Sonntag, 26. Juli 2020

Im Reisefieber

Liebe Lavendel,

wenn Marmelade Zukunftsangst lindert, dann schick mir mal ein paar Kilo rüber. Oder du bringst sie mir persönlich, das wäre sehr nett. Dann könntest du mir auch persönlich Mut zusprechen und ich dir. Und bekochen könntest du mich auch - ich schätze es außerordentlich, wenn ich gefüttert werde. Ich würde dich pausenlos lobpreisen.

Nachdem ich heute gelesen habe, dass am Nordpol 21 Grad sind und in Sibirien 38 Grad bin ich wieder bänglich und mutlos geworden, muss ich zugeben. Gerade schüttet es draußen ohne Ende und natürlich begrüße auch ich jeden Regentropfen, als wäre er der Heiland persönlich. Jeder Regentag hilft, bilde ich mir ein. 

Deine Baumtrauer ist berechtigt, leider, wie gerne würde ich denken: die spinnt doch, die Lavendel, das stimmt doch alles gar nicht, jetzt schreibt die hier Fake News in unser neues Blog - aber meine guten Beziehungen zu einem Förster im Brandenburgischen bestätigen das alles und wäre in diesem Jahr der dritte Dürresommer in Folge gewesen, dann läge die Versteppung nur noch einen Wimpernschlag entfernt. Was sie ohnehin tut, dieser Sommer wird nur der Tropfen auf dem heißen Stein sein. Ja, meine Liebe, es ist furchteinflößend. In meinem Wald vor der Tür sieht noch alles tippetoppe aus, aber es ist ja auch kein richtiger Wald sondern ein kleines Wäldchen, ein Mischwäldchen, aber der Förster hat bei der Begutachtung gesagt "Dieser Wald kriegt 90 von 100 Punkten". Wenn du mir die Marmelade bringst, zeige ich ihn dir gerne. Deinem Hund wird's hier auch gefallen.



Der hier schon
Sieht auch nicht mehr ganz gesund aus





















Am Dienstag musst du ganz fest an mich denken, denn dann bin ich in Wien und es werden 34 Grad sein. Ich besuche eine Freundin und fahre sehr luxuriös mit dem Nachtzug hin und zurück. Kaum hatte ich meine Tickets gebucht, kam zwei Tage später die Meldung, dass sich in Österreich die Fallzahlen wieder dramatisch erhöhen und ich fragte mich, welcher Teufel mich geritten hat, ins Ausland zu reisen, wo ich doch seit Jahr und Tag nur an Ost- und Nordsee zu finden bin? Warum ausgerechnet jetzt so abenteuerlich - ist meine Hypochondrie am Ende nur verklausulierte Todessehnsucht?

Eine Woche war ich bei meiner Mutter - dank Corona habe ich feststellen dürfen, dass es sehr lauschig bei ihr im Garten ist, wenn ich nicht nur ein Wochenende dort bin, sondern mal alle Zeit der Welt habe, alte Freunde und erste Lieben zu treffen. Der schöne See hat jetzt sogar ein Strand Café, wie bei uns in Berlin, chillig und unaufgeregt, Elevator-Musik und Sonnenuntergang inklusive.

Als ich später an dem Hochhaus vorbeifuhr, in dem ich als kleines Kind gewohnt habe (in meinern Zehnern, sozusagen), saßen in der Abendsonne mindestens 3 Kinder und vier Erwachsene auf dem Balkon im 6. Stock, es war ein munteres Treiben und ich konnte sie gut verstehen, denn ich weiß ja, wie schön es dort oben ist. Beinah wäre ich ausgestiegen und hätte hochgerufen, ob ich mal kurz nach oben kommen darf.

Kaum in Berlin angekommen, ging's gleich wieder zur Sache. Wir haben in Steglitz einen großen Laden für Bastelbedarf und mein Host in Wien hat sich als Mitbringsel tatsächlich eine Stoffschere gewünscht, naja, des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

An der Kasse jedenfalls beschimpft die Kassiererin eine Kundin dergestalt, dass ich mich einmischte und ihr wenig professionelles Gebaren beklagte. Die Hölle brach nun erst recht los, sie lasse sich nicht fertig machen, worauf ein anderer Kunde meint "Sie machen doch die Leute fertig und nicht umgekehrt", worauf sie ihn anbrüllte, er solle verschwinden und sich nicht in "Gespräche" einmischen, die ihn nichts angingen, sie kreiste komplett aus - ein Tumult, wie ich ihn noch nie erlebt habe mit einer Verkäuferin - aber das für mich Erstaunlichste war: niemand ihrer Kollegen griff ein, kein Vorgesetzter kam angerannt - obwohl die allgemeine Brüllerei eigentlich schon einen Polizeieinsatz hätte berechtigt erscheinen lassen. Wer mag, kann das auch positiv verstehen, als typische Berliner Lässigkeit oder so. Jedenfalls wusste ich, dass ich wieder zuhause bin.

