Dienstag, 19. Oktober 2021

Zwischenstand

Dieser Tage mit Frau Lavendel telefoniert. 

Wir haben uns im letzten Jahr Dinge für 2021 vorgenommen, die alle schon in die Tat umgesetzt sind. Niemand ist darüber erstaunter als wir beide. 

Nun haben wir neue Ziele für 2022 avisiert. 

Wir können derzeit nicht bloggen; uns geht's zu gut. Erst ging's uns zu schlecht und jetzt ist alles anders und zwar sehr anders und das müssen wir genießen. 

Wir bitten um Geduld.

Sonntag, 13. Juni 2021

Dramadichte durch untreue Ehemänner und Zweitimpfungen

Whow, dein Mann treibt's auf die Spitze.

Aber gestatte mir, Teuerste, dass er wirklich nur deshalb in eurem Haus die Kommunikation zu dir einstellt, um sie mit der Brotspinne vor deinem Auge und Ohr zu intensivieren, weil du ihm das erlaubst, vollkommen sanktionsfrei und ohne jede Rücksicht auf deine Befindlichkeiten trampelt er jeden Tag aufs Neue auf deinem Herzen herum, macht aus der Mutter seiner Kinder einen Menschen, dem er nicht den geringsten Respekt zu zollen bereit ist. Und die Kinder sehen das auch, musst du wissen.

Was immer dich davon abhält, zurückzubrüllen und ihn hochkant vor die Tür zu setzen - du wirst deine Gründe haben, die niemand sonst verstehen muss. Dennoch mein Rat: warte nicht passiv ab, bis diese Memme eines Tages womöglich doch die Kraft findet, dich zu verlassen. Du würdest spätestens zwei Jahre später unverzeihlich finden, dass du ihm lediglich waidwund geschossene Rehaugen geboten hast als Antwort auf all diesen Scheiß. Und würdest dich weitere zwei Jahre mit Fantasien beschäftigen, was du stattdessen alles hättest sagen und tun müssen. 

Das bindet ja alles unnötig Energien, die du besser in deine Karriere stecken solltest, oder meinetwegen in die Selbstoptimierung oder weitere Schutzimpfungen oder in Spontanreisen nach Berlin. 

Themenwechsel: ich bin auch zum zweiten Mal geimpft worden und was soll ich dir sagen? Ich habe einen 1 A Notfalleinsatz hingelegt. Eine Minute nach der Spritze wurde mir auf einmal brüllend heiß, das fing in den Fußspitzen an und ging in Lichtgeschwindigkeit hoch in jede Haarspitze, mein Herz fing an zu hämmern, mir wurde schwummerig - aber dank kenntnisreichem Einsatz von Schulmedizin beruhigte sich von einer Minute auf die andere alles in mir, als ob nie was gewesen wäre. Absolute Ruhe nach dem Sturm in mir. So stelle ich mir einen Horrortrip vor. 

Den Rest des Tages habe ich zittrig auf dem Sofa gelegen. Naja, da war die Wirkung der Usedom-Woche gleich ein bissel neutralisiert, muss ich dir sagen - aber ich will mich absolut nicht beklagen, weil ich immer noch froh bin, dass meine bhdw (=beste Hausärztin der Welt) das in den Griff bekommen hat. 

Es gibt noch weitere Neuigkeiten, aber für heute reicht's erstmal, nicht wahr?

Sei umarmt, mein Goldstück

Deine Annika

Samstag, 12. Juni 2021

Flying high

 

Meine Liebste, 

Usedom! Am Meer. Im Urlaub! Ich bin begeistert. Wie gern würde ich mich auf mein Pony schwingen und zu Dir geritten kommen. Wir würden uns in einem Strandkorb verlustieren und dabei kühle Getränke zu uns nehmen. Wenn es nicht regnet. Selbst wenn, dann würden wir warme Getränke konsumieren. 

Hach, wie schön das wäre. Und wir würden Bücher tauschen.

 Ich könnte Dir anbieten: 

„Kingsbridge“ vom ollen Folletts Ken. Ich würde es Dir auch nur anbieten, aber nicht empfehlen, denn ich lese es schon seit 3 Wochen, bin auf Seite 93 und fand es bereits auf Seite 20 erbärmlich. 

Wenn ich bedenke, dass dieser Vogel Millionen dafür bekommt, frage ich mich, warum? Die Figuren sind alle schon einmal da gewesen, es ist langweilig, der Stil ist lahm, es wirkt ungelenk geschrieben. 

Edgar, Eadbald, Erman, Dreng, Den, Degbert, Wigelm, Wilwulf, Wynstan, Gab und Blod. Es tummeln sich Figuren, noch und nöcher, ich kann sie mir nicht merken. Ich glaube, Ken konnte das auch nicht. Gleich am Anfang tauchen die drei Brüder auf, wie hießen sie noch gleich? Nicht Tick, Trick und Track, so ähnlich. Egal. Ich würde es Dir anbieten. Kannst aber auch Kraniche aus den Seiten falten. Oder einen feinen Joint drehen. Mir egal. Ich werde es vermutlich nie fertig lesen


„Vom Aufstehen“ von Helga Schubert. Die Follett-strapazierten Windungen lehnen sich aufatmend zurück und sagen: Danke. Besser. 

Und wie wäre es mit Sachliteratur? „Die Macht der Affäre“ von Esther Perel.  Ich möchte mich ja weiterbilden, was den Bereich des Betrügens, Betrogenwerdens und allem, was dazugehört angeht. Und gern aus Therapeutensicht. 

Wirklich ans Herz legen würde ich Dir aber „Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke für den Hausbedarf der Leser“. Für jedes schlimme Weh passende Worte. 

Seeluft ist aber auch unschlagbar für die Gesundheit. 

Meine wurde etwas strapaziert durch die zweite Impfung. Der Arm war ganz schön schwer und einen Tag lag ich auf dem Sofa herum. Natürlich erst nach der Arbeit. Dort hatte ich mich hin- und durchgeschleppt, was aber für mich in Ordnung war. Denn früher war es viel schrecklicher. Krank sein und trotzdem mit drei kleinen Kindern zuhause, das war übel. Dagegen ist Impfnebenwirkung in Kombination mit Arbeit richtig pillepalle. 

Aber nun bin ich durchgeimpft. Bisher hat mich keine Stimme im Kopf höflich darum gebeten, etwas unbotmäßiges zu tun. Und das Handy hat keine Macht über mich. Also nicht mehr als vorher. Mir wächst nur der ganz normale Bart (Brüste? Bei Männern? Erinnert mich daran, dass ich früher so gern mal dicke Brüste berühren wollte, die Männer, die ich berührte aber für dicke Brüste noch viel zu jung waren, und wie das jetzt in meinen Kopf kam, kann ich erklären, mit dicken Männerbrüsten hast eindeutig Du angefangen. Also echt.) und kein Ringelschwänzchen (keine weiteren Asoziationskettten  von mir für Dich, mach Dir selber welche.).


Jetzt hoffe ich, dass mir eine Infektion mit welcher Variante auch immer erspart bleibt. Ob ich jetzt irgendwo hinein darf, ob Land, Laden oder Restaurant, ist mir ziemlich egal. Ich möchte nur einfach keine 40 Grad Körpertemperatur bekommen. Das hatte ich schon einmal im Rahmen einer HIB- Infektion. Zusammen mit drei Kindern. Gab Lungenentzündung für alle durch diese ollte Bazille und nur einer war gesund geblieben. Der konnte jeden Tag dreimal durch das Haus laufen, mit gezücktem Löffel, und Schlangensaft verteilen. 40 Grad Temperatur ist für meine Nerven zuviel. Die feuern dann elektrischen Bullshit durch mein Hirn, mein Restkörper reagiert mit infantilem Verhalten (Verweigerung der Mitarbeit in der Muskelbewegung und solche Sachen), das möchte ich nicht noch einmal erleben. Wochenlang habe ich herumgekrepelt, bevor ich einigermaßen einen Schritt vor den anderen setzen konnte. Und dieses Geröchel wegen der Kurzatmigkeit will ich gar nicht mehr erinnern. Da blähen sich immer die Nasenflügel auf, weil sie versuchen, jedes Sauerstoffatom durchzulassen, das nur geht, damit die Grundversorgung nicht komplett den Bach runtergeht. 


Aber lass uns bitte das Thema wechseln. Wir könnten uns zur Abwechslung einmal dem Ehemann zuwenden. Und der Brotspinne. Denn denke nicht, dass hier der eitle Sonnenschein ausgebrochen wäre. Eine Bilderbuchehe. Ein Happy End. Mitnichten. Es bleibt belastend. 

Meine Gebetsmühle dröhnt wieder laut in meinem Kopf. Sie rumpelt und pumpelt ganztägig:

„Ach, täte er doch mehr reden.“ jault die eine. „Never ever, das weißt du!“ kreischt  Nummer zwei. Und so plärren sie sich an und ich hocke dazwischen. Wie schön die Momente, in denen Ruhe ist, weil ich mich auf der Arbeit mit komplizierten Dingen befasse. Rechenaufgaben zum Beispiel. Dieses Wochenende habe ich mir sogar eine mit nach Hause genommen, weil es mich so trefflich ablenkt davon, dass ich mit einem Schweigefuchs verheiratet bin. 

