erst nach 16 Uhr. Ich esse Eis nur bis 18 Uhr. Wenn ich es nämlich nach dieser Sperrstunde esse, ereilen mich eine halbe Stunde später Schmerzen aus der Hölle. Dann liege ich kaltschweißig um die Kloschüssel gewickelt und hoffe, dass es vorübergeht.

Das liegt am Alter, oder? Früher konnte ich immer Eis essen. Egal wann. Und Salat auch. Heutzutage muss ich wirklich aufpassen. Je später der Abend um so empfindlicher die Innereien. Allein die Vorstellung, um Mitternacht ein Spiegelei zu essen, oder eine Mitternachtssuppe, lässt mich schwächeln. Das geht nicht mehr. Ich betrachte das als Affront meines Körpers gegen meine Bedürfnisse. Ich kann doch nicht alles früh am Morgen in mich reinschaufeln. Oder doch? Hast Du mir nicht gesagt, es sei in Ordnung, morgens Fischstäbchen mit Remoulade zu essen?

Ich muss jetzt aufhören. Sonst schaffe ich das zeitlich nicht mehr mit meinem Eis. Tut mir leid. Da muss ich Prioritäten setzen und die liegen heute eindeutig beim Gefroren. Und nicht beim Schreiben.

Entschuldige bitte.
Ich muss ans Tiefkühlfach.

Deine Lavendel





Donnerstag, 21. Mai 2020

Ein Wunder!

Liebe Lavendel,

deine Sehnsucht nach Regen bleibt von mir ungeteilt, sorry meine Gutste, da diese Art von Sonne noch nicht mit unerträglicher Hitze einhergeht. Bis auf weiteres wünsche ich mir Regen nur in der Nacht, wegen der Natur.  

Aber dass du deine Missmutigkeit besser bei grudegrauem Himmel ertragen kannst, als bei dieser munter und unbekümmert vor sich hin explodierenden Flora und Fauna (diese Farben!), verstehe ich durchaus. Das Wetter passt nicht zum Ernst der Lage. Das Wetter tut so, als sei nix. Das Wetter war noch nie so gut wie heute, wo kein Schwein vor die Tür darf. Kurz: das Wetter verarscht uns. 

Draußen geht die Post ab, photosynthetisch und drinnen herrscht Antriebslosigkeit.

Gestern erzählte mir eine Kollegin: "Ich habe mir von Anfang an vorgenommen, nicht zu verlottern. Jeden Tag eine Stunden Sport, eine Stunde Wohnung aufräumen/putzen und jeden Tag eine Stunde etwas machen, was ich schon lange machen wollte. Ich habe jetzt alle Fotos in Alben eingeklebt."

Ich bin der Verlotterungstyp. Die St.-Nimmerleins-Prokrastinatorin. Hier stapelt sich so einiges mittlerweile. Selbst während ich das schreibe, prokrastiniere ich: morgen kommt der Maler und ich muss mein Schlafzimmer vollständig ausräumen. Und Freitag fahre ich dann ein paar Tage weg, damit der Maler nicht auf die Idee kommt, ich könnte ihm hie und da helfen. 

Aber jetzt zu den wirklich wichtigen Sachen: ich habe mich gestern auf die Waage gestellt. Seit Monaten habe ich das nicht mehr gemacht. Als zufällige Duplizität der Ereignisse war auch die Batterie der Waage leer und ich hatte keine neue zur Hand. Meine Furcht wurde im Lauf der letzten Wochen immer größer, denn wer abends Flips futtert und morgens um 11 Uhr Fischstäbchen brät, der kann keine Überraschungen auf der Waage erleben. Mit starken inneren Widerständen stellte ich mich auf das Ding. 

Was soll ich sagen? Ich habe kein Gramm zugenommen. Ein Wunder! Wenn ich wüsste, wie mir das gelungen ist, würde ich sofort ein Buch darüber schreiben und stinkreich werden. So kann ich nur Vermutungen anstellen:
  • Esst Flips
  • Esst Fischstäbchen mit Remoulade
  • Esst viele Erdbeeren, aber nur deutsche
  • Schlaft viel
  • Haltet Nickerchen tagsüber
  • Kauft euch öfter mal ein Eis
  • 1-2 Stunden am Tag radeln oder spazieren (gemächlich) 
So behältst du deine Figur. Wenn du willst. 

