Mittwoch, 8. Juli 2020

Wie ich beinahe nach Amerika geflogen wäre

Du meine Güte, Lavendelchen, in dir steckt also auch so eine furchterregende Wut, die zum Ausbruch kommt, sobald sich ein Arschloch an fragil-wehrlosen Mitmenschen abarbeiten will. 

Tja, wir sind Seelenverwandte, denn auch ich kann die schlimmsten Gewalttäter vertreiben, allein mit meiner Stimme, die lassen ihre Opfer sofort los, echt, das ist mehrmals passiert, unter Zeugen, mitten in der Nacht, wenn ich aus dem Schlaf hochfuhr, weil draußen vor der Tür eine Frau verprügelt wurde (in Moabit, wo ich früher mal wohnte, kam das leider öfter vor), mich ans Fenster stellte und mit aller mir zur Verfügung stehenden eisigen Aggressivität rief, dass sie SOFORT, UMGEHEND, ABER PLÖTZLICH, etc. Die liefen weg, wirklich. Irgendwas schauerliches lauert in mir, obwohl ich sonst eine Stimme im steten Deeskalationsmodus habe, wie mir mal mein Chorleiter bescheinigte, immer sanft und seidig. Aber wehe, in meiner Nähe wird jemandem ein Leid angetan. Hm. 

Was eint uns noch? Natürlich! Die offenen Fenster. Tag und Nacht habe ich alles offen. Ich kühle gerne runter. Gegen Wind und Regen habe ich auch nichts. Ich bin ganz begeistert von diesem Sommer, der recht nass ist, Gottseidank. Ob das schon reicht, um den Wald zu retten, man weiß es nicht. 

Ich hatte leider kein schönes Wochenende, deshalb schreibe ich auch erst heute. Meine liebste Freundin, die nach Amerika gezogen ist vor fast einem Jahrzehnt, schrieb mir am Freitag "Mir geht es ziemlich schlecht, ich fahre jetzt ins Krankenhaus." Ich selbst laborierte an Hals-und Gliederschmerzen herum und sah mich bereits im Corona-Beatmungs-Koma, aber ein echter Notfall lässt mich eigene Zipperlein vergessen. Ich war in heller Aufruhr, denn sie geht für gewöhnlich mit Kopf unterm Arm ins Büro. 

Über Face Time konnte ich genau sehen, wie schlecht es ihr ging. Gesicht vom Schmerz gezeichnet und zerüttet, seit einer Woche quälte sie sich schon herum, aber nun würden die Schmerzen doch in Richtung unerträglich ausschlagen. Sie japste das alles mehr, als das sie sprach. Extrem kurzatmig und aufstehen konnte sie auch kaum noch.

Ihr Mann machte kurzen Prozess und fuhr sie ins Krankenhaus (nachdem sie schon ein paar Tage zuvor wieder heimgeschickt wurden von einem Arzt, der befand, sie sei noch nicht reif für die Emergency). Morgens um 3 Uhr bekam sie ein Bett und am nächsten Tag ein MRT. Aber da war dann Sonntag und kein Arzt vor Ort. Montag früh dann, sie unter Morphium (das aber kaum half), schaute der erste Arzt drauf und schleppte sie umgehend in den OP.

Ich schaute unterdessen nach Flügen - ein guter Moment, meine Flugangst zu überwinden, wie mir schien, auf was wollte ich denn noch warten? Schon bei ihrer Hochzeit war ich nicht dabei, aber wenn's ihr an den Kragen gehen sollte, dann muss ich bei ihr sein, was denn sonst? Wie groß mein Entsetzen, als ich darauf hingewiesen wurde, dass ich gar nicht einreisen dürfe und wenn, dann müsse ich 14 Tage in Quarantäne bleiben, jawohl, ich verfluchte dieses Virus, in der Stunde der Not kann ich wegen dieses Scheißdingens nicht bei ihr sein, das ist doch die Höhe!

Was sie hatte: eine hochgradig entzündete, riesige (so groß wie ein Hotdog) Gallenblase, gefüllt mit unzähligen Steinen, die Ärzte standen wegen der abnormen Größe vor einem medizinischen Wunder, anyway. in letzter Sekunde operiert, weil das Platzen stand unmittelbar bevor. 

Als sie aus der Narkose aufwachte und wir das erste Mal wieder sprachen, meinte sie, die Schmerzen seien leider noch schlimmer als vorher und Luft bekam sie immer noch nicht. Ich konferierte mit ihrem Mann, der mindestens ebensoviel Angst hatte wie ich, was wir voreinander geheim hielten und uns überboten mit Geschichten, dass Gallen-OPs die reinste Routine seien, im Normalfall vom Hausmeister eines jeden Krankenhauses zu bewältigen, ein Klacks, alles wird gut, everything will be fine. 

Die Ärzte sagte ihr, sie müsse ein zweites Mal unters Messer, am nächsten Tag. Sie hätte nicht alle Steine entfernen können. Ich wünschte mir enen Oligarchen mit Privatjet und Immunität - aber woher nehmen so kurzfristig?

Am nächsten Tag dann die Wende: MRT ergab, die restlichen Steine hätten sich bereits von selbst auf die Socken gemacht, keine OP nötig, sie könne entlassen werden. Das wurde sie auich und heute saß sie schon wieder für ein paar Stunden im Homeoffice, denn niemand könne, was sie kann, so sind die Personaldecken gestrickt und für sie sei das okay "Guck doch mal, ich kann sogar wieder sitzen und mich nach vorne beugen!" Sie ist schon voll assimiliert. 

Tja, naja, und deshalb schreibe ich erst heute.

Deine Annika

PS: Ich hasse die Kläffe von diesen kleinen Kläffern. Un-er-träg-lich.

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