Wobei, Worte hat er schon. Nur nicht für mich. Für die Brotspinne sehr wohl. Wobei, kürzlich fand ich ihn in tiefem Kummer versunken. Ich glaube, die Brotspinne hat ihm gesagt, es reicht jetzt mit der Whatsappbeziehung. Ja, ich habe seine Tränen gesehen, mich anbrüllen lassen, ich solle ihn in Ruhe lassen, bin davongeschwebt, leise, still und lächelnd. Und gönne ihm jede Träne, gönne ihm allen Schmerz dieser Welt. Und reiche ihm gern ein Salzfass, mit dem er sich die Herz-Wunde würzen kann. Oder eine Chilischote, wenn er sich die tränenumflorten Augen reibt. 

Seitdem schwebe ich dauerhaft. Betrachte alles von recht weit oben. Und frage mich, wann ich den Schritt tue, ganz heraus aus unserer Gemeinsamkeit. 

Denn ich muss keine Angst haben. Vor nichts. Den schlimmsten Schmerz hatte ich schon. 

Und weil es gerade so schön ist, dieses Gefühl, das ich habe, ende ich und höre ein bisschen Rocket Man. 

Liebste Grüße von Deinem Schwebeteilchen



Donnerstag, 3. Juni 2021

Usedom is calling

Corona-Sommerurlaub: Niedersachsen verfolgt furiosen Plan - weiteres  Bundesland zieht mit | Welt

Mein Augenstern,

bevor ich morgen nach Usedom enteile, beginne ich meinen ersten Urlaubstag, dir endlich zu antworten.

So eine Augenuntersuchung hatte ich auch mal, wo einem was reingetropft wird. Das war ganz furchtbar für eine Hypochonderin wie mich, die jeden Mini-Pups in ihrem Körper beobachtet und beachtet, als würde Armageddon ausbrechen. Nicht nur, dass man über Stunden kein Licht mehr ertragen kann, die ganze Welt wabert um einen herum und gerät aus den Fugen. Es waren schlimme Stunden. Seither war ich sicherheitshalber auch nie wieder beim Augenarzt. 

Aber wie wir neulich schon spruchen: nie zum Arzt gehen ist auch keine Lösung, wie ich nun feststellen musste. Ab einem bestimmten Alter muss auch ein Schisser wie ich mal hin, sonst rächt sich das und man hat den Salat. 

Anyway: das Leben birgt so einige Überraschungen gerade. Ganz tolle, unerwartete Sachen passieren. Und einige saublöde. So hält sich das die Waage - und nun wird endlich Sommer und ich summe wie eine geschäftige Biene wieder los und bevölkere die Außengastronomie. Herrlich! Bald bin ich zum zweiten Mal geimpft und ich bin froh, dass ich kein junger Mann im Alter 16-19 bin, denn die bekommen 'vom guten Zeug' Herzmuskelentzündungen, wie ich eben in der Zeitung lese.

Ich war sogar auf Stippvisite bei meinem Mütterlein, als Überraschung. Eine Freundin fuhr für eine Nacht nach Goslar und ich bat sie, mich im Kaff abzusetzen. Eine halbe Stunde vor Ankunft rief ich meine Mutter an, sie solle mal den Kaffee aufsetzen, in einer halben Stunde sei ich da. Sie hat beinah einen Herzinfarkt vor Freude bekommen (Lernkurve: das nächste Mal etwas früher anrufen, sonst wird sie doch nicht 100). Mit jeder Menge Holunderbeergelee ging's wieder zurück nach Berlin.

Ihr zu Ehren habe ich meinen ersten Schnelltest gemacht. Verrückte Welt: in diesem windigen Frühjahr steht man vor Zelten herum, füllt wehende Fragebögen aus, lässt sich von 19-21 jährigen Menschen in der Nase herumbohren und drückt sich dann 10 Minuten vor Schaufenstern herum, bis man sein Zertifikat abholen kann, um Dinge zu tun, über die man sich früher keine Gedanken gemacht hat. 

Gestern war ich live dabei, wie ein Mann ein positives Ergebnis verkündet bekam. Er nahm das bedröppelt und tonlos entgegen und dann wurde er gebeten zu warten (worauf nur?) und sich etwas abseits zu stellen. Als ich nach 10 Minuten mein Ergebnis abholte, stand er noch immer abseits. Eigentlich geht das aus Datenschutzgründen gar nicht, so eine Diagnose in aller Öffentlichkeit, hörbar für alle Umstehenden - oder bin ich da zu empfindlich?

Wenn's dich die nächsten Tage zufällig nach Usedom verschlägt - ich hätte nix dagegen. Wo wir nun schon mal beide Urlaub haben. Ich bin mit einer Freundin in einer superschönen Luxus- und coronagemäßen Wohnung eingebucht: 2 Schlafzimmer, 2 Bäder, 2 Balkone plus ein riesiges Zimmer der Begegnung in einer dieser alten Villen mit Meerblick. WLAN soll's geben, aber auf Usedom funktioniert das nie. Ich nehme alle ungelesenen Bücher mit:

Ella Werner: Der Untergang des Abendkleides
Alexander Gorkow: Die Kinder hören Pink Floyd
Curtis Sittenfeld: Hillary
Juli Zeh: Über Menschen

Das wird fein!

Nun zur Beantwortung: 

1) Die Tochter hat heute die Mathe-Abiklausur erledigt. Hauptsache keine sechs. (Meine Rede seit '45)

2) Meine Hormone machen absurde Sachen mit meinem Körper (Bart? Bauchweh? Blutsturz?) (Vor allem das mit dem Bart, ich muss schon andauernd zupfen. Aber Männer bekommen Brüste, auch nicht schön)

3) Ich habe mir eine Geschichte über einen sehr langen und sehr dicken Regenwurm ausgedacht. (Der Seelenklempner hätte eine Freude an dir)

4) Ich bin halb geimpft. (Me too. Erstimpfung komplikationslos)

5) Die Brotspinne verliert an Konturen für mich. Aber nicht nur sie. (Ich gratuliere. Du bist auf dem Weg der Besserung)

6) Ich möchte mehr schreiben, aber ich weiß gerade nicht, wie das geht. (Mir geht es leider ähnlich. Wird schon wieder)

Und danke für den unglaublich guten Rat deines Augenarztes. Ich werde ihn beherzigen, so gut es geht.  

Stets die deine
Annika

Montag, 17. Mai 2021

Ich sehe wohl nicht richtig

 Meine herzliebste Annika,


wo ich gerade hier herumliege, an meinem ersten Urlaubstag, und ja, ich habe Urlaub, wie so eine echte Arbeitnehmerin, weil ich genau das bin, eine Arbeitnehmerin, und mich immer noch darüber wundern kann, dass ich so viele Stunden in der Woche aushäusig bin, aber egal, jetzt zentriere ich mich und komme zum Thema, wo ich herumliege, stellt sich mir die Frage:

Sehe ich nicht richtig?

Und die Antwort lautet: Nö. Ich sehe wirklich nicht richtig. Alles ist verschwommen und ich kneife das rechte Auge zu. Möchtest Du wissen, warum das so ist? Nun, ich war beim Augenarzt und bekam alle 20 Minuten Flüssigkeiten ins Auge. Und dadurch habe ich eine Pupille bekommen, groß wie ein... keine Ahnung. Groß eben. Sieht lustig aus. Links normal, rechts tiefes Schwarz. Alles ist verdammt hell heute, weil so schrecklich viel Licht in meinen Kopf hineinkommt, durch diese riesig geweitete Pupille. Ich kann den Anblick einer weißen Wand nicht ertragen und bin zufrieden mit dem gedeckten Grau des Tages, Kommt mir sehr entgegen. 

Und wofür das Ganze?

Um mir vom Augenarzt sagen zu lassen: "Alles halb so schlimm, es handelt sich hier bei Ihnen um eine Alterserscheinung." Wie Bitte?? "Der Glaskörper ist nicht mehr so elastisch und prall und darum kommt etwas Raum zwischen das Dingens und das Dingsda und da sind Eintrübungen und die bewegen sich jetzt und das macht, dass Sie Punkte und Schlieren und Verfärbungen sehen, die Ihnen lustig durch das Sichtfeld schwimmen."

Erleichternd ist, ich werde nicht blind. Danke dafür. Und es ist keine andere Krankheit, die mir auf den Sehnerv geht. Ich habe keinen Tumor. Gute Sache. Aber Alterserscheinung? Wo ich doch im Moment immer bestrebt bin, so zu tun als wäre ich jung, dynamisch und gut drauf? Mein Augapfel ist nicht mehr elastisch? Was erlauben Augapfel? Wenn ich mich mal anschaue, ich meine objektiv betrachte, dann kommt mir schon der Verdacht, der Augapfel, der Glaskörper, das Glubbschibubbschi ist nicht das Einzige, was an Elastizität eingebüßt hat, in den letzten Jahren. Meine alte Dame, mit der ich regelmäßig Sport mache und die nun schon gut über 90 Jahre durch hat, erzählte mir letztens erst von plissierten Oberschenkeln und ich wusste auch gleich, was sie meinte. 