In diesem Sinne
Deine Annika

Mittwoch, 20. Mai 2020

Zuviel Sonne

Liebe Annika,

hoffentlich bist Du Deinem Schwächeanfall durch Unterernährung mit der Vernichtung Deines Hasenvorrates entgegengetreten und hast Dich von Grissini mit Kräuter-Quark aus dem Thermowmix erholt. 
Ich hatte auch einmal eine Thermowmix-Begegnung der speziellen Art. 
Eigentlich möchte ich das gar nicht gern vertiefen, weil diese Begegnung einige unangenehme Minuten mit heftigen Darmkontraktionen auf dem Klo verursachte und sich in meiner Erinnerung eingegraben hat. Hauptdarsteller war ein Pudding aus dem WMixgerät in Verbindung mit Zuckeraustauschstoffen. 
Lass mich schnell das Thema wechseln.

Ich sehe gerade eine ordentliche Staubschicht auf dem Rand meines Bettes. Und ja, ich liege auf dem Bett. Es ist noch hellichter Tag. Draußen scheint die Sonne. Und ich verweigere mich dieser Sonne. Ich möchte nicht. Ich bin erschöpft. Meine Nacht war nicht erholsam. Und immer nur Sonne, das hält doch keiner aus. 

Ich möchte so gern endlich wieder einmal frustiert und traurig in den Regen schauen, dabei melancholische Gedanken wälzen und nicht denken, hach, die Tomaten brauchen noch Wasser. Und die Kartoffeln. Und die Gurke. Und die Zucchini-Babys. Immer Sonne. Sonne, Sonne, Sonne. Ständig gutes Wetter. Sind wir hier im Sunshine-State oder was? 


Bei Sonne habe ich auch absolut keine Lust, Staub wegzuwischen. Denn dann wischelt man umher und anschließend schaut man den ganzen Fusseln beim Tanz in den Sonnenstrahlen zu. Als Kind fand ich das sensationell, diese wunderbar geschmeidige Eleganz der Staubbewegung. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich begriffen habe, dass diese ganzen Flöckchen beim Einatmen direkt in mir landen. Und dass der Staub auch aus Milbenkacke besteht. Die Folge war eine ein bisschen länger anhaltende Atemhemmung mit Hustenreiz und dem Bedürfnis, im staubfreien Raum zu leben, was aber nicht möglich war. Reinraum im Jugendzimmer, ein Widerspruch in sich. 
Bei graunieseligem Wetter ist Staubwischen kein Problem. Schon allein dafür brauche ich Regen.

Bitte sei so nett und schick mir eine fette Wolke mit Wasser drin. Wenn Du meinst, Du weißt nicht wie das geht, dann kannst Du eine direkte Anfrage an den amerikanischen Präsidenten richten. Dieser fantastische Mensch kann alles, weiß alles und hat alles im Griff. Der kann Dir diesbezüglich sicher helfen. Und wenn es nicht funktioniert, dann war das der Obama schuld.

Ich werde jetzt versuchen, meine Schlaflücke zu füllen, die durch penetrantes Piepen in der vergangenen Nacht entstand. Bei Nachbars ist der Rauchmelder eskaliert und es war keiner da, ihn abzuschalten. Gebrannt hat es nicht. Nur gepiept. Laut. Egal. 

Wenigstens hat sich der Dämon, den ich nach dem Genuss eines Horrorfilms vor meinem Fenster vermutete, weil es genau sein Geflüster aus dem Film war, als rauchender und telefonierender Nachbar auf dem Balkon (nachts um eins, Spacko!) herausgestellt. Nicht der mit dem Rauchmelder.

Vielleicht werde ich demnächst in der Presse auftauchen. Und die Nachbarn auch.
„And the silicon chip in her head gets switched to overload…“

Also bitte, Regen. Oder Beruhigungsdragees. 

Deine leicht zerrüttete Lavendel




Dienstag, 19. Mai 2020

Ausgehungert

Liebe Lavendel,

wenn du wüsstest, wie gerne ich heute gekaut hätte, egal was, aber man gab mir nix. Da lädt mich eine Kollegin zusammen mit einer anderen Kollegin zu sich auf die Terasse ein, um 14 Uhr. Sie will ihren fast neuen Hund vorführen, naja, ein Jahr alt ist er schon, aber bisher haben wir ihn noch nicht ausführlich gesehen. Geplant: Gassi gehen durch die Rehberge und dann Terasse. 