Ich freue mich, dass du deine Zuhause-Ferien genießt. Mach nur weiter so, verreisen wird überschätzt. Lieber Regentänze lernen.

Liebste Urlaubsgrüße zurück
Deine Annika

Samstag, 25. Juli 2020

Ferienpost

Liebe Annika,

wie geht es Dir? Mir geht es gut. 
So habe ich schon als Kind gern meine Briefe angefangen und dann wusste ich nicht mehr weiter. 
Gut, Ferienpost ließ dann noch Text zum Thema Wetter und Unterkunft und Verpflegung zu.
Das Wetter ist gut. Ich wohne schön. Das Essen ist lecker. Und dann gab es noch liebe Grüße und fertig war`s. 

Was hast Du für ein Glück, dass meine Ferienbriefe heutzutage ein kleines bisschen anders sind. Zumindest sind sie etwas detailreicher. Also los: Das Wetter ist genau so, wie ich es mir von ganzem Herzen gewünscht habe. Die Quecksilbersäule nähert sich nicht dem 30er-Strich, es regnet zwischendurch, der Himmel lässt keine Blau-Langeweile aufkommen. Das Wetter ist perfekt.Jeden Regentropfen heiße ich Willkommen. 

Wie Du weißt, muss ich jeden Tag in den Wald gehen. Der Hund hat sich schon als Kleinkindhund angewöhnt, ausschließlich in den Wald zu kacken, darum ist das für mich ein Muss. Seit bald 12 Jahren sehe ich jeden Tag die Bäume, Sträucher, Farne, Fingerhüte, wilde Kirschen, Ameisenhügel, hin und wieder Wildschweine, das ein oder andere Reh. 
Es war sehr verlässlich im Wald. Ich wusste, was mich dort erwartete. Ich kannte im Grunde jeden Baum. Nach den vergangenen drei Sommern aber hat sich der Wald verändert. Die Bäume, Annika, sie sterben. Ich schaue ihnen beim Sterben zu. In diesem Jahr ist es traurig im Wald. Bedrohlich und furchteinflößend und absolut traurig. 
Die Nadelbäume geben auf. Man kann es riechen, sie riechen anders als sonst. Es riecht viel harziger. Der Waldboden ist ganz fedrig von den Millionenmillarden Nadeln, die von den Bäumen herunterrieseln. Es macht ein ganz leises wisperndes Geräusch, wenn sie herunterfallen und auf den Boden treffen. Übrig bleiben braungraue Gerippe. Einen Baum, der an besonderer Stelle stand, an dem ich oft vorbei ging, dem ich meine Hand wie oft auf die Rinde gelegt und dabei gedacht habe: Wenigstens du bist verlässlich, bist da, bleibst da! steht nun aller Nadeln beraubt und stirbt. 




Zu wenig Regen. Zu viel Borkenkäfer. Die stattlichen Riesen sterben. Und darum jubele ich für jeden Regentropfen. Als die Kinder noch klein waren und wir drei Kindergeburtstage pro Jahr feiern durften (ich sage das mit einem leicht hysterischen Unterton, ein Nachbeben all der gefeierten Partys am Rande der Hölle), machte ich gern Partys im Wald. Schatzsuchen waren sehr beliebt. Und an einer Stelle im Wald war ein perfekter Platz für Schätze. Es gab dunkles, saftig-weiches Moos, kleine Hügel, hohe Kiefern, Tannen und Fichten, es war ein verwunschenes Zwergen- und Feenreich. Hutzeli und Putzeli lebten dort und versteckten ihre süßen Schätze, teilten sie aber gern mit Geburtstagskindern. Und wenn man einmal nicht schreiend zwischen Bäumen rannte, sondern ganz still stand und lauschte, hörte man in der Ferne ein Bächlein rauschen und in der Nähe die Zwerge leise schmatzen.Und heute? Heute sieht es dort so aus:




Es bricht mir das Herz. Und es zeigt die Realität, den Klimawandel, die Welt, die sich verändert. Angsteinflößend.

Und die Ferienunterkunft? Die ist zuhause. Ich bin hier, schön im Rheinisch-Bergischen Kreis, habe ein sehr bequemes Bett und ein optimals Kopfkissen. Ich mag Ferien zuhause. Das Personal ist höflich, weil ich mir einen Artikel zum Thema Selbstfürsorge durchgelesen habe. Höflich zu sich selbst sein, weil man sein eigenes Personal ist, das ist nicht immer einfach. Aber im Augenblick klappt es gut. 