Nun liege ich also in meinem Bett, nachdem ich einen Vormittag meines Urlaubs in einer Achtzigerjahre Revival Augenarztpraxis verbracht habe und schaue verschwommen. Und da dachte ich mir, das ist genau die Gelegenheit, Dir eine kleine Post zukommen zu lassen. Nur leider stellt sich so langsam heraus, dass mein Auge und ich nicht auf einer Wellenlänge liegen. Darum fasse ich mich für den Rest sehr kurz, bevor Glubbschi implodiert oder ich dehydriert durch das Triefauge zusammenbreche.

1) Die Tochter hat heute die Mathe-Abiklausur erledigt. Hauptsache keine sechs.

2) Meine Hormone machen absurde Sachen mit meinem Körper (Bart? Bauchweh? Blutsturz?)

3) Ich habe mir eine Geschichte über einen sehr langen und sehr dicken Regenwurm ausgedacht.

4) Ich bin halb geimpft.

5) Die Brotspinne verliert an Konturen für mich. Aber nicht nur sie.

6) Ich möchte mehr schreiben, aber ich weiß gerade nicht, wie das geht. 

Alles in allem würde ich sagen, komm, wir machen jetzt erstmal weiter mit dem Leben und gucken, wie die Lage in 10 Jahren ist. Denn dann liegen wir bei gutem Wetterchen zusammen auf einer Wiese, betrachten junge Herren mit dem lüsternen Blick der älteren Dame und geben unser Geld für Unfug aus. Das wird schön. 

All meine Herzensgefühle für Dich. Und ich möchte den Rat meines Augenarztes an Dich weitergeben: 

"Das guckt sich weg. Nicht drauf fokussieren. Einfach aus der Wahrnehmung streichen. Dann wird das schon."

Immer die Deine.

Lavendel






Dienstag, 16. März 2021

Aber ja, aber nein, aber ja

 Liebe Businesswoman Lavendel,

"Ich gehe nicht mehr zurück." schreibst du. Bedeutet das, der Gatte muss sich trollen oder der Gatte darf bleiben, aber zu neuen Bedingungen? Bin gespannt, was am Ende hinten rauskommt (Helmut Kohl). 

Tja, wegen der Impfung: am Sonntag hat sich meine systemrelevante Schwester impfen lassen dürfen und am Montag wird Astradingsbums gestoppt. Fiebrig von den Nebenwirkungen schreibt sie mir, sie wird sowohl Spahn als auch das Paul Ehrlich Institut verklagen. 

Mir selbst graut vor der Impfung. Als Hypochonderin ist mir klar, dass ich weder eine Infektion noch eine Impfung überleben werde. Deshalb muss ich die nächsten fünf Jahre weiterhin im Home Office arbeiten und auf Friedhöfen spazieren gehen. Ich habe nun schon Jahreskarten für Botanische und Zoologische Gärten.  

Jetzt reden die alle von der dritten Welle, die NOCH schlimmer wird und die Inzidenz in Berlin steigt erneut rapide; aber du hast mich ja was gefragt: sollst du dich impfen lassen oder nicht? Ich würde - von der allgemeinen Hysterie angesteckt - sagen: ja, aber lieber nicht Astradingens. 

Du bist also in vielerlei Hinsicht zu beneiden: Du hast einen Chef, der sich besser benimmt, als dein Gatte. Du bist eine unschlagbare Telefonistin und Email-Schreiberin. Bin mir sicher, dass deine Adressaten noch nie so geschmeidige Emails erhalten haben. Und dabei siehst du auch noch fantastisch aus! Alles richtig gemacht, meine Liebe!

Bin leider etwas in Eile - daher nur ganz kurz heute.

Küsschen, Küsschen
Deine Annika

Sonntag, 7. März 2021

Ora et labora

 Annika, mein liebstes Herzblatt,

warum hast Du mir nicht gesagt, dass die Zeit, so man drei verschieden Jobs hat, verfliegt wie Quarzsand im Sturm? Dann hätte ich in einem alten Weckglas ein bisschen Zeit eingelagert und würde mir jeden Tag ein Stündchen zusätzlich genehmigen. 

Soll ich Dir von meinem neuen Job berichten? Ich sitze an einem Schreibtisch, vor einem Computer, mit einer Lesebrille auf der Nase, einem Telefonhörer am Ohr und mache etwas, was mir in früheren Jahren den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hätte. Ich telefoniere. Mit wildfremden Menschen. Und dabei muss ich eloquent und wissend rüberkommen. Und gleichzeitig ein Computerprogramm verwenden. Und, aber das ist jetzt kein offizieller sondern nur mein eigener, speziell an mich gerichteter Auftrag, dabei auch gut aussehen. Faszinierend. Finde ich. Vor allem, weil ich plötzlich wieder das Gefühl habe, in meinem Kopf lässt sich doch mehr an Zellen nutzen, als ursprünglich gedacht. Sprich, ich halte mich manchmal für schlau. Nein. Wenn ich ehrlich bin, halte ich mich manchmal für sehr, sehr schlau. Das sage ich jetzt nur Dir, ich möchte ja nicht, dass ich in Verruf komme, eine arrogante Schnöseline zu sein. Aber ja, eine gewisse Arroganz schleicht sich in meine Gedanken. Denn wenn ich Emails schreibe, was ich neben den Telefonaten auch hin und wieder tue, dann merke ich, wie leicht es mir fällt und finde mich auch da sofort gut. Ach was. Großartig. Inhaltlich sind die Mails vielleicht nicht das, was man als extrem wichtig bezeichnen würde. Aber ich sage Dir, sie sind wunderbar geschrieben. Von mir. 

Das Beste am Arbeiten ist aber, dass ich vergesse. Ich vergesse, dass ich Kinder habe, einen Hund, noch jede Menge Wäsche im Keller, einen Lump, Heiopei, Tunichtgut oder Halunken. Ich bin einfach nur Ich und arbeite. Natürlich bleibt eine Ahnung im Hinterkopf von all dem, was sonst ist, in meinem Leben. Aber ehrlich? Scheiß drauf. Die alte Frau Schneider hat in der besten Phase ihrer Alzheimererkrankung fröhlich gezwitschert: "Glücklich ist, wer vergisst!"

Recht hat sie. Was für eine Erholung, nicht dauernd das Hirn zu zerbröseln ob all der gewesenen Dinge. Der Schmerzen der vergangenen Monate. Zumindest während ich da sitze, am Schreibtisch. Und für die Leute um mich herum, die durch die Bank 20 Jahre jünger sind als ich, sitze ich als unbeschriebenes Blatt dort. Die wissen nichts von meinen Dramen. Wie angenehm das ist. Es reicht, dass ich nach der Arbeit wieder alles erinnere, was ich vorher mit leichter Hand vergessen hatte. 

Das wiederum ist manchmal unangenehm. Der älteste Sohn hat mir einmal eine professionelle Einführung in das Thema des Vergessens gegeben. Er begegnet täglich Menschen, die ihr Leben vergessen, es hinter sich lassen, ohne sich abends doch wieder an alles, was war, richtig erinnern zu können. Diese Menschen warten dann auf ihre Liebe, ihren Partner, obwohl dieser schon seit 5 Jahren tot ist. "Denen kannste ja nicht jeden Tag sagen, da kannste lange warten, der Eduard ist doch vor 5 Jahren am Herzkasper gestorben!", so sagt er. "Denen musste sagen, der ist mal eben noch einkaufen und kommt später. Dann haben die vergessen, dass sie auf den Ede warten und gut ist. Die regen sich nicht auf und sind nicht jeden Tag aufs neue traurig über Edes Tod." 

Ich erinnere mich also nach der Arbeit. An den großen Schmerz. Oder, wie ich es auch nenne, die große Fettschmelze. Vielleicht genieße ich das Vergessen am Morgen aber auch nur durch das Erinnern am Abend so sehr. 

Was mir durch das Leben jetzt im Vergleich zum Leben vor dem August (es war übrigens der 15. August, das Datum gehört nun zu den wenigen, die ich mir merken kann) klar geworden ist, das sind zwei Dinge. Erstens war es schon vor dem 15. August total beschissen, mein Leben. Irgendwie eingeschlafen. Möglicherweise fast schon tot. Zumindest im Bezug auf die Beziehung zu dem Mann, den ich einmal geheiratet habe. Zweitens ist das Leben jetzt anstrengend aber besser. Ich fühle. Intensiv. Heftig. Massenhaft. Facettenreich. Ich fühle. 

Ich gehe nicht mehr zurück. 