Hab mich echt gefreut, weil ich mich über jedes Treffen mit lebenden Menschen freue. Komme also an und wir wandern zwei Stunden über Stock und Stein, durch tiefen Wald und am Ende des Halbmarathons erwähnt sie nebenbei, dass sie seit sieben Tage fastet und die 10 Tage voll machen will.

Eine Welt zerbrach - denn wenn ich eins gelernt habe: Frauen übertragen ihre jeweiligen Essgewohnheiten stets auf ihren Einzugsbereich. 
  • Frauen, die Paleo ausprobieren, sind meistens von Hause aus hauchdünn und daran gewöhnt, sich eine Blumenwiese und ab und an mal ein Ei einzuverleiben
  • Frauen, die gerne Sahnetorte essen, servieren in der Regel auch Sahnetorte
  • Fauen, die nach weight watchers leben, zählen immer laut Punkte - tolle Aufläufe sind dennoch nicht ausgeschlossen
  • Frauen, die noch den zweiten Weltkrieg erlebt haben, tischen stets für eine Kompanie auf und sollte sich am Horizont abzeichnen, dass sich ein Kind oder Kindeskind der eigenen Brut auf den Weg machen, wird halb Rewe leergekauft, auf dass niemand verhungere
  • Frauen, die gut verdienen und gerne essen, kredenzen sündhaft teuren Käse und Prosciutto, direkt bei einem Italiener gekauft; das Brot dazu von der Hofpfisterei
  • Frauen, die fasten, gehen davon aus, dass andere Menschen auch nichts essen müssen wollen oder es ist ihnen egal, ob ihre Gäste hungern oder es ist ihnen nicht egal, in jedem Fall ein Ausdruck von passiver Aggressivität
Schickt man mich zwei Stunden durch die Rehberge, habe ich ein Hüngerchen. Ich bekam zwei Latte Macchiatto, den zweiten aber erst nach Aufforderung.

Auch so eine Unart: gab's früher eine Kanne Kaffee auf dem Tisch und jeder nahm sich nach, wird man von den heutigen Besitzern laut tösender Kaffeemaschinen auf dem Trockenen gelassen. Eine Tasse, mehr gibt's nicht. 

Wir saßen noch bis 19 Uhr auf der Terasse. Gegen 17 Uhr erbot sie sich, Kräuterquark im Thermo-Mix anzufertigen, dazu gab's Grissini. Ich war heilfroh, dass überhaupt etwas angeboten wurde. Sie entschwand in ihre Küche und kam nach ein paar Minuten zurück mit einer winzig kleinen Schüssel Quark. So eine kleine Schüssel, in der ich meine Teebeutel entsorge, so eine winzigekleine, vastehste? Wo mit Müh und Not eine Apfelhälfte hineingepasst hätte. Ich weiß nicht, weshalb man deshalb einen Thermodings anwerfen muss, aber mir ist das Prinzip dieses überdimensionierten Stehrumchens ohnehin ein Rätsel.

Jetzt bin ich wieder daheim, aber mein Magen hat sich bereits derart verkleinert, dass ich praktisch meinen ersten halben Tag gefastet habe. Ich muss jetzt mit Aufbaukost ganz langsam wieder anfangen.

Deine Annika



Sonntag, 17. Mai 2020

Kau' mal

Liebe Annika,

erst kürzlich habe ich mir neue Schlüpfer gekauft. Und frage mich ernsthaft, was mich da geritten hat. Mit diesen Schlüppis gewinne ich den Unsexiest Woman Alive Award, der dotiert ist mit einer Rolle Baumwollplüsch. Die Schlüppis gehen über die Wampe, ohne sie in Form zu pressen. Die Speckrolle wird nur zart umhüllt. Der Hintern ist komplett bedeckt, damit nichts in die Poporitze rutscht. Und der ganze Stoff, für eine Unterbuxe braucht es vermutlich 2 Quadratmeter, schlabbert um die selbst schon schlabbernden Teile herum.
Möglicherweise kann ich sie aber panieren und braten. Mal überlegen, was der Mann dazu sagen würde.

Ich vermute, er wäre not amused. Er hat nämlich auch gerade hormonellen Umbau. Wie wir alle. Zum Glück dreht er aber an einem anderen Rad als ich. Sonst wäre hier Mord und Totschlag.

Sonst müsste ich mir Deine Bazooka ausleihen.