Das Essen schmeckt. Ich beweihräuchere mich einfach mal selbst. Weißt Du, wenn Du näher wohnen würdest, hättest Du schon längst die Erfahrung machen können. Ich kann kochen. Lecker kochen. Und am Liebesten für Menschen, die es zu schätzen wissen. Meine Schwester zum Beispiel. Wenn ich für sie koche, dann haut sie rein, bis der Ranzen spannt. Gemeinsam wird schnabuliert, bis kurz vorm Platzen. Ein riesig großer Spaß. 
Sie hat übrigens eine Küchenmaschine, auf die man einen Nudelaufsatz schrauben kann. Und diesen Nudelaufsatz hat sie sich gekauft. Jetzt ist es aber so, dass ich die gleiche Küchenmaschine habe. Ich habe einen Aufsatz für Spritzgebäck und Würstchen. Jetzt wollte ich unbedingt Nudeln machen. Darum habe ich mir ihren Nudelaufsatz geliehen. Erst habe ich Fettuccini gemacht, dann Spaghetti und als Drittes Tortellini. Und natürlich habe ich bei Spaghetti und Tortellini meine Schwester zum Essen eingeladen. 
Es war sehr, sehr lecker. Tortellini mit Käsefüllung. Aber auch ein bisschen sehr, sehr viel Arbeit. Egal. 
Ich überlege jeden Tag, wie die Chancen stehen, dass sie vergisst, dass der Nudelaufsatz eigentlich ihr gehört. Ob sie demnächst kommt und sagt: „Gib mir mein Nudelmoped zurück!“ Und wie ich dann reagieren soll.
„Nudelwas? Was ist das? Ich kenne so etwas nicht.“ 
Oder „Habe ich dir schon längstens zurückgegeben.“ 
Nächste Woche mache ich noch mal Fettucini. Mit einer Pilzrahmsoße. Da habe ich so einen Appetit drauf.

Meine Ferienaktivitäten finden sowieso im Moment viel in der Küche statt. Am Ufer der Agger, wo ich herumliege, Stromschnellen beobachte, Eisvögel bei der Jagd beobachte, Prachtlibellen und Schmetterlinge bewundere und Menschen mit Gummibooten belächle oder eben in der Küche. Dort koche ich Marmeladen. Letztes Jahr war ich so hitzeglähmt, da konnte ich mich kaum bewegen. Dieses Jahr habe ich ein Gelee von Sommeräpfeln gekocht, eines von Himbeeren und Wassermelone und eine Aprikosen-Pfirsich-Zitronenmarmelade. Bald möchte ich noch Mirabellen zu Marmelade verarbeiten. Und Pflaumen, denn der ungepflegte Pflaumenbaum im Vorgarten eskaliert dieses Jahr. Auf Erdbeermarmelade habe ich dieses Jahr keinen Bock. Ach, und Zucchini habe ich eingelegt. 
Hatte ich Dir schon von meinem Beet im Garten erzählt? Nicht? 

Da habe ich vier Zucchinipflanzen reingesetzt. Obwohl sie sehr eng stehen, gedeihen sie gut. Und machen einen guten Job. Einen wirklich guten Job (wieder zuviel über Donald Trump gelesen, da färbt machmal was ab).
Ich habe also viele Zucchini und die habe ich mit Zwiebeln und Knoblauch und Kräutern und Essig eingekocht. Die eine Zucchini war ein bisschen groß, ein rechter Prügel, bei ihr ist Schale hart und wenn man draufbeißt, dann quietscht sie. Ist aber trotzdem ein Erfolg, die Familie mag das Quietschen. 

Ich hoffe, Du genießt die Sommerzeit ebenfalls. Und den Regen. Die Kühle. 
Welche Marmelade magst Du am Liebesten? Soll ich Dir mal eine kochen? Möglicherweise lindert Marmelade auch Zukunftsangst.

Liebste Feriengrüße,
Deine Lavendel

Sonntag, 12. Juli 2020

Männer haben's so gut

Liebe Lavendel,

doch, in Sachen Flugangst mache ich dir was vor: du bist ja immerhin schon geflogen, mehrmals. Ich? Noch nie! Ich wollte ja eigentlich April 2019, der Flug war gebucht, auf zum Blogmädels-Treffen nach Bonn, aber drei Tage vorher fand ich mich in der Notaufnahme wieder - Flug abgesagt, ist ja klar. So'ne Kapriolen in der Luft und das wär's gewesen mit mir. 

Aber ich habe eine super Idee, die ich völlig ernst meine: wir fliegen gemeinsam, weißt du, so einen 1-Stunden-Flug. Wann immer jmd. neben mir sitzt, /derdie noch mehr Angst hat oder dieselbe, beruhigt mich das, weil ich in den Kümmer-Modus wechsle. Und du bist ja ähnlich gepolt - wir sind wie geschaffen füreinander und einen Kurzflug und auf lange Sicht fliegst du mit mir nach Maine. 

