Samstag, 4. Juli 2020

Kläffer und Brüller

Liebe Annika,

natürlich fuhr ich den Umzugswagen. Und weil der über eine leistungsstarke Klimaanlage verfügte, hatte ich am nächsten Tag ein Kratzen im Hals, welches ich aber nach Kräften ignorierte. Hat sich dann auch weggeguckt. Denn als Superhero lässt man sich von nichts in die Knie zwingen. 

Deine Einschätzung ist richtig. Ich halte mich für unbesiegbar und ständig mit vollem Tank ausgestattet (im Sinne von Kraft, nicht im Sinne von Suff, das möchte ich bei meiner Familienhistorie ausdrücklich vermerken). Und zwar so lange, bis mir die Luft ausgeht. Dann muss ich in die Reha. Um neu aufzutanken, damit ich direkt im Anschluss wieder unbesiegbar den Larry machen kann. Den Heiopei für alle.

Ganz selbstkritisch muss ich feststellen, dass es mir wirklich Spaß macht, wie ein Batteriehase herumzuhoppeln und die Welt zu retten. Elementar dazu gehört, dabei zu nörgeln, wie anstrengend das ist. Sonst macht es nur halb so viel Freude. Eine kleine Stimme wispert in meinem Kopf: „Was bist du nur für eine dumme Nuss!“. Auf Stimmen im Kopf, das hat mir meine Therapieerfahrung vermittelt, sollte man aber nur bedingt hören.
Die sagen nicht immer die Wahrheit. Und geben nicht die besten Ratschläge. Immerhin verdankt der Vater der Kinder meinem differenzierten Umgang mit Stimmen in meinem Kopf sein Leben. Wenn Du weißt, was ich meine.


Habe ich Dir eigentlich schon geschrieben, wie sehr ich das Wetter schätze? Die Temperatur ist wohligwarm, der Himmel wechselt regelmäßig sein Outfit, das Grünzeug muss nicht über Gebühr gegossen werden, die Regentonne ist voll, der Wald wird nicht von jugendlichen Lauchbeinen in Brand gesteckt, während sie heimlich ihre erste selbstgedrehte (mit Tee aus einem stibitzten Teebeutel von der Omma) Zigarette rauchen. Ich habe sogar kürzlich eine Pfütze entdeckt. Was für ein Erlebnis.

Allein dass es manchmal so drückend ist, könnte ich bemängeln. Aber so ist das im Rheinland nun mal. Links die Eifel, rechts Sauerland und Bergisches Land und dazwischen die Tiefebene. Es sammelt sich allerhand abgestandene Luft in dem Bereich (weshalb die sechsstufige Klimaanlage im Umzugswagen so ungeheuer viel Spaß machte).

Ich mag es auch, den ganzen Tag das Fenster sperrangelweit geöffnet zu haben. Im Augenblick zum Beispiel liege ich auf meinem Bett, meine nackten Füße vergraben sich in meiner weichen, lindgrünen Bettwäsche, das Fenster ist auf, ich schaue auf eine außer Kontrolle geratene Konifere, die versucht, an vorbeiziehenden Wolken zu kratzen, sich rauschend leicht im Wind bewegend. In der Nachbarschaft höre ich die Hunde kläffen.

Es gibt hier mittlerweile sehr viele Hunde. Und sie kläffen. Schräg gegenüber wohnen sogar ein paar Wölfe. Die bellen nicht, die heulen. Also schallt hin und wieder der Ruf des wilden Alaskas aus dem Garten auf der anderen Straßenseite. Die beiden sind natürlich keine reinen Wölfe. Aber sie haben noch sehr viel Wolf in sich.

Nachdem sie mir das erste Mal begegneten, habe ich mir erst einmal ein paar Dokus zum Thema Wolfshybride reingepfiffen. Man möchte schließlich wissen, ob man noch mit rotem Mützchen über die Straße gehen kann oder dadurch sein Schicksal herausfordert.
Inzwischen haben sie schon an meiner Hand geschnüffelt, wir sind also fast befreundet. Sie sind mir sympathisch. Zumindest im Vergleich zu den anderen Tölen der Straße.