Wo hast Du die überhaupt her? Ich wollte mir eine eigene holen, bekomme aber nur Angebote für Kaugummi im Internet. Mit dem Bürschlein auf der Verpackung. Bazooka-Joe, den gibt es heute auch nicht mehr am Kiosk. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sich dieses Kaugummi im Mund anfühlte. Erst war es so trocken und bröselig, dann wurde es weicher und man konnte tolle Blasen damit machen. Es knallte so hübsch. Und es klebte auch sehr hübsch. Im Haar vor allem, wenn man abends heimlich im Bett noch ein Bazooka kaute, dabei einschlief und einem das Ding, dem Himmel sei Dank, in Haare statt in die Gurgel rutschte.

Am nächsten Morgen gab es entsprechende Probleme, in der Folge gab es eben keine Kaugummis mehr. Aber ich hatte ja bereits erklärt, was man tun kann, wenn einem die Eltern keinen imperialistischen Kaugummi kaufen wollen und knatschende Menschen verachten.

Wobei sich Kaugummis als sehr gut wirksam gegen Ohrwürmer herausgestellt haben. Wäre es nicht einen Versuch wert, ob Kaugummikauen auch gegen bösartige Veränderungen des Wesens hilft? Quasi als Therapie. Eventuell kann es ja irgendein Kaugummi sein, auch mit Pfefferminzgeschmack. Oder muss es Bazooka sein?

Sollen wir eine Testreihe erarbeiten? Wissenschaftlich ergründen, ob Kaugummikauen präventiv gegen Amokläufe wirkt? (Wie wird gekaut? In welchem Rhythmus? Mit oder ohne musikalische Untermalung? Was wird gekaut? Welche Geschmacksrichtung? Geht auch Knisterkaugummi? Kaugummi am Eis? Wirkt Kauen regulatorisch auf den Hormonhaushalt?)

Meine liebste, frustrierte, bösartige Trulla, jetzt werde ich noch mein wundes Hirn pflegen, das sich nach der gestrigen Kopfschmerzattacke ein wenig wund anfühlt. Auch eine Errungenschaft der Hormonumbauten. Früher, ja früher hatte ich nie Kopfweh. Mein Kopf war einfach nur ein Kopf mit Gedanken drin und Haaren dran. Heute verwandelt er sich mitunter in eine Supernova oder ein schwarzes Loch, je nach Gusto. Und dabei hilft kein Kaugummi. Da muss es ein feiner, weißer Magenverdreher sein.

Außerdem lass Dir sagen: Du bist nicht doof. Du bist besonders. Doof sind die, die einem jetzt wieder beim Einkaufen mit dem Einkaufswagen in Hacken fahren. Das sind keine einsfuffzig, Freunde!

Deine Lavendel


Freitag, 15. Mai 2020

Bösartig durch Corona

Liebe Lavendel,

also, wenn dein Mann keine Fischstäbchen essen möchte, könntest du es mit einem neuen Schlüpfer versuchen. Vielleicht wäre auch schön ein T-Shirt, eine Kaffeetasse und ein Mousepad mit einem ansprechenden Foto von ihm draufgedruckt, drunter steht "Mein Held" und dann weiß er, dass er wenigstens zuhause geliebt und geschätzt wird. Was meinst du?

Wie du meinem Leben eine Wendung geben könntest? 

Ich trau's mich kaum zu sagen: das mach'ich im Moment selbst, aber auf eine ungute Art.. Ich werde nämlich gerade bin schon eine bösartige, frustrierte Trulla. Ja, wirklich. Ich lege mich mit jeder anderen blöden Trulla an und bin so unfassable schlecht gelaunt und reizbar, ich finde mich selbst voll Scheiße.

Seit Wochen auf mich zurückgeworfen wird mir immer klarer, dass ich eine tödlich nervende Klugscheißerin bin. Es gibt nichts, was ich nicht kommentiere und ich werde von Tag zu Tag blasierter. Mittlerweile glaube ich, dass eine höhere Macht Corona erfunden hat, nur damit ich zuhause bleibe und die Menschheit mal eine Weile Ruhe vor mir hat. 

Ich mach doch eine einjährige Fortbildung; alle 4-6 Wochenenden Blockunterricht, der heute, morgen und übermorgen das erste Mal per Zoom stattfindet. Man stelle sich vor: von 9.30 - 18:30 Uhr durchgehend ein Zoom Meeting, 90 Minuten Mittagspause - da ist man doch schon vorher kurz vor dem atomaren Erstschlag. Allein der GE-DAN-KE daran, da will ich doch schon meine Bazooka rausholen und alles niederbrüllen, oder etwa nicht? 