Wir könnten live aus dem Flugzeug bloggen. Wir könnten allen Flugangsthasen Hoffnung geben. Wir könnten mit einer Fluggesellschaft kooperieren, deren Namen wir hier ganz oft einfließen lassen, dann schenken die uns die Tickets für unseren ersten Testflug.Wir könnten eigene Merchandising-Artikel produzieren: Schlafbrillen, auf denen gedruckt steht "Bibber Bibber" oder Papiertüten, auf denen steht "Im Strahl kotzen mit Lavendel & Annika" oder Placebo-Tabletten auf denen "Propofol" steht. Hach, die Ideen sprudeln nur so aus mir raus. Deal oder Deal?

Nun zum Frauenleiden: fast alle Frauen bekommen zum Ende hin splattermovie-reife Blutungen, die sich mit handelsüblichem Hygieneartikeln kaum in Schach halten lassen. Du musst das so sehen: deine Gebärmutter kämpft mit allerletzter Kraft gegen den Tod an. Ja wirklich, sie bäumt sich ein paar letzte Male dermaßen auf gegen die Stillegung der Östrogen-Produktion, dass sie zum Schluss noch mal ein wahres Feuerwerk hinlegt, um die Götter zu überlisten. 

Im Grunde schreit sie "Iiiich will die Entscheidung treffen, wann hier Feierabend ist!" Aber sie entscheidet es natürlich nicht, all dieser Aufwand ist sinnlos, finally wird Ruhe im Karton sein. Also sei ihr nicht gram. Auch wenn die Schmerzen die Hölle sind - ich war teils weiß wie die Wand und dachte, dass eine Geburt unmöglich noch schlimmer sein kann. Du hast mir ja nun bestätigt, dass ich Recht lag mit dieser Annahme. 

Was Männern alles erspart bleibt!


Freitag, 10. Juli 2020

Amerika?

Annika, Annika, Annika,

bitte nicht nach Amerika! Das ist doch viel zu gefährlich dort. Und am Ende müsstest Du dort bleiben, in dem Land, das ein gemeingefährliches Kaschperle als Chef engagiert hat. Du bekämst dort sicher das Virus. Es würde Dich vielleicht nicht töten, aber es würde Dich quälen und Du müsstest zum Arzt, Deine Versicherung würde Dich ruinieren, Du würdest von irgendwelchem Möchtegern-Sicherheitspersonal zu Boden gepresst und trotz Gnadegeflehe zerquetscht. Möglicherweise würdest Du aber auch an einem Steak ersticken. Amerika ist heutzutage ein saumäßig gefährliches Pflaster. Da kannst Du besser nachts um drei durch Köln Chorweiler laufen.

Darum bin ich sehr froh, dass Deine Freundin sich am Riemen gerissen und ihre Gesundung eingeleitet hat. Sprich ihr bitte meinen tiefen Dank aus. Denn das Allergefährlichste habe ich noch nicht erwähnt. Den Flug. Über ein riesiges Wasser. Ein sehr tiefes Wasser. Tu das nicht. 10.000 Meter hoch in der Luft und unter Dir nur wenige Zentimeter Blech. Das ist doch völliger Quatsch. Der Mensch ist nicht gemacht zum Fliegen. Sonst hätte er Federn. 

Und ja, bei Flugangst macht mir keiner etwas vor. Als es noch nicht völlig verpönt war, Inlandsflüge zu buchen und meine Schwester noch in Berlin wohnte, quasi bei Dir ums Eck, da habe ich hin und wieder, selten, meine Flugangst mit mir konfrontiert. Die Flugangst saß dann immer ganz lässig im Sessel, lächelte mich an und versicherte mir, mich nicht allein zu lassen. Stieg mit mir ins Fluggerät und krallte sich bei jedem Hoppeln in meine Herzkranzgefäße. Ein Flug hat mich im Schnitt 4 Jahre altern lassen, pro Stunde. Wenn ich ausstieg aus der Blechkiste, fühlte ich mich immer so, als hätte ich die ganze Strecke über mit den Flügeln geschlagen und das komplette Flugzeug von Köln nach Berlin getragen. Jeder Muskel tat mir weh. Unfassbar anstrengend.

Ja. Ich bin ein Weichei. In mancher Hinsicht. Und wer mir am Herzen liegt, wird in meine Weicheiigkeit einbezogen. Und um den mache ich mir Sorgen. Und die Bewohner meines Herzens sollen deshalb auch nicht fliegen. Das Wolkenköpfchen möchte nächstes Jahr etwas Zeit auf Bali verbringen. Kannst Du Dir meine Qualen vorstellen? Noch kein Flug gebucht und ich mache mich schon nass. Schlimm, sowas. Und Du darfst deshalb auch nur dann Fliegen, wenn es wirklich keine Alternative gibt. Und sprich mich bitte vorher an, sag Bescheid, damit ich entsprechende abergläubische Kerzen anzünden, pendeln und Lobpreisungen singen kann. Danke.