Im kleinen Haus gegenüber, dem Haus vom Heckenmeister, der früher immer die Kinder anmeckerte, wenn sie einen Ball in seine Hecke schossen, jetzt aber schon seit zwei Jahren tot und begraben ist, dessen Hecke aber noch steht und aussieht, als wäre auch sie gern begraben, weil schon halb tot, wohnt seit kurzem ein weiterer Kläffer.

Nicht ganz kniehoch, keiner Sorte Hund zugehörig, blafft und bellt und kläfft er in einer Tour. Gehe ich an der Hecke vorbei, fängt er plötzlich an und erschreckt mich sehr übel. Bringe ich den Müll raus, immerhin eine Straßenbreite von ihm entfernt, tut er so, als wäre ich eine Bedrohung für sein Haus, Hof, Revier. Da überkommt mich innerlich schon der Gedanke: „Halt die Fresse, Mistvieh!“

Zumal ich einen so wunderbar schweigsamen Hund habe. Mein Hund kläfft nicht, bellt nicht, nur nachts manchmal, aber das ist mir egal, das höre ich nicht, weil ich zwei Stockwerke höher schlafe. 
Dem Mistvieh hingegen ist jeder Anlass recht, zu randalieren. Und was soll ich Dir sagen? Wieder einmal bestätigt sich die alte Weisheit „Wie der Herr, so`s Gescherr!“
Der Besitzer des Hundes, der neue Nachbar, hat sich auf eine Art und Weise eingeführt, die ihn nicht auf die Auswahlliste zum Nachbarn des Jahres kommen lässt. Erst hat er versucht, durch ständig aufgedrängte Gespräche und Fragen auf eine sehr spezielle, distanzlose und überfreundliche Art und Weise auf die Liste zu kommen. Aber dann...

Ich lag auf dem Bett (ja, meine Güte, ich liege eben öfter mal auf dem Bett, was ist schon dabei?) und sinnierte. Vielleicht schaute ich auch irgendeine komplett bescheuerte Serie. Es kann sein, dass ich dabei einen Lolli lutschte, das würde ich gar nicht abstreiten. Plötzlich wurde meine beschauliche Ruhe gestört von lautem Hupen und anschließendem Gezeter. Ich bin normalerweise gar nicht neugierig. Gut, das ist gelogen. Ich bin neugierig. Darum hing ich Sekunden später mit dem Kopf aus dem Dachfenster und beobachtete folgende Szene:

Der neue, überfreundlich-übereifrige Nachbar stand übergewichtig-dynamisch neben seinem schräg gestellten Auto, pumpte sich gewaltig auf und brüllte auf eine schmächtige, ältere Frau ein, die neben einem Kleintransporter stand und auf den Haufen Sperrmüll des Nachbarn schaute. Aufs Unflätigste beschimpfte der Nachbar sie und sofort ergriff sie die Flucht und sprang in den Kleintransporter, aus dem zur gleichen Zeit ein sehr schmächtiger und hutzeliger alter Mann ausgestiegen war, mit erhobenen Händen auf den Tobenden zuging und dabei versuchte, mit der Aussage: „Alles klar, Cheffe, schon weg“, den Eskalationsfatzke zu beruhigen.

Der wollte sich aber nicht beruhigen und beschimpfte munter weiter, wobei der kleine Mann sich rückwärts zurückzog, um möglichst unbeschadet in seinen Wagen zurückzukommen. 

Der Nachbar brüllte, er wolle die Polizei holen, das wäre Diebstahl (ja, rechtlich gesehen hat er Recht, es wäre Diebstahl seiner angepinkelten Matratze, eines zertrümmerten Schranks, angegammelter Möbelstückchen), seine Frau solle den Hund von der Leine lassen (den kleinen Kläffer, furchterregend) und er brüllte und brüllte, böse Worte fielen.

Und ich? Holte Luft, sammelte Energie tief in mir und entließ einen kräftigen Schrei aus dem Fenster. Rammte ihm seine Brüllerei zurück vor den Kopf.
Wie er denn Bitteschön mit Menschen umgehen würde.
Dass er sofort aufhören solle damit.
Dass sein Verhalten unmöglich wäre.
Dass er die Leute jetzt sofort in Ruhe lassen solle. 

Mit meiner besten Stimme, gelernt von meiner Mutter, bestimmend, hart, unerbittlich. Die Leute flüchteten, der Nachbar brüllte mir noch was zum Fenster hinauf, ich brüllte noch was hinunter und dann war gut.

Es war ein Fest für die restliche Nachbarschaft. Damit hatte ich es auf Seite 1 der Straßenklatschpresse geschafft. Erfreulicherweise waren aber recht viele Menschen der Ansicht, dass der Nachbar ein Vollhonk ist und sich seinen Sperrmüll sonstwohin garnieren soll. Ich überlegte noch ein bisschen, was ich wie hätte anders oder besser machen können. Kam aber zu dem Schluss, et is, wie et is, da mähste nix, und legte die Geschichte beiseite. 
Mehr oder weniger.

Denn jedesmal, wenn der Hund jetzt kläfft, denke ich daran, wie der Nachbar, dieses wandelnde Klischee in Shorts, Socken und Sandalen, mit Bierbauch, grauem Bart und schmuddeligem Hemd, nach dem Hund brüllte, der von der Leine gelassen werden sollte.
Der Hund, der immer kläfft.

Nur in dem Augenblick, als sein Herr und Meister ihn als angriffslustigen Kampfhund präsentieren wollte, da war kein Ton zu hören von der wilden Bestie. Die versteckte sich hinter den Beinen der Nachbarsfrau, welche entschuldigend die Schultern und Hände hob.
Was für ein Mini-Trump, dieser Mann.

Hast Du auch so eine spannende Umgebung? Und hängst Du auch gern am Fenster und schaust, was so los ist? Ich besorge mir demnächst für mein Fensterbrett ein Kissen, darauf lege ich dann meine Unterarme und Brüste und kommentiere, was so auf der Straße passiert. Hoffentlich finde ich dann noch Zeit, Dir zu schreiben. Und zu retten. Meinen eigenen Hund zum Beispiel. Der gestern wegen einer Gesichtsdeformation zum Tierarzt musste. Aber das erzähle ich Dir ein anderes Mal.

Hab ein wunderschönes Wochenende,
Deine Lavendel


2 Kommentare:

  1. OMG, jetzt bin ich aber neugierig, das Hundchen hat eine Gesichtsdeformation? Bienenstich? Allergie? cliffhänger...das lieb ich ja.
    Meine Nachbarn, und der hab ich viele, wohne ja in einem Mehrfamilienhaus, kenne ich sogar nach Jahren kaum. Und wenn man mal passiert, war ich garantiert nicht zu Hause. Weder als der erwachsene Sohn des Hausmeisters Ärger mit seiner Ex hatte und heulte und zetterte und angeblich Klamotten auf die Straße flogen, noch als der betrunkene andere Nachbarsjunge die Hecke vor unserem Parkplatz touchierte und dabei unser Schild etwas verbog, noch die angeblich vielen Anlässe als meine direkte Nachbarin Besuch von der Polizei bekam, weil ein Riesenstreit mit ihrem damaligen Freund in Gange war....ich verpasse immer alles. Meine Tochter kennt jeden Wagen bzw. weiß genau, wem welches Auto gehört. Ich kenne den Wagen meiner Nachbarin und noch 2 andere und damit hört es auch schon bei mir auf. Ich grübele ewig lange nach den Namen der Nachbarn, es kann aber auch sein, dass die mir einfach egal sind.
    Dabei bin ich von Haus aus auch neugierig. Ich bin halt leider nie da, wenn was interessantes passiert..

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  2. Ja, eine Gesichtsschwellung. Kopfschwellung. Das Auge ging kaum mehr auf. Und das Hündchen weinte, wenn man den Kopf anfassen wollte. Was genau es war? Man weiß es nicht. Aber nun ist es wieder gut.

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