So ist das. Und jetzt beantworte mir mal bitte die Frage, ob ich mich impfen lassen soll. Du weißt ja, ich bin nicht die Allergesündeste, eine Infektion könnte so oder so Folgen haben, für mich weitreichender, aber eine Impfung könnte eben auch eine ziemlich blöde Sache werden. Wie soll man sich denn entscheiden, wenn man die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub hat (jetzt denke ich ernsthaft darüber nach, wer von beiden besser aussieht. Der Teufel? Fescher Kurzhaarschnitt, kräftige Oberarme, feste Bauchmuskeln, fünfzehn Zentimeter größer als ich, elegant gekleidet, lässiges Lächeln. Der Beelzebub? Dunkelblondes Haar, leicht gewellt und wuschelig, eher Typ Surfer, Baumwollhosen, gebräunte Haut, muskulös und durchtrainiert, ein ironisches Grinsen. Was ist nur los mit mir? Ich habe doch wohl nicht mehr alle Latten am Zaun. Oder es sind die Hormone. Doch. Es sind die Hormone. Irgendetwas ist da los. Und entfesselt mich, gedanklich. Ich glaube, ich nehme beide. Halt. Stopp. Besser keinen? Von was denke ich denn jetzt? Impfen? Infizieren? Oder attraktive Männer, die ich als Objekte mal schön sexualisieren kann? Bitte hilf mir!).

Tut mir leid, ich kann jetzt nicht weiter schreiben. Ich muss noch Hausaufgabenhilfe machen. Wenn dieses Scheißabitur durch ist, mache ich ein Fässchen auf. Dann lese ich nur noch meine eigenen Texte Korrektur. 

Bis ganz bald, meine liebe Annika, ich hoffe wir sehen uns in nicht allzu weiter Ferne, ob geimpft oder nicht. Wir könnten uns treffen, dann morgens und abends einen Schnelltest durchziehen und uns auf die Suche nach Teufel und Beelzebub einem hübschen Café machen, um unsere Gelüste zu befriedigen unseren Kuchenhunger zu stillen.

Deine Lavendel








Samstag, 13. Februar 2021

Die Große Lavendel Trennungs Tabelle

 Mein liebes stabiles Genie,

natürlich möchte ich deine Statistik! Nicht nur ich, alle brauchen das, die unversehens in so eine Brotspinnen-Gesamtsituation geraten. Damit man weiß, was einen ungefähr erwartet. Weißt du, so wie es früher diese Gräfe & Unzer Kalorientabellen gab:

Nährwert-Kalorien-Tabelle, Die große GU: Neuausgabe 2020/21 (GU Tabellenwerk Gesundheit) 

Deine heißt dann: "Die Große Lavendel Trennungs Tabelle". Die wird ein Hit. Du kommst auf die Spiegel Sachbuch Bestseller Liste. 

Ich kann mich dunkel daran erinnern, wie das bei meiner Brotspinne, der Stuntwoman und Fitnesstrainerin, damals war. Mein Gefährte riss sie sich aus dem Herzen, ungefragt und ungebeten übrigens, denn wir waren schon vier Monate getrennt, als er plötzlich weinend und greinend vor meiner Tür stand und nun unbedingt zurück zu mir wollte. Er flehte und flehte und ich dachte "Menno, ich bin doch schon fast drübba weg". 

Hätte ich mal nur auf mich gehört, denn kaum war er wieder eingezogen (am selben Tag noch) litt er ohrenbetäubend still vor sich hin. Und ich Dussel kam wieder nicht dazu, ihn mal mit meinem Kummer zu behelligen. Ich dachte, die gute Seele braucht halt seine Zeit. 

Mach nicht denselben Fehler wie ich, meine liebe Lavendel. Mach aus deinem Herzen keine Mördergrube und schleich nicht auf  Zehenspitzen um ihn herum, weil es so am angenehmsten für ihn ist. 

Und wenn der gnädige Herr nur zurückgekommen ist, weil eine Zukunft mit einer Frau, die seine Tochter sein könnte, etwas ungewiss ist und er lieber in die alten Puschen zurück möchte, sich jedoch weiterhin keinen Pfifferling um dich schert, dann feuerst du ihn sowieso noch binnen Jahresfrist. Ist jetzt mal meine Prognose. 

Für deinen neuen Job wünsche ich dir eine kometenhafte Karriere, zumindest aber angenehme Zeiten außerhalb der eigenen vier kontaminierten Wände. 

Lavendelchen, sei mal überheblich, haste dir mühsam vadient!

Deine Annika


Montag, 8. Februar 2021

Heyho, let`s go!

 Gut, ich war mit meiner Antwort nun auch nicht schneller, 

Meine liebe Annika.

Weil einfach so viel passiert, hier, in der Lavendelheimat. Stell Dir vor, die Brotspinne ist nur noch im Handy. Du fragst Dich bestimmt, was das zu bedeuten hat. Das bedeutet, im echten Leben, in der Realität sehen die beiden Turteltauben sich nicht mehr. Zum Jahreswechsel wurde mir das Ende der Affäre kundgetan. Trommeln und Trompeten. Tö.Rö. 

Es dauerte dann zwar noch zwei Wochen, bis es sich endgültig erledigte und die zwei Herzblättchen genug Abschied von einander genommen hatten, aber schließlich war es soweit. Die letzte Übernachtung, das letzte Treffen, der letzte Sex. Seitdem ist er jeden Tag zuhause. 

Und warum wohnt die Brotspinne jetzt im Handy? Weil die Affärenkumpanen immer noch schreiben. Denn sie haben sich ja nicht im Streit getrennt. Und warum haben sie sich überhaupt getrennt? Weil ich sehr glaubhaft mitteilte, dass ich im Haus bleibe, mein Leben weitergeht, ich Spaß und Freude am Leben haben werde und er sich nach einer anderen Bleibe umschauen soll. Das war der Moment der Bewusstwerdung. Dass er nun sein Zuhause in die Tonne kloppt, um eine noch nicht mal ganz 30 Jahre alte Brotspinne zu pimpern, die wohl hin und wieder rumzickt. 

Das wollte er dann doch nicht. Musste ihm aber erst einmal klar werden, dass es fünf Sekündchen vor Feierabend war. Jetzt ist hier alles ein Hin und Her. Gibt es noch Liebe? Gibt es keine Liebe? Wo stehe ich? Wo steht er? Wo will wer wie hin? Etwas erschöpfend, das Ganze. 

Aber nicht mehr so ausufernd, denn, meine beste Annika, ich habe ja einen weiteren Auftrag im Leben. Ich gehöre jetzt wieder zur sozialversicherungspflichtig arbeitenden Gesellschaft. Seit nun über einer Woche gehe ich jeden Tag in die große Stadt und stelle mich den Herausforderungen. Kein Minijob, wie bisher in den letzten 25 Jahren. Nein, ein echter Halbtagsjob. Den Minijob habe ich auch noch, darum habe ich einen Dreivierteljob. Und bin auf dem Weg in eine große Unabhängigkeit. 

Ich. Bin. So. Cool. Wollte ich nur mal gesagt haben. Denn abgesehen davon, dass ich nicht mehr in Existenzängsten zu versinken brauche, bekomme ich auch von meinem neuen Chef Freitagnachmittag Nachrichten, in denen er sich bei mir für die tolle erste Woche bedankt. Weil ich schlau bin. Und eloquent. Und die Ruhe weg habe. Freundlich bin. Mit Computern umgehen kann. Programme im Schnellverfahren in den Griff bekomme. Ich surfe gerade auf einer wunderschönen Welle der Selbstverliebtheit und Überheblichkeit. Das ist vermutlich nicht sehr angenehm für meine direkte Umgebung. Aber das ist egal. Es ist, wie es ist. Und ich weine auch nur noch einmal die Woche. Nicht mehr mit Schüttelkrämpfen verbunden. So ein leises Schluchzen. Meist ist es nach einer Stunde schon wieder vorbei. 

Ich würde nicht sagen, so, das war es jetzt. Alles fein, mein Leben im Griff, ich bin ein stabiles Genie. Aber ich würde sagen, meine Füße sind auf dem Boden, der Boden ist fest und ich gehe Schritt für Schritt. 

Und sonst? Na, das berichte ich Dir, wenn ich mein Gehirn nicht abends um 10 noch dazu nötige, zu denken. Jetzt habe ich nämlich schon so ein flirrendes Gefühl hinter den Augen. Und einen fiesen Geschmack nach Zwiebel im Mund, weil ich Schalotten im Salat hatte. Ich muss jetzt Zähne putzen und dann ins Bett. Morgen muss ich nämlich uff Arbeet. Wie so echte Leute. 

Grüße und Küsse von Deiner Lavendel


P.S.: Ich erstelle eine Zusammenfassung, was in einem halben Jahr alles passieren kann. Möchtest Du das wissen? Wie oft man an Zigaretten denkt, in einer Krise? Wie viele Taschentücher man verschneuzt? Wie oft man vom Weinen brechen muss? Wie der Versuch, Alkohol zu trinken verläuft? Ich mache eine Statistik und erarbeite eine Übersicht. Ich schicke sie Dir gern.