Ich habe mir die Zeit, die Dir soviel Furcht brachte, mit Frauenleiden vertrieben. Das war auch nicht witzig, aber sicher viel besser als eine Gallenblase mit der Tendenz zum Platzen. Denn erfreulicherweise half bei mir Ibuprofen, zum Morphin musste ich nicht greifen. Nur nach drei Tagen Ibuprofen war dann ein bisschen was für den Magen fällig.

Weißt Du, ich hatte mich schon gefreut und dachte, die Zeit des Herummenstruierens sei jetzt langsam am Ende angekommen. Ich hatte nach 21 Tagen nichts, nach 25 Tagen auch nicht. Es folgten die Tage 30 bis 35 und nichts passierte. An Tag 38 knallte es in meiner Gebärmutter und ich bekam das gezeigt, was man eine Harke nennt. Übel. Ich muss Dir sicher nicht beschreiben, was mich ereilte. Am Liebsten hätte ich mir einen Korken eingeschraubt, wäre aber unphysiologisch gewesen, denn die Gebärmutterschleimhaut muss ja raus. Aber doch bitte nicht so, als … ach, vergiss es. 

Gleichzeitig ereilte mich ein Kopfschmerz, von dem ich dachte, er könnte das Symptom meines nahenden Endes sein. Und Krämpfe. Unterleibskrämpfe. Mitten in der Nacht dachte ich, Momentemol, das kenne ich doch. Das hatte ich schon dreimal und anschließend lag ein Baby in meinem Arm. Ich sinnierte im Halbschlaf vor mich hin, ob ich wohl eine komplette Schwangerschaft verbaselt haben könnte und sich nun eine Geburt anbahnte, die ich so nicht erwartet hatte. Gibt es ja. Gleichzeitig überlegte ich, ob der heilige Geist vorbeigeschaut haben könnte. Anders hätte sich eine Schwangerschaft nämlich nicht logisch erklären lassen. Ich erinnerte mich an das Veratmen von Schmerz und atmete tief in den Bauch hinein. Irgendwann bin ich über all dem eingeschlafen. Ich vermute, die Tablette war nicht unbeteiligt daran. Am nächsten Morgen, der drei Stunden später war, machte ich weiter damit. Tablettchen, atmen, das ganze Programm. Dazu regelmäßig hektische Badbesuche. Heute, an Tag vier des Dramas, hatte ich dann Magenweh von den ganzen Pillen.

Ja, es ist nicht tödlich. Nicht mal potentiell tödlich. Null Komma gar nicht. Aber ganz ehrlich, ich habe keine Geduld mehr mit solchen Ausflippern. Schon in der Pubertät fand ich Menstruieren nicht die prickelndste Zeit des Monats. Und nach 35 Jahren ist es doch gut. Meine Güte.

Schön, wenn man sich über so ein Pillepalle aufregen kann.

Wunderbar verregnete Grüße aus Pillepalllehausen,

Deine Lavendel



Mittwoch, 8. Juli 2020

Wie ich beinahe nach Amerika geflogen wäre

Du meine Güte, Lavendelchen, in dir steckt also auch so eine furchterregende Wut, die zum Ausbruch kommt, sobald sich ein Arschloch an fragil-wehrlosen Mitmenschen abarbeiten will. 

Tja, wir sind Seelenverwandte, denn auch ich kann die schlimmsten Gewalttäter vertreiben, allein mit meiner Stimme, die lassen ihre Opfer sofort los, echt, das ist mehrmals passiert, unter Zeugen, mitten in der Nacht, wenn ich aus dem Schlaf hochfuhr, weil draußen vor der Tür eine Frau verprügelt wurde (in Moabit, wo ich früher mal wohnte, kam das leider öfter vor), mich ans Fenster stellte und mit aller mir zur Verfügung stehenden eisigen Aggressivität rief, dass sie SOFORT, UMGEHEND, ABER PLÖTZLICH, etc. Die liefen weg, wirklich. Irgendwas schauerliches lauert in mir, obwohl ich sonst eine Stimme im steten Deeskalationsmodus habe, wie mir mal mein Chorleiter bescheinigte, immer sanft und seidig. Aber wehe, in meiner Nähe wird jemandem ein Leid angetan. Hm. 

Was eint uns noch? Natürlich! Die offenen Fenster. Tag und Nacht habe ich alles offen. Ich kühle gerne runter. Gegen Wind und Regen habe ich auch nichts. Ich bin ganz begeistert von diesem Sommer, der recht nass ist, Gottseidank. Ob das schon reicht, um den Wald zu retten, man weiß es nicht. 