Musst'ich gleich in unsere Whatsapp-Gruppe schreiben, so mit Hohngelächter, vastehste, kommentierte ich das aberwitzige Ansinnen. Antworten mir doch die anderen geduldig und im therapeutischen Ton "Man spürt deine Angst..." und da wusste ich: Die halten mich für plemplem, für übergeschnappt und weiter wurde mir klar: die haben Recht!

Jetzt muss ich natürlich schnell aufhören, so doof zu sein, sonst bin ich nach Corona genauso im lockdown wie jetzt. 

Und jetzt muss ich schnell ins Bett, morgen ist wieder 10 Stunden Zoom-Meeting. Ich kotz im Strahl. Ich freu mich drauf - tirili

Deine Annika

P.S: Nicer Dicer ist affenartig scharf. Ich hab mir gleich mittelschwere Verletzungen an den Fingerkuppen zugezogen, am rechten Daumen so schlimm, dass mein I-Phone meinen Fingerprint nicht mehr akzeptierte. 

PPS: Die Hasen auf deinem Bild, das sind doch Pornohasen! Sieht man gleich. 

PPPS: Wahrscheinlich bin ich aber nur deshalb so schlecht gelaunt, weil ich mich jetzt andauernd in diesen Zoom Kameras sehen muss.


 

Donnerstag, 14. Mai 2020

Hier bitte, eine Hülfe

Liebe Annika,

so ist es. Die verschicken Schokoladentaler und nein, keine Scham. Auch kein Unrechtsbewußtsein. Ich vermute, die finden es im Gegenteil völlig in Ordnung. Ein Zeichen höchster Wertschätzung. Aber Wertschätzung am Arsch. Wirklich. Im Grunde ist das sowieso nur ein kleiner Tropfen in dem großen Pflegepersonal-Gewässer. Dinge passieren da, manchmal möchte man nur noch weinen.

Wenn ich dem Mann jetzt Fischstäbchen machen würde, „Hier, Darling, ich habe extra für dich als Belohnung Fischstäbchen gemacht, Bussi!“, könnte ich mir gleich einen neuen Lebensraum suchen. Er isst keinen Fisch. In keiner Form. In keiner Farbe. Er hat es versucht. Immer wieder einmal. Aber es geht nicht. Mit Fischstäbchen als Belohnung käme ich exakt an die seines Arbeitgebers heran.
Ich muss mir also etwas anderes überlegen. Eine Schallplatte vielleicht.

Wenn erstmal der Rubel bei uns rollt, dann könnte man sogar über eine goldene Schallplatte nachdenken.

Übrigens gastieren hier auch noch ein paar braune Hasen. Zu denen kamen ich aber wie die Jungfrau zum Kinde. Ich habe sie nicht gekauft zur Osterzeit. Trotzdem waren sie plötzlich in der Küche. Da hocken sie jetzt und warten, dass etwas geschieht. Die möchten auch eine Wendung in ihrem Leben. Erst dachte ich, ich schicke sie zur Arbeit in ein Hasenbordell. Aber das kann ich mit meinen moralischen Werten nicht vereinbaren.

(Ja, im ortsansässigen Baumarkt gibt es eine eigene "Abteilung" für Häschen. Hier ein Beweisfoto:)



Also kommt eine Wendung in diese Richtung nicht in Frage.
Bleibt noch die Verarbeitung zu einem schmackhaften Kuchen oder, was ich persönlich bevorzuge, zu einem Eimer Schokoladeneis, selbst gemacht. Ich glaube, da wird ihr Schicksal sie hinführen.


Und ich habe gerade einmal Nicer Dicer gegoogelt, weil ich zwar eine vage Vorstellung davon hatte, aber mir nicht sicher war, ob ich damit richtig lag. Jetzt überlege ich, ob ich so etwas brauche. Ich kann mich nicht entscheiden. Einerseits macht sich damit offenbar das Gemüse selber fertig. Andererseits habe ich Köchin gelernt und kann immer noch recht ordentlich die Messer schwingen. Wenn sie scharf sind. In meiner Schublade sind die Messer jedoch recht stumpf. Die entscheidende Frage lautet also:

Nicer Dicer? Neue Messer? Schleifmaschine?