Sonntag, 17. Januar 2021

Should he stay or should he go?

Liebste Lavendel,

nun habe ich dich sehr lange warten lassen mit einer Antwort, aber durch dieses ständige Gelaber in Online-Meetings, will ich privat keinen Pieps mehr von mir geben, weder schriftlich noch fernmündlich. Aber privat bleiben mir ja auch nur noch Online-Meetings, außer täglichen Waldspaziergängen, wo ich aber auch jeden dritten Passanten über den Haufen schießen will, weil dir mir einfach nicht ausweichen. IMMER weich ich aus, immer, immer, immer. Und wenn ich mal nicht ausweiche, weichen die trotzdem nicht aus. Ach, ich schweife ab. Nur soviel: mein Aggressionspotential steigt. 

So eine Ehekrise mit Hassobjekt käme mir gerade recht, da kann man ausagieren und jeder hat Verständnis. Unsereiner macht sich zum Horst, das einzige was mich schützt ist meine Maske, da sieht man nicht zur Gänze, was für eine blöde Hippe keift. Ich bin recht talentiert im keifen, wie diese Pandemie ans Licht bringt. Also, dein Mann, der hätte keine Überlebenschance bei mir, derzeit. Aber es ist ja dein Mann und ich hoffe inständig, dass du unterdessen vom Waidwund-geschossenen-Reh transformiert bist zur Killer Queen. Wenn nicht, komme ich gerne mal vorbei, esse erst deine Kekse auf und dann fahren wir zur Brotspinne und machen was kriminelles. 

Hier in der Hauptstadt läuft alles wie immer: hanebüchen. Und ich mach mir langsam Sorgen um mich, weil ich das mit soviel Gleichmut ertrage und nun überlege ich, ob sie schon irgendwas ins Trinkwasser kippen, was mich ruhigstellt. Ich trink ja nie und nehme keine Drogen - ich bin hochsensibel für kleinste Spuren von irgendwas. Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich eine Baldrian-Pille genommen zum einschlafen. Nach 20 Minuten hatte ich das Gefühl, ein Elefant setzt sich auf mich drauf. Sechs Mon Cherie und ich bin hackedicht. Ich bin passiv stoned, sobald ich meine Wohnungstür öffne, weil mein neuer Nachbar (u30) das Leben nur noch bekifft erträgt. Nebelschwaden wabern durch den Hausflur...Bald bekomme ich meinen ersten Horrotrip, ich sag's dir.

Meine Liebe, halte mich auf dem Laufenden, wie der Stand derzeit bei dir ist. und treffe kluge Vorkehrungen für den nun erfolgenden echten Lockdown. Bei dir oder bei ihr? Denk das mal vom Ende her. 

Liebste Grüße aus der Hauptstadt 

Deine Annika


Montag, 28. Dezember 2020

Weihnacht und Zukunft

 Liebste Annika,

das Weihnachten ist rum. Und jetzt dauert es nur ein Jahr und dann ist wieder Weihnachten. Und wer weiß, was dann abgeht. 

Ich habe in meinem ganzen Drama dieses Jahr komplett vergessen, meine Weihnachtsdepression auszupacken. Wie konnte mir das nur passieren? Mir fehlt das Suhlen im Unglück all der Weihnachtsfeste, die ich mit sturzbetrunkenen Familienangehörigen verbringen durfte. Hatte ich Dir schon einmal davon erzählt, wie bereits nach der Vorspeise die Party zu Ende war, weil jemand volltrunken vom Stuhl gefallen ist? 

Ohne die Weihnachtsdepression gab es einen hübschen kleinen Weihnachtsbaum mit Lichterkette. Der Baum ist aus dem Garten und wird auch bald dorthin zurückkehren. Er hat sich selbst in einen alten Blumentopf gepflanzt und ist jetzt immerhin schon einen halben Meter groß. Nächstes Jahr darf er wieder rein und pieksen und leuchten. Und der Hund wird mit seinem wedelnden Schwanz die kleinen Kugeln wieder, wie ein Golfspieler den Golfball, durch das Wohnzimmer dreschen.

Kekse hat es auch sehr viele im Haus. Die laufen dieses Jahr nicht so gut. Insgesamt ist hier eine rechte Appetitlosigkeit zu beobachten. Und die harmoniert so gar nicht mit meiner Backattacke. Es gibt Mandelhörnchen, Kokosmakronen, Vanillekipferl, Husarenmopeds, Schwarzweißkekse, Ausstecherle und Baiser. Und die liegen rum. Schade eigentlich. Ich fange jetzt einfach mal an, sie in der Nachbarschaft zu verschenken. 

Ja, ich weiß, welche Frage hier in der Luft über dem Brief wabert. Was macht die Ehekrise? Was macht die Affäre? Was macht die Brotspinne? Nach außen hin wirkt es recht unverändert. Aber innen, ich sage Dir, innen, da geht richtig die Party. Also in mir. Ich denke und sortiere und plane und mache und tue. Schließlich möchte ich ja im neuen Jahr nicht weiter herumkriechen und leiden. Gut, der Mann ist recht unbeweglich. Der meint, wenn er die Augen fest zukneift, sieht ihn keiner. Und manchmal bekommt er Trotzanfälle. Immer dann, wenn ich ihm sage, dass es so nicht weiter geht. Ich habe ihm gestern gesagt, er soll aufhören, sich wie ein Dreijähriger zu benehmen. Und dass ich nicht mehr anspringe auf seine Trigger. Wenn er mich anpampt, rudere ich nicht mehr zurück nach dem Motto: Hab mich lieb, bittebittebitte, hab mich lieb! Ist für den Arsch. Der hat mich nicht lieb. Hätte er mich lieb, würde er das so nicht durchziehen. Ich habe ihn lieb. Ist so. Aber irgendwann ist das nicht mehr genug. Dann reicht Liebe nicht mehr aus. Dann muss es etwas anderes sein. 

Die Brotspinne hockt weiter in ihrem Einzimmerappartement und freut sich vermutlich, wenn der Mann vorbeikommt im Lockdown, sie zusammen eine Runde vögeln und er dann irgendwann wieder abdampft. Ist mir aber mittlerweile auch egal, denn ich weiß, wie sie heißt, wie sie aussieht, wo sie arbeitet und eine Menge mehr. Und das macht mich mächtig. Sie weiß nicht, dass ich es weiß. Er weiß nicht, dass ich es weiß. Das ist einfach ein richtig feines Gefühl. So leicht bin ich zufrieden zu stellen. Außerdem überlege ich, mich bei einer Privatdetektei zu bewerben. Ich bin ziemlich gut in Stalking privaten Ermittlungen. 

An Silvester werde ich auf dieses Jahr einen ziemlich großen Haufen scheißen (entschuldige bitte meine derbe Ausdrucksweise, aber dieses Jahr hat mich wirklich gelehrt, was eine Harke ist, da bleibt mir außer Vulgarität nichts mehr übrig) und anschließend das nächste vorwarnen, dass es das Selbe zu erwarten hat, wenn es sich nicht ein bisschen am Riemen reißt. 

Und nun überlege ich, ob ich mein Herz jemals wieder vergeben möchte oder es lieber im Wald aussetze, wo es von Wildschweinen gefressen wird, die es wiederum verdaut unter einen Baum kacken, worin sich dann ein Hund wälzt, der anschließend von seiner Besitzerin geduscht wird. Das Herz wird in verkackter Form mit dem Abwasser hinwegfließen und mit etwas Glück seinen Weg ins Meer finden. Und wenn ich nächstes Jahr Urlaub am Meer mache, wird mir mein beschissenes Herz beim Bad im Ozean begegnen. 

Mehr Pläne habe ich nicht. 

Die liebsten und innigsten Grüße von

Deiner Lavendel


Mittwoch, 9. Dezember 2020

Bloß nicht tindern

Ach, mein geplagtes Lavendelchen,

ich bin so gottfroh, dass ich original denselben Scheiß mit zarten 33 Jahren hinter mich bringen durfte. Nicht, dass es das besser macht oder weniger schmerzlich. Ich hatte nach einigen Wochen "meine" Brotspinne identifiziert, aber ich hätte es lieber lassen sollen nach ihr zu fahnden, denn als ich wusste, wer sie war, wusste ich auch, dass alle Messen gelesen waren: sie war Stuntwoman. Ernsthaft! Und Fitnesstrainerin. Er hatte sich wirklich das Kontrastprogramm gesucht. Buchhändlerin versus Stuntwoman. Ich war am Arsch.

Bis zu dem Tag, als er wieder vor meiner Tür stand, weil er zurück wollte, wusste er nicht, dass ich wusste, wer sie ist und wo sie wohnt. Das ist Herrschaftswissen, meine Liebe. Man muss sollte so einem anderweitig Schockverliebten immer einen Schritt voraus sein. 

Jedenfalls, als er wieder vor der Tür stand, fragte ich: "Wie heißt sie und wo wohnt sie?" und als er wahrheitsgemäß antwortete und mir seinen Wohnungsschlüssel gab, weil er "noch heute" wieder einziehen wolle, wusste ich, dass es ihm ernst war. Wir verbrachten dann noch drei weitere Jahre miteinander, bis es dann endgültig vorbei war. 