Ich hatte leider kein schönes Wochenende, deshalb schreibe ich auch erst heute. Meine liebste Freundin, die nach Amerika gezogen ist vor fast einem Jahrzehnt, schrieb mir am Freitag "Mir geht es ziemlich schlecht, ich fahre jetzt ins Krankenhaus." Ich selbst laborierte an Hals-und Gliederschmerzen herum und sah mich bereits im Corona-Beatmungs-Koma, aber ein echter Notfall lässt mich eigene Zipperlein vergessen. Ich war in heller Aufruhr, denn sie geht für gewöhnlich mit Kopf unterm Arm ins Büro. 

Über Face Time konnte ich genau sehen, wie schlecht es ihr ging. Gesicht vom Schmerz gezeichnet und zerüttet, seit einer Woche quälte sie sich schon herum, aber nun würden die Schmerzen doch in Richtung unerträglich ausschlagen. Sie japste das alles mehr, als das sie sprach. Extrem kurzatmig und aufstehen konnte sie auch kaum noch.

Ihr Mann machte kurzen Prozess und fuhr sie ins Krankenhaus (nachdem sie schon ein paar Tage zuvor wieder heimgeschickt wurden von einem Arzt, der befand, sie sei noch nicht reif für die Emergency). Morgens um 3 Uhr bekam sie ein Bett und am nächsten Tag ein MRT. Aber da war dann Sonntag und kein Arzt vor Ort. Montag früh dann, sie unter Morphium (das aber kaum half), schaute der erste Arzt drauf und schleppte sie umgehend in den OP.

Ich schaute unterdessen nach Flügen - ein guter Moment, meine Flugangst zu überwinden, wie mir schien, auf was wollte ich denn noch warten? Schon bei ihrer Hochzeit war ich nicht dabei, aber wenn's ihr an den Kragen gehen sollte, dann muss ich bei ihr sein, was denn sonst? Wie groß mein Entsetzen, als ich darauf hingewiesen wurde, dass ich gar nicht einreisen dürfe und wenn, dann müsse ich 14 Tage in Quarantäne bleiben, jawohl, ich verfluchte dieses Virus, in der Stunde der Not kann ich wegen dieses Scheißdingens nicht bei ihr sein, das ist doch die Höhe!

Was sie hatte: eine hochgradig entzündete, riesige (so groß wie ein Hotdog) Gallenblase, gefüllt mit unzähligen Steinen, die Ärzte standen wegen der abnormen Größe vor einem medizinischen Wunder, anyway. in letzter Sekunde operiert, weil das Platzen stand unmittelbar bevor. 

Als sie aus der Narkose aufwachte und wir das erste Mal wieder sprachen, meinte sie, die Schmerzen seien leider noch schlimmer als vorher und Luft bekam sie immer noch nicht. Ich konferierte mit ihrem Mann, der mindestens ebensoviel Angst hatte wie ich, was wir voreinander geheim hielten und uns überboten mit Geschichten, dass Gallen-OPs die reinste Routine seien, im Normalfall vom Hausmeister eines jeden Krankenhauses zu bewältigen, ein Klacks, alles wird gut, everything will be fine. 

Die Ärzte sagte ihr, sie müsse ein zweites Mal unters Messer, am nächsten Tag. Sie hätte nicht alle Steine entfernen können. Ich wünschte mir enen Oligarchen mit Privatjet und Immunität - aber woher nehmen so kurzfristig?

Am nächsten Tag dann die Wende: MRT ergab, die restlichen Steine hätten sich bereits von selbst auf die Socken gemacht, keine OP nötig, sie könne entlassen werden. Das wurde sie auich und heute saß sie schon wieder für ein paar Stunden im Homeoffice, denn niemand könne, was sie kann, so sind die Personaldecken gestrickt und für sie sei das okay "Guck doch mal, ich kann sogar wieder sitzen und mich nach vorne beugen!" Sie ist schon voll assimiliert. 

Tja, naja, und deshalb schreibe ich erst heute.

Deine Annika

PS: Ich hasse die Kläffe von diesen kleinen Kläffern. Un-er-träg-lich.

Samstag, 4. Juli 2020

Kläffer und Brüller

Liebe Annika,

natürlich fuhr ich den Umzugswagen. Und weil der über eine leistungsstarke Klimaanlage verfügte, hatte ich am nächsten Tag ein Kratzen im Hals, welches ich aber nach Kräften ignorierte. Hat sich dann auch weggeguckt. Denn als Superhero lässt man sich von nichts in die Knie zwingen. 

Deine Einschätzung ist richtig. Ich halte mich für unbesiegbar und ständig mit vollem Tank ausgestattet (im Sinne von Kraft, nicht im Sinne von Suff, das möchte ich bei meiner Familienhistorie ausdrücklich vermerken). Und zwar so lange, bis mir die Luft ausgeht. Dann muss ich in die Reha. Um neu aufzutanken, damit ich direkt im Anschluss wieder unbesiegbar den Larry machen kann. Den Heiopei für alle.

Ganz selbstkritisch muss ich feststellen, dass es mir wirklich Spaß macht, wie ein Batteriehase herumzuhoppeln und die Welt zu retten. Elementar dazu gehört, dabei zu nörgeln, wie anstrengend das ist. Sonst macht es nur halb so viel Freude. Eine kleine Stimme wispert in meinem Kopf: „Was bist du nur für eine dumme Nuss!“. Auf Stimmen im Kopf, das hat mir meine Therapieerfahrung vermittelt, sollte man aber nur bedingt hören.
Die sagen nicht immer die Wahrheit. Und geben nicht die besten Ratschläge. Immerhin verdankt der Vater der Kinder meinem differenzierten Umgang mit Stimmen in meinem Kopf sein Leben. Wenn Du weißt, was ich meine.


Habe ich Dir eigentlich schon geschrieben, wie sehr ich das Wetter schätze? Die Temperatur ist wohligwarm, der Himmel wechselt regelmäßig sein Outfit, das Grünzeug muss nicht über Gebühr gegossen werden, die Regentonne ist voll, der Wald wird nicht von jugendlichen Lauchbeinen in Brand gesteckt, während sie heimlich ihre erste selbstgedrehte (mit Tee aus einem stibitzten Teebeutel von der Omma) Zigarette rauchen. Ich habe sogar kürzlich eine Pfütze entdeckt. Was für ein Erlebnis.

Allein dass es manchmal so drückend ist, könnte ich bemängeln. Aber so ist das im Rheinland nun mal. Links die Eifel, rechts Sauerland und Bergisches Land und dazwischen die Tiefebene. Es sammelt sich allerhand abgestandene Luft in dem Bereich (weshalb die sechsstufige Klimaanlage im Umzugswagen so ungeheuer viel Spaß machte).

Ich mag es auch, den ganzen Tag das Fenster sperrangelweit geöffnet zu haben. Im Augenblick zum Beispiel liege ich auf meinem Bett, meine nackten Füße vergraben sich in meiner weichen, lindgrünen Bettwäsche, das Fenster ist auf, ich schaue auf eine außer Kontrolle geratene Konifere, die versucht, an vorbeiziehenden Wolken zu kratzen, sich rauschend leicht im Wind bewegend. In der Nachbarschaft höre ich die Hunde kläffen.

Es gibt hier mittlerweile sehr viele Hunde. Und sie kläffen. Schräg gegenüber wohnen sogar ein paar Wölfe. Die bellen nicht, die heulen. Also schallt hin und wieder der Ruf des wilden Alaskas aus dem Garten auf der anderen Straßenseite. Die beiden sind natürlich keine reinen Wölfe. Aber sie haben noch sehr viel Wolf in sich.

Nachdem sie mir das erste Mal begegneten, habe ich mir erst einmal ein paar Dokus zum Thema Wolfshybride reingepfiffen. Man möchte schließlich wissen, ob man noch mit rotem Mützchen über die Straße gehen kann oder dadurch sein Schicksal herausfordert.
Inzwischen haben sie schon an meiner Hand geschnüffelt, wir sind also fast befreundet. Sie sind mir sympathisch. Zumindest im Vergleich zu den anderen Tölen der Straße.

Im kleinen Haus gegenüber, dem Haus vom Heckenmeister, der früher immer die Kinder anmeckerte, wenn sie einen Ball in seine Hecke schossen, jetzt aber schon seit zwei Jahren tot und begraben ist, dessen Hecke aber noch steht und aussieht, als wäre auch sie gern begraben, weil schon halb tot, wohnt seit kurzem ein weiterer Kläffer.

Nicht ganz kniehoch, keiner Sorte Hund zugehörig, blafft und bellt und kläfft er in einer Tour. Gehe ich an der Hecke vorbei, fängt er plötzlich an und erschreckt mich sehr übel. Bringe ich den Müll raus, immerhin eine Straßenbreite von ihm entfernt, tut er so, als wäre ich eine Bedrohung für sein Haus, Hof, Revier. Da überkommt mich innerlich schon der Gedanke: „Halt die Fresse, Mistvieh!“

Zumal ich einen so wunderbar schweigsamen Hund habe. Mein Hund kläfft nicht, bellt nicht, nur nachts manchmal, aber das ist mir egal, das höre ich nicht, weil ich zwei Stockwerke höher schlafe. 
Dem Mistvieh hingegen ist jeder Anlass recht, zu randalieren. Und was soll ich Dir sagen? Wieder einmal bestätigt sich die alte Weisheit „Wie der Herr, so`s Gescherr!“
Der Besitzer des Hundes, der neue Nachbar, hat sich auf eine Art und Weise eingeführt, die ihn nicht auf die Auswahlliste zum Nachbarn des Jahres kommen lässt. Erst hat er versucht, durch ständig aufgedrängte Gespräche und Fragen auf eine sehr spezielle, distanzlose und überfreundliche Art und Weise auf die Liste zu kommen. Aber dann...

Ich lag auf dem Bett (ja, meine Güte, ich liege eben öfter mal auf dem Bett, was ist schon dabei?) und sinnierte. Vielleicht schaute ich auch irgendeine komplett bescheuerte Serie. Es kann sein, dass ich dabei einen Lolli lutschte, das würde ich gar nicht abstreiten. Plötzlich wurde meine beschauliche Ruhe gestört von lautem Hupen und anschließendem Gezeter. Ich bin normalerweise gar nicht neugierig. Gut, das ist gelogen. Ich bin neugierig. Darum hing ich Sekunden später mit dem Kopf aus dem Dachfenster und beobachtete folgende Szene:

Der neue, überfreundlich-übereifrige Nachbar stand übergewichtig-dynamisch neben seinem schräg gestellten Auto, pumpte sich gewaltig auf und brüllte auf eine schmächtige, ältere Frau ein, die neben einem Kleintransporter stand und auf den Haufen Sperrmüll des Nachbarn schaute. Aufs Unflätigste beschimpfte der Nachbar sie und sofort ergriff sie die Flucht und sprang in den Kleintransporter, aus dem zur gleichen Zeit ein sehr schmächtiger und hutzeliger alter Mann ausgestiegen war, mit erhobenen Händen auf den Tobenden zuging und dabei versuchte, mit der Aussage: „Alles klar, Cheffe, schon weg“, den Eskalationsfatzke zu beruhigen.

Der wollte sich aber nicht beruhigen und beschimpfte munter weiter, wobei der kleine Mann sich rückwärts zurückzog, um möglichst unbeschadet in seinen Wagen zurückzukommen. 

Der Nachbar brüllte, er wolle die Polizei holen, das wäre Diebstahl (ja, rechtlich gesehen hat er Recht, es wäre Diebstahl seiner angepinkelten Matratze, eines zertrümmerten Schranks, angegammelter Möbelstückchen), seine Frau solle den Hund von der Leine lassen (den kleinen Kläffer, furchterregend) und er brüllte und brüllte, böse Worte fielen.

Und ich? Holte Luft, sammelte Energie tief in mir und entließ einen kräftigen Schrei aus dem Fenster. Rammte ihm seine Brüllerei zurück vor den Kopf.
Wie er denn Bitteschön mit Menschen umgehen würde.
Dass er sofort aufhören solle damit.
Dass sein Verhalten unmöglich wäre.
Dass er die Leute jetzt sofort in Ruhe lassen solle. 

Mit meiner besten Stimme, gelernt von meiner Mutter, bestimmend, hart, unerbittlich. Die Leute flüchteten, der Nachbar brüllte mir noch was zum Fenster hinauf, ich brüllte noch was hinunter und dann war gut.

Es war ein Fest für die restliche Nachbarschaft. Damit hatte ich es auf Seite 1 der Straßenklatschpresse geschafft. Erfreulicherweise waren aber recht viele Menschen der Ansicht, dass der Nachbar ein Vollhonk ist und sich seinen Sperrmüll sonstwohin garnieren soll. Ich überlegte noch ein bisschen, was ich wie hätte anders oder besser machen können. Kam aber zu dem Schluss, et is, wie et is, da mähste nix, und legte die Geschichte beiseite. 
Mehr oder weniger.

Denn jedesmal, wenn der Hund jetzt kläfft, denke ich daran, wie der Nachbar, dieses wandelnde Klischee in Shorts, Socken und Sandalen, mit Bierbauch, grauem Bart und schmuddeligem Hemd, nach dem Hund brüllte, der von der Leine gelassen werden sollte.
Der Hund, der immer kläfft.

Nur in dem Augenblick, als sein Herr und Meister ihn als angriffslustigen Kampfhund präsentieren wollte, da war kein Ton zu hören von der wilden Bestie. Die versteckte sich hinter den Beinen der Nachbarsfrau, welche entschuldigend die Schultern und Hände hob.
Was für ein Mini-Trump, dieser Mann.

Hast Du auch so eine spannende Umgebung? Und hängst Du auch gern am Fenster und schaust, was so los ist? Ich besorge mir demnächst für mein Fensterbrett ein Kissen, darauf lege ich dann meine Unterarme und Brüste und kommentiere, was so auf der Straße passiert. Hoffentlich finde ich dann noch Zeit, Dir zu schreiben. Und zu retten. Meinen eigenen Hund zum Beispiel. Der gestern wegen einer Gesichtsdeformation zum Tierarzt musste. Aber das erzähle ich Dir ein anderes Mal.

Hab ein wunderschönes Wochenende,
Deine Lavendel