Schwierig zu entscheiden in Zeiten, in denen der Dorfdepp und der amerikanische Präsident in Personalunion agieren (frei nach R. De Niro), in denen im benachbarten Wald alles knochentrocken auf einen zündenden Funken wartet, in denen Corona nicht mehr der Ring um die Sonne oder eine Heilige aus Ägypten ist, sondern ein Winzling mit unlauteren Absichten.

Vielleicht besorgst Du Dir ein 3000 Teile Puzzle mit einer Landschaft der Lofoten. Oder Malen nach Zahlen. Könnte einen echten Kick geben. Und ist garantiert realitätsfern.
Kann ich, außer mit blöden Tipps, Dir sonst noch irgendwie zur Hülfe eilen?

Liebe Grüße vom Lavendelchen

Mittwoch, 13. Mai 2020

Zu Hülfe!


Liebe Lavendel,

da schicken die deinem Mann eine ranzige Schokomedaille für seinen Einsatz und schämen sich nicht? Haben die keine Angst davor, dass das an die Öffentlichkeit kommt (zum Beispiel durch uns?) und dann ein Riesending draus wird, so, dass die alle aus der Geschäftsführung fliegen? Das ist doch wie von Trump erdacht! 

Ich finde, dein Mann hätte jetzt eine Sonderbehandlung verdient, damit er nicht am Leben verzweifelt. Du könntest mit ihm zusammen seine Musik anhören. Dazu brätst du ihm Fischstäbchen und schreibst seine Gedanken auf – so wie wir das eigentlich mit den Pferden vorhatten.

Apropos, wir haben ja unterdessen mehrere Anwärterinnen, die mit uns stinkreich werden wollen. Das wundert mich überhaupt nicht, denn es ist ein ausgeklügelter Plan, trifft eine Marktlücke und wer sitzt nicht gerne neben Pferden (außer dir)?
Wenn wir dann nicht mehr wissen, wohin mit der Kohle, bestelle ich mir endlich das sündhaft teure Wimpernserum, mit dem mir sofort kleine Büschel kohlrabenschwarzer, endlos langer Wimpern wachsen. Für meinen Geschmack wird das auch dringend Zeit. Noch so ein Nachteil, wenn man ins Alte-Schachtel-Alter kommt. Haare verschwinden und kommen an ganz anderer Stelle wieder raus.

Inzwischen habe ich danke Corona-Home-Office einen derartigen Nesttrieb entwickelt, dass man meinen könnte, ich stünde kurz vor der Niederkunft (leider sehe ich ja nun auch fast danach aus). Schuld daran ist dieses Super-Sonder-Angebot. Schau mal auf den Preis. Zehn Cent pro Tüte. Ich hab alle aufgekauft. Und jetzt habe ich einen gigantischen Vorrat von diesem minderwertigen Zeug. 



Nicht nur, dass ich über die Anschaffung sündhaft teurer Wimpernseren nachdenke, ich steigere tagtäglich das Bruttosozialprodukt; unterdessen bin ich von Klamotten und Nicer Dicers auf Möbel und Stehlampen umgestiegen. Die Lampen bringe ich aber alle am nächsten Tag wieder zurück, weil die schreckliches Licht machen. 
Am Ende steht der eigene Hund, ich seh das schon kommen. Damit wäre ich dann genau die Frau, die ich nie werden wollte. 
Lavendelchen, mein Leben braucht eine Wendung. Aber eine, die nix mit Pandemien oder Dürre-Sommern zu tun hat. 
Deine Annika

Dienstag, 12. Mai 2020

Helden-Medaille

Liebe Annika,

mein Zorn ist verraucht. Im Nachgang scheint es sich wirklich um ein hormonelles Ungleichgewicht gehandelt zu haben. Bedauerlich, dass Du nicht ums Eck bist, was hätten wir uns ein Schreigefecht liefern können. Ich hätte gern das Nein genommen. Wobei dem Ja gerade in der Geburtshilfe große Bedeutung zukommt. In den Wehen wird gefälligst Ja gerufen, das öffnet den Mund. Nein verkneift die Lippen. Im Geburtsvorgang ist Nein keine Option, alles muss weit aufgemacht und nicht zugekniffen werden.

Leider habe ich niemand anderen zum Brüllen gefunden. Deinen Vorschlag, mir den älteren Mann wegen seiner Heimkunftszeit vorzuknöpfen, konnte ich nicht in die Tat umsetzen. Er tat mir nämlich leid. Wie Du weißt, verdingt er sich in der Krankenhausgaleere und dort zu arbeiten ist nun mal kein Ponyhof. Schon gar nicht im Moment. 

Aber ach, wie wurde geklatscht und bejubelt. Unsere Helden! Einige Quarantänetage und einen Test später ist der Held recht zufrieden, dass er weiter in der Galeere schuften kann.

Dann kam Post vom Arbeitgeber. Meist handelt es sich um das Vereinskäseblättchen oder um einen lauwarmen Gruß zum 25 jährigen Jubiläum. Diesmal war es eine Karte. Und in dieser Karte befand sich eine Medaille. Eine Goldmedaille. Aber nicht, weil der Held so schnell zwischen OP und Patient hin und her laufen kann wie kein zweiter. Nein. Es ist ein Dankeschön für seinen unermüdlichen und selbstlosen Einsatz. Ganz im Sinne von Florence Nightingale.


Und wenn Du jetzt denkst: Verdient! Soviel Gold muss sein! möchte ich Dich kurz darauf hinweisen, dass es sich um eine Schokomünze handelt. Dunkle, angestaubte, wenig schmackhafte Schokolade. Ich habe meiner Empörung Luft gemacht und ihm gesagt, dass ich das für ausgemachten Schwachsinn halte, egal ob Florence gerade 200 Jahre alt geworden wäre oder nicht. Das dafür ausgegebene Geld hätte sich auf den Gehaltsabrechnungen der Nachfolger von Flo besser gemacht. 
Aber er zuckte nur die Schultern, lächelte milde und sagte: "Träum` weiter. Mehr Geld? Gibt`s nicht."
(So jemanden schreit man nicht an.)

Also, ich würde Dich bitten, das mit Praxisplanung zu intensivieren. Stinkreich zu werden käme nämlich gerade recht. Es gibt so einiges, wofür man stinkreich sein müsste, was auf meinem Merkzettel steht. Es gibt bei dem Stinkreichplan allerdings eine Schwäche. Ich habe eine Scheißangst vor Pferden. Ob ich wohl depressive Goldfische behandeln dürfte? Und Du nähmest die Gäule?

Liebe Grüße von Deiner 

Lavendel

(P.S.: In welcher Welt wir leben? Ich bitte Dich. Wir leben in der Welt, die sich mit 108.000 Stundenkilometern um die Sonne dreht und dabei noch mit guten 1.600 Kilometern pro Stündchen um sich selbst. Das hält doch der stärkste Gaul nicht aus. Rausch. Wir leben hier alle im Geschwindigkeitsrausch. Und da flattert nicht mal die Mähne davon.)

(P.P.S.: Habe soeben erfahren, dass wir eine sehr versierte Mitarbeiterin haben könnten. Die versteht die Ponys sogar ohne Worte, die muss auch stinkreich werden aus vielfältigen Gründen, aber wir können sie vielleicht eher mäßig am Gewinn beteiligen, weil sie zur Familie gehört.)

Sonntag, 10. Mai 2020

Heiter weiter

Liebe Lavendel,

da hilft eigentlich nur die Bazooka, denn mit Sorgenpüppchen komme ich dir nicht, keine Angst. 

Früher als ich noch Hormone hatte und noch schlimmer, als die Hormone sich verpissten, hatte ich das auch ganz oft. Dreimal am Tag wollte ich morden und nicht nur darüber sprechen. Lebten wir nah beieinander, wüsste ich sofort, wie ich dir hülfe: Wir göngen in den Wald, um das Ja-Nein-Spiel zu spielen. Die eine schreit JA, die andere NEIN. Immer im Wechsel, bis man alles rausgebrüllt hat, was mal raus musste. Das ist genauso entlastend wie ein ordentlicher Weinkrampf. 

Vielleicht ließe sich jemand finden in der Nachbarschaft, der auch mal dringend brüllen muss? Ansonsten böte sich doch der ältere Mann in deinem Haushalt an, denn wo zum Teufel treibt der sich bis morgens um 8 Uhr herum? 

Du weißt, dass ich die Mutti-Putzfrau-Haushälterinnen-Falle eher reizvoll finde. Je älter ich werde, desto öfter denke ich: 'Hättest du doch damals nur den Uwe geheiratet'. Der hatte ein Ziel und das hat er erreicht und die Freundin nach mir gleich geheiratet und bis heute leben die unter einem Dach, plus Junge & Mädchen und Golden Retriever und sie hilft manchmal in seinem Geschäft und ist ja evtl. auch so entnervt wie du, aber mir kommt es vor, als würden die direkt im Taj Mahal wohnen. 

Und deshalb lebst du für mich auch im Palast der Liebe mit all deinen Killerdogs und Wolkenköpfchen um dich herum. Miese-Laune-Tage hat man auch im Büro, und da ist der Kummer genau derselbe: "Warum bin ich immer wieder so bescheuert und kümmer mich um alles? Gegen die Wand laufen lassen müsste ich ihn! Warum sieht hier eigentlich niemand, was ich wuppe? In der Hälfte der Zeit, die andere dafür brauchen?" 

Kürzlich sprach ich mit einer Kollegin, Assistentin. Sie hatte Geburtstag. Alle hatten es vergessen. Ihr Chef. Ihre KollegInnen. Wer hatte dran gedacht? Andere Assistentinnen.
Hadere also mit allem möglichem, aber nicht damit, WO du haderst. Woanders ist nicht besser, nur woanders. Und wenn du dich doch in ein Büro wünschst, dann denk dran, dass du - obwohl mies gelaunt - dennoch geschminkt, gut frisiert und geschmackvoll angezogen dabei sein musst. 

Soll ich dir mal was total Beklopptes zur Ablenkung erzählen? Der Grund, weshalb ich so spät schreibe, war ein weiterer Wochenendtrip ins Berliner Umland, diesmal zur Freundin, die direkt auf einem Reiterhof lebt. Sehr idüllisch. Jedenfalls sitzen wir auf ihrer Terasse und plötzlich holt sie einen Brief uns fragt: "Soll ich euch mal vorlesen, was mein Pferd mir geschrieben hat?" 

Hä???

Neulich war das Pferd krank, da kam die Tierärztin, die sowohl eine schulmedizinische Spritze als auch homöopathische Globuli verabreichte und zuletzt mit dem Pferd sprach. Nein anders: dem Pferd zuhörte. Und alles, was das Pferd ihr gesagt hatte, hat sie aufgeschrieben und meiner Freundin überlassen, für 130 €. Sie habe dafür eine Stunde neben dem Pferd gesessen.

Ich: "Für 130 € setze ich mich auch eine Stunde neben dein Pferd!"

Sie las den Brief dann vor: 

"Monika ist oft weg und es wäre schön, wenn sie mir vorher Bescheid geben würde, wann sie wieder kommt. In letzter Zeit ist sie öfter da, das finde ich schön, denn ich mag Moni ganz gern, auch wenn sie keine besonders talentierte Reiterin ist, ihre Hände sind oft unruhig und in der Hüfte ist sie ziemlich steif und sie könnte mir auch öfter mal Bonbons geben. Ich hätte auch gerne einen festen freien Tag in der Woche und wäre am liebsten jeden Tag bis 19 Uhr auf der Weide bei meinen Freunden anstatt immer nur bis 15 Uhr. Dieses ewig lange Stehen in der Box macht mir immer geschwollene Hinterbeine und die Hufeisen gegen Duplos auszutauschen neulich war ja echt keine gute Idee, ich brauche echte Eisen an den Hufen."

Und das Geschwafel ging noch drei vollbeschriebene DIN A4 Seiten so weiter und ich musste an diesen riesigen Brandenburger Wallach denken, um den es hier geht, ein wunderschönes Tier, das seine Besitzerin des öfteren und aus dem Nichts in Richtung Hallenboden befördert, was ja erst für eine gewisse Steifigkeit in ihrer Hüfte gesorgt hat und der dennoch von ihr mit Leckerli so vollgestopft wird, dass überhaupt nur das Pferd aus ihm werden konnte, was er nunmal ist: das Äquivalent zu einem hedonistischen Hipster. Aber:
Schlecht erzogen? Ja. Aber dass er nun die Veterinärin beflüstert? Nein. 

In was für einer Welt leben wir eigentlich, frage ich dich?

Ich antworte dir auch gleich: wir machen eine gemeinsame Praxis auf, setzen uns neben Pferde und hören zu. Wir sind aber effektiver und füllen einen Multiple Choice Fragebogen aus. Auf Wunsch führen wir auch Mediationen durch, wenn's auf der Weide mal wieder knallt. Wir werden stinkreich.

Deal?