Ich spreche also aus Erfahrung und wiederhole mich: du kannst ihn später wieder aufnehmen, ihr könnt einen zweiten Frühling miteinander erleben, der sich gewaschen hat, sogar noch ein viertes Kind zeugen - aber vorher musst du das mit dem Haus klären. Sonst sitzt die Brotspinne drin und jetzt hast du noch den Mitleidsbonus, deine Kinder als Unterstützung - aber das MUSS dir jetzt überschríeben werden, das ist WIRKLICH WIRKLICH wichtig. Sonst ist das Erbe für eure Kinder weg und du sitzt in irgendeiner 2 Zimmer Wohnung und haderst, sobald du wieder bei klarem Verstand bist. Und die Brotspinne zupft das Unkraut in deinem Garten weg. Das braucht kein Mensch.

Also: nicht tindern, sondern notariell beglaubigen lassen. 

Immer die Deine
Annika

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Ja, das dauert noch, bis ich mich auf anderes konzentrieren kann

Liebste Annika,

wieviel Wahnsinn verträgt man? Und Mann? 

Du musst mich doch hassen, sagt er dauernd. Und ich google immer wieder die Brotspinne und denke, ich habe sie gefunden, auch wenn er behauptet, sie ist es nicht. Ich glaube sehr wohl, sie ist es.

Ach, egal. 

Soll ich Dir mal was sagen? Diese ganze Herzschmerzscheiße geht mir maximal auf den Zwirn. Ewig heulen, das ist doch sinnlos. Ich habe mir jetzt ein paar Kleidchen gekauft, weil ich seit neuestem meine Beine zeigen möchte, die sind nämlich rank und schlank wie vor der Speckexplosion, die verursacht wurde durch drei Schwangerschaften. Also Kleidchen und Röckchen, die nicht mehr bis zum Knöchel gehen sondern über dem Knie enden. ÜBER, verstehst Du? So wagemutig war ich lange nicht. Ich war shoppen mit meinem Wolkenköpfchen. Und die wollte mit in die Umkleide. Da ist sie fast vom Glauben abgefallen, weil mir nichts mehr passt, nicht einmal meine neuen Unterhosen. Die schlabbern um mich herum. Und die neuen Büstenhalter ebenfalls. Sie ist überzeugt, dass ich eine Essstörung habe (nicht ganz von der Hand zu weisen) und versucht jetzt, mich zu füttern. Damit ich nicht verhungere. Mein Argument, dass ich beim BMI noch im Normbereich bin, ist ihr komplett egal. Sie will, dass ich wieder ihre weiche, warme, bequemliche, schwere Mutter bin. Dieses etwas knochige Unglücksgespenst ist ihr gar nicht geheuer. Mir ja auch nicht. Ich verstehe durchaus, dass sie mit Macarons hinter mir herläuft und sie mir in den Mund stecken will. 

Diese Veränderung ist auch sehr erstaunlich. Leute, die mich nicht so gut kennen, erkennen mich nicht. Heute habe ich mir das Kinderauto ausgeliehen, weil meins in der Werkstatt war. Und als ich das Kind von der Arbeit abholte, grüßten mich seine Kollegen mit einem knappen Nicken. Bis sie merkten, wen ich abholte, mich noch einmal genauer anschauten und dann in laute Entschuldigungstiraden ausbrachen, weil sie mich einfach nicht erkannt hatten. Wie ich da so stand. In schwarzen Strumpfhosen, schwarzen Stiefeln, grauem kurzem Rock, anthrazitfarbenem Mantel, geflochtenem und hochgestecktem Haar (es fehlt nur die Kippe im Mundwinkel). 

Und in der Werkstatt drehte der Meister anschließend eine Probefahrt mit mir in meinem frisch reparierten Auto, um mich zu fragen, was mit mir los ist, warum ich so verändert bin, er hätte da gehört blablablatrallallalla und wenn nicht Winter und Corona wäre, würde er mich auf ein Eis einladen. Und ich würde das sogar annehmen, auf jeden Fall, auch wenn er so gar nicht mein Fall ist. Aber bitte. Mit Anfang fünfzig nimmt man, was man kriegt. 

Bei Tinder hatte ich mich auch angemeldet. Als ich gleich am nächsten Tag zwei Nachrichten von Männern hatte, von Männern, ich bitte Dich, von zwei Männern, Typen der Gattung, die Frauen nach 33 Jahren wegen einer Tussi belügen, betrügen, verarschen, die Brotspinne heißt und vor 33 Jahren noch nicht einmal auf der Welt war, warte... wo war ich? Ach ja, Tinder. Ja. Habe ich gelöscht. Vor Schreck. Ich meine, was schreibt man da? Keine Ahnung. 

Du, Horst, 57, aus dem wenige Kilometer entfernten Kuhkaff nebenan, siehst leider so erbärmlich aus wie ich mich fühle. Kannste nicht machen. Stefan, 52, du könntest mich interessieren, bist aber gottesfürchtig und da fürchte ich mich auch. Darum bekommst du heute von mir kein Dingsda. Und schon gar nicht ein Superlike. Niemals nach oben wischen, hat mir das Wolkenköpfchen gesagt. Superlikes behält man besser für sich. Wobei das Wischen schon witzig war. Ein Männerkatalog. Ein Ottokatalog. So viele Ottos. Wieviele von denen wohl schon belogen und betrogen haben? 

Ich schwimme und schwimme und schwimme durch die Tage. Versuche, den Kopf irgendwie über der Wasseroberfläche zu halten. Mache merkwürdige Dinge. Buche Reisen. Kaufe ständige Sachen. Kriege Lachanfälle. Und ich weine. Und weine. Wegen allem. Wegen der vergangenen Jahre, die echt beschissen waren. In so vieler Hinsicht. Wegen dieser Ehe. Wegen all der Zeit. Weine, weil ich mir so sehr wünsche, dass mich dieser Mann liebt. Weil ich eine Frau bin, die liebenswert ist. Und er tut es nicht. Ob ich jetzt im engen Kleid da stehe oder in der Jogginghose. Es macht keinen Unterschied. Ob 80 Kilo oder 60. Ob mit Wimperntusche oder ohne. Rote Lippen, blasse Lippen. Es ist egal. Ich schwimme. Und wenn ich auf den Strudel zuhalte, den Strudel der Verzweiflung, der mir ins Ohr schwappt und im Kopf und im Herzen immer weiter kreiselt, immer herum um den Gedanken EndeausMickeyMaus, Ausundvorbei, Erledigt und wie sie sonst alle heißen, dann versuche ich mir eine Rettungsweste aufzupusten. Damit ich nicht untergehe. 

Es ist natürlich schon cool, dass ich dauernd von allen Seiten höre, wie toll ich aussehe. Wie faszinierend das ist, dass ich so vital wirke. Wieviel Energie ich doch habe. Mit all den Komplimenten puste ich die Rettungsweste so prall auf, dass es eng wird, da drin. Aber mal ganz ehrlich, ich bin einfach so abartig traurig. Es ist eigentlich nicht auszuhalten. Das alles ist nur Kosmetik. Ich will das elende Häuflein, das ich innen bin, nicht auch noch im Außen darstellen. Dann lieber fesch. 

Und weißt Du, was noch? Mein Körper, dieses Miststück, macht mit 51 Jahren immer noch einen auf "Hach, ich bin so fruchtbar!". Ich erkläre meiner Gebärmutter, hör zu, das hier ist eine schlimme Krise und es würde mir entgegenkommen, wenn Du Dich mal entspannst und durchlockerst. Den Eierstöcken sage ich, Mädels, ihr könnt euch zurückziehen. Kommt eh nix sinnvolles mehr bei eurer Produktion rum. Den Hormonen sage ich, bitte alle mal beruhigen und einen Gang zurückschalten. Aber das ganze Pack pellt sich ein Ei drauf und veranstaltet ein Happy Feuerwerk an Fruchtbarkeitsreminiszenzen. Weshalb ich ständig zwischen Liebeskummer, PMS und klimakterischen Anfällen hin und her rutsche. Das hält doch niemand aus. 

Und dann ist da noch die Sache mit dem Haus. Und die Sache mit allem. Und ich müsste... und müsste... und dürfte ihm nicht trauen... und überhaupt. Aber weißt Du was? Ich kann gerade nicht. Ich bin viel zu sehr damit befasst, nicht abzusaufen. Ist vielleicht deppert. Aber es geht nicht. Jetzt nicht. Morgen möglicherweise. Oder nächsten Montag. 

Wann auch immer. 

Die liebsten Grüße aus Hell-City, Deine halbirre 

Lavendel

Donnerstag, 19. November 2020

Weitere Vorschläge

Also, meine liebe Lavendel,

weitere Vorschläge:

+++GEH ZUM NOTAR UND LASS DIR DAS HAUS ÜBERSCHREIBEN+++

Im Zustand der Verliebtheit ist der Abspenstige zu allem bereit, um seinem Gefängnis zu entkommen. Bevor er wieder zu Verstand kommt oder die Brotspinne schwanger wird oder beides, musst du das in trockenen Tüchern haben. Denn sonst kommt das junge Glück auf die Idee, bei dir einzuziehen. 

Vergiss, dass er der Mann ist, dem du immer vertraut hast, der anständig ist, war und immer sein wird, mit dem du so schön über Bücher sprechen konntest... er kann nur zu einer Frau nett sein und die wirst nicht du sein. Wenn er dir bereits gütig einen besseren Küsser wünscht, dann ist höchste Zeit für einen guten Rechtsbeistand.

Sag ihm, du willst das Haus für die Kinder, damit sie ein Erbe haben, sie sollen nicht alles verlieren, etc. blabla. 

Ob die Brotspinne nun brav ihre Spirale bei sich behält oder nicht, wissen wir nicht und du solltest nicht darauf vertrauen, dass er ihr vertraut. Du musst Fakten schaffen. In diesem Tränenmeer muss ein Funken Selbsterhaltungswille erweckt werden, der dieses Problem lösen will. 

Das kann er belächeln, soviel er will. Und überhaupt, was gibt es da zu lächeln? Denkt er, er kann fummeln und vögeln, bis die Brotspinne seiner überdrüssig wird und dann kommt er wieder endgültig zurück zu dir, für die letzten Jahre, nach seinem letzten Abenteuer, um in Ruhe und weitestgehend unbehelligt seine Tage zu fristen und dir ab und an eine gute Stelle von Joachim Meyerhoff vorzulesen?

Meine Liebe, es tut mir leid, dass ich so insistiere und dir (momentan) keine Hoffnung mache - obgleich immer noch passieren kann, dass er nach einem Jahr wieder angetrottet kommt - aber vorher muss das mit dem Haus klar sein. 

Meine Schreibblockade thematisiere ich ein andermal. 

Sei mir gegrüßt, gedrückt und geherzt
Deine Annika

PS: Lass ruhig alles schön raus, es ist mir weder zu larmoyant noch zu traurig, außerdem bist die Meisterin im Beschreiben trauriger Umstände. Du bist besser als jede Hollywood-Schmonzette es je sein könnte. Das ist ein Talent und jetzt kannst du es ausleben. 

Kennst das wunderbare Buch von Nora Ephron, "Sodbrennen"? Verfilmt mit Jack Nicholson und Meryl Streep. Schau den Film, lies das Buch - dieselbe Gemengelage, nur dass dein Mann kein preisgekrönter Journalist ist.

Sonntag, 15. November 2020

Unterm Dach ein Ach. Du. Verdammte. Hacke.

 Liebe Annika,

um es auf den Punkt zu bringen: Wäre dieses ätzende Corona-Covid-Geschisse nicht, ich wäre längstens mit einer Freundin ausgegangen, um auf Teufel komm raus zu flirten. Ein Mann, der mich zum Knutschen aufforderte und mit dem ich in der Tat zwei bis sieben Zungenküsse austauschte, findet mich sehr sexy, vielleicht aber auch nur, weil er mit seiner Frau genauso lange keinen Sex hatte wie ich mit meinem Mann. Entschuldige, kann sein, es ist zu viel Information. Aber manchmal muss es eben raus. 

Über die Zungenküsse kann ich nur sagen, nein, sie waren nicht das, was ich mir erträumte. Falsche Zeit, falsche Situation, falsches was auch immer. Ich fühlte mich hinterher nicht satt. Es hatte etwas gänzlich Pubertäres. Kann sein, ich bin zu alt für dieses hektische Rumgemache. Kann sein, ich möchte es... nun ja, ...langsam? Mit viel Gefühl? Was weiß denn ich. Nein. Ich möchte es mit meinem Mann. Das habe ich ihm (also meinem Mann, nicht dem zum Knutschen) auch gesagt und von dem Geknutsche erzählt. Natürlich hoffte ich, ihn würde ein bisschen was daran piesacken. Aber ach, er wünscht mir, dass ich einen finde, mit dem es mir viel Freude bereitet. Ein veritabler Griff ins Klo, diese Angelegenheit. 

Ja, mitunter wächst mir hier die ganze Angelegenheit über den Kopf. Und der Tränen gibt es immer noch sehr viele. Die Verzweiflung steigt und fällt. Wieder und wieder. Manchmal durchflossen von aller Kraft einer verschmähten und betrogenen Ehefrau, getragen von einer Energie, die mich selbst erstaunt, kippe ich nur fünf Minuten später in den Modus des verzweifelten Matschhaufens, der sich nicht einmal allein die Nase putzen kann. Es ist zum verrückt werden. 

Übrigens habe ich festgestellt, dass das Leben anderer Menschen sich darstellt wie ein Springen von Stein zu Stein in einem klaren, quirligen Gebirgsbach. Mein Leben hingegen ähnelten einem Springen von Kackhaufen zu Kackhaufen. Dazwischen steht hin und wieder ein Trampolin, damit ich mehr Dynamik bekomme, bei meinem nächsten Sprung. Und wenn das die Wahrheit ist, dann wartet der nächste Haufen schon auf meine Punktlandung. 

Um mich auf alles vorzubereiten, stelle ich mir gern vor, was als nächstes passiert. Die Brotspinne wird trotz Spirale schwanger und will das Blag auf jeden Fall bekommen. Mit dreißig tickt nämlich die Uhr und sie möchte gern ihre Gene weitergeben. Der Mann ist ganz verschämt und druckst rum, bis er es mir endlich sagt. Und der kleine Bastard hätte dann die gleichen Erbansprüche wie meine Kinder. Ein kleines Ups auf die Verhütung, sage ich. Ich hatte diesbezüglich Verantwortung von ihm eingefordert. Aber er traut der Brotspinne und ihrer Spirale. Ich nicht. Und mein Leben freut sich auf den Sprung. 

Hast Du noch weitere Vorschläge, was als nächstes passieren kann? Nur, damit ich mich schon mal warmlaufen kann und nicht im entscheidenden Moment die Nerven verliere. 

Vermutlich wäre ein Besuch beim Notar wirklich am Besten. Ich hatte das auch schon angemerkt. Bin aber bisher damit eher belächelt worden. 

Was ist das eigentlich, mit den Männern? Haben die sie nicht mehr alle beieinander? Liegt es an der Sternenkonstellation? Am Wetter? Am Virus? Oder hat Trump, der olle Pussygrabber, seine Finger im Spiel (Ihgitt, Ihgittigitt) und die männliche Weltbevölkerung mit etwas weitaus Schlimmerem als dem Populismus infiziert? 

Ich will eigentlich auch gar nicht schweigsam sein. Denn im Grunde hätte ich im Augenblick sehr viel herauszulassen. Nur ist das alles immer so abgrundtief traurig bis hin zur Larmoyanz.  Ich bin mir nicht sicher, ob ich Dir das antun kann. Ich kann es ja nicht einmal mir selbst antun. Und es kommt mir mitunter der Gedanke, ich sollte das ganze Theater von mir aus beenden. Ihn vor die Tür setzen. Nicht mehr hinnehmen, dass er seine Zeit mit der Brotspinne verbringt, während ich hier weiter die Care-Arbeit an Kindern, in Haus und Garten und mit dem Hund leiste. Adiós compañero. 

Wie auch immer, ich habe:

- eine neue Armbanduhr

- zwei weitere Spitzenschlüppis

- eine enge Jeans

- neue Ohrringe

- zwei neue Strickjacken

- einige neue Bücher (nur lesen kann ich sie nicht, zu unkonzentriert...)

- eine neue Pfanne

- acht Tüten Chips (die ich nicht esse, Appetitlosigkeit sei Dank)

- ein neues Spitzenbustier

- und noch ein paar Kleingkeiten, nicht weiter erwähnenswert erscheinen.

Was tun wir jetzt? Also gegen die Schreibblockade? Ich überlege, ob ich mein Herzensleid in Romanform gepresst bekomme. Was bisher von Erfolglosigkeit gekrönt ist. Denn außer: "Aber es kann sein, dass es genauso ist. Dass es dich nicht interessiert, was mit der Frau des Mannes passiert, den du gerade vögelst. Und dass der Mann, den ich gerheiratet habe, einfach nur ein Arschloch ist. Dann habt ihr euch verdient!" zu schreiben und nicht abzuschicken, kriege ich nicht so viel zustande.

Was ist Deine Erklärung für Deine Blockade? 

Liebste Grüße, Deine Lavendel

P.S.: Ich bin erschütternd müde, die Buchstaben können hüpfen, vor meinen Triefaugen.

P.P.S.: Ja, statt Ritzen mach ich lieber Tattoos. Ritzen hab ich probiert, ist blöd.

P.P.P.S.: Ich könnte den ganzen Tag fluchen. Oder heulen. Oder fluchen. Oder heulen. Oder...


Unter jedem Dach ein Ach

 Liebes Lavendelchen,

dein Kummer macht dich schweigsam, das verstehe ich gut. Ich bin schon schweigsam allein wegen Corona und natürlich wegen meiner allgemeinen Schreibblockade, die ich aber schon zwei Jahre habe, anyway, das ist ein anderes Thema.

Jedenfalls wollte ich dir heute mal schreiben, dass du nicht allein bist. Ganz und gar nicht - so gut wie alle Männer meinen engeren und entfernteren Freundinnen und sogar die Kerle von Nachbarinnen und Kolleginnen, alle sind auf Abwege geraten. Das ist wie ein Virus, sage ich dir. Wahrscheinlich ein weiteres Indiz für Corona: Männer, die abhauen. Und da sind ein paar echt absurde Fälle drunter:

Da verlässt ein Mann seine Familie, der jahrelang unter schweren Depressionen gelitten hatte, um zu einer alten Schulfreundin aus Thüringen zu ziehen, die ihn - so hofft er - "Feuer untern Hintern" machen und "nicht so geduldig" wie seine Gemahlin sein wird. Rundum hoffen alle, dass die neue Beziehung solange halten wird, bis die Scheidung durch ist.

Ein anderer beweist Todesmut, denn seine Affaire flog auf, als seine Geliebte den gesamten Whatsapp-Chat der Ehefrau über Facebook zukommen ließ. Die darauffolgenden Treueschwüre und Trennung von der Geliebten hielt man für belastbar, war doch klar, dass er sich eine ausgesucht hatte, die vor nichts zurückschreckt. Keine sechs Monate sind vergangen und siehe da... Nächste Runde. Und nun muss die Ehefrau aussziehen. Kinder sind aus seiner ersten Ehe und Haus ist sein Elternhaus. So kann's kommen. 

Geh also schnell zum Notar und rette das Haus vor der Brotspinne. 

Allerliebste Grüße
Deine Annika

Sonntag, 1. November 2020

Die Geliebte - eine kleine Abhandlung

LiebeTwiggy,

vor ein paar Jahren war Reiner Brüderle auf einer Veranstaltung und ich auch. Es ging um Stuttgart 21. Er sagte selbstkritisch über die vielen Demos: "Wenn die Hausfrau wütend im Baum hängt, haben wir was falsch gemacht."

Das sollte sich der Abspenstige mal zu Herzen nehmen. Wenn Du in der Regenrinne hängst, hauchdünn in schwarz gewandet und frisch tätowiert, dann ist was schief gelaufen. Schweres Herzeleid verleitet zu aberwitzigen Kompensationshandlungen und auch wenn ich deine Therapeutin für bekloppt halte, dir suizidale Gedanken zu unterstellen, gebe ich ihr recht, dass derlei Turnübungen bis auf weiteres besser zu unterlassen sind. 

Hömma, das mit dem tätowieren, ist das sowas wie ritzen für Erwachsene? Das muss doch schweineweh tun. Oder erfüllst du dir damit einen Lebenstraum? Also, wenn du jetzt auf Schmerzen stehst, geh lieber reiten. Da tut dir hinterher ALLES weh. 

Wie sieht es denn aus an der Heimatfront? Ist er noch zugegen oder ist er hinfort, weil er "das jetzt leben muss"? 

Leider, meine Liebe, unter zwei Jahren kommt man aus so einem Super-GAU nicht raus. Bis dahin wird fleißig die Vergangenheit idealisiert, ach was sage ich, der ganze Mann wird zum Helden, auf den nicht verzichtet werden kann, ohne den das Leben keinen Sinn mehr macht, man fühlt sich halbiert und das tut mehr weh, als sich ein Tattoo stechen zu lassen. Wie ein waidwund geschossenes Reh schaut man in die Welt, man erweicht Steine, nur nicht das Gesponst, das sich vor deinem Kummer nur schnell in Sicherheit bringen muss, bei seiner Brotspinne, die dumm genug ist, sich ihr Glück auf dem Unglück einer zerbrochenen Familie aufzubauen gedenkt. 

Mir selbst machte mal ein verheirateter Mann Avancen, über Monate, völlig sinnlos, ich ließ mich auf nix ein, und der Höhepunkt war, dass er mir auf einer Silvesterparty ins Ohr raunte, ob ich jetzt, auf der Stelle, mit ihm gehen würde. Seine Frau und sein Kind waren auch anwesend. Ich schaute ihn entgeistert an und fragte, ob er noch ganz bei Trost sei und ob er ernsthaft seinem Kind und seiner Frau so einen Scheiß in die Vita schreiben möchte? 

Die Sache ist doch die: wenn dein Mann sich verliebt hätte und sofort gegangen wäre, ohne monatelang zu "testen", ob da was "Haltbares mit Zukunft" bei rumkommt, dann hätte er sogar meinen Respekt. Sowas passiert, man verliebt sich nicht, weil man jmd. damit weh tun will.

Aber monatelang lügen, tricksen, etc. - das ist doch wirklich nichts, womit sich die Beiden auszeichnen. Dumm genug von ihr, sich von Anfang an in die zweite Reihe zu stellen. Schön blöd. Und dann muss ihr doch klar sein: So wie der jetzt seine Frau bescheißt, um bei ihr zu sein... das wird er eines Tages auch mit ihr machen. Die sieht in ihre Zukunft. Sie weiß, wie er's regelt, was er erfindet. 

Bestell dir Blusen, Hosen, Schrankwände, meine Liebe.
Gekraxel in luftigen Höhen? Lass mal.  

Deine Annika aus dem Hotspot


Donnerstag, 29. Oktober 2020

The show is going on and on and on and...

Liebste Annika,

zwei Jahre? Ist das Dein Ernst? Zwei Jahre? Bis dahin bin ich entweder verhungert oder in den Tod gestürzt! Gut, das klingt jetzt dramatischer als ich das eigentlich wollte. Lass es mich erklären. 

Verhungert, weil Liebeskummer mich wirklich schlank macht. In den vergangenen Wochen hat sich meine Kleidergröße stetig bewegt. Und als ich mir, nachdem ich zwecks meines Morticiadaseinsplans eine schwarze Bluse in 42 bestellte und mich dabei extrem mutig fand, gleich noch eine in 40 bestellen und die 42 zurückschicken musste, wurde mir klar, ich bin aus der Größe L herausgeschrumpft. Die 40 passte auch nicht. Aber ich hatte erst einmal keine Lust auf weitere Versuche, eine schwarze Bluse zu bekommen. Denn ich hatte andere Notwendigkeiten zu bewältigen.

In einem Anfall von Traurigkeit füllte ich nämlich kürzlich die Waschmaschine. Meine tränenumflorten Augen schauten in die Vergangenheit (natürlich angefüllt mit unfassbar viel Glück- verlogenes Miststück, die Vergangenheit) oder wahlweise in die Zukunft (angefüllt mit unfassbar viel Unglück und Verlassenheit- noch so ein Lügenbold) und nicht auf den gottverdammten Wäschekorb. Ich stopfte alles in die Maschine, 40 Grad Buntwäsche. Und als ich später die Wäsche aufhängte, traf mich fast der Schlag. Meine wunderbare schwarze Wolljacke, echte Wolle, kein Polyester, kein Acryl, Haare vom Schaf, gesponnen und gestrickt, kam als kleiner, harter Kittel aus der Trommel. Ich erlitt einen veritablen Zusammenbruch auf dem Betonboden der Waschküche. 

Und darum musste ich mir, statt einer Bluse, eine neue schwarze Jacke besorgen. 

Die passte einigermaßen in 40. Kurz darauf fand ich eine attraktive Bluse. Sie passt in 38. Gut, sie spackt ein bisschen unter dem Arm. Aber ich habe ja jetzt die Gewissheit, in den nächsten 20 Monaten tut sich noch was, bevor ich wieder dick und glücklich werde. 

Und in den Tod stürzen werde ich nur, wenn ich nächstes Jahr wieder die Regenrinne eigenhändig reinigen werde. Das hat mir übrigens einen hübschen Muskelkater verursacht, weil ich mich heftig am Dach festhalten wollte. Zwischenzeitlich rief ich den mittleren Sohn zur Hilfe, der sich erst einmal bog vor Lachen, als ich auf der Dachkante des Anbaus saß und ihn fragte, ob er die Nummer der Feuerwehr auswendig wüsste. Nur für den Fall. Welchen Fall, wollte er wissen. Den Fall, dass ich nicht mehr allein herunterkomme, vom Dach. Er nahm dann den Eimer mit Regenrinnenschmand entgegen und hielt die Leiter ruhig, so kletterte ich, grazil wie ein kleines Äffchen, wieder herunter, nur um mich sogleich den Regenrinnen am vorderen Teil des Hauses zu nähern. Da einige Spaziergänger am Haus vorbeikamen, tat ich extrem lässig. Unter Zuhilfenahme eines alten Hockeyschlägers entleerte ich die Rinne bis ganz ins Eck. Und die Rinnen der Nachbarin gleich mit. Das bot sich an, sonst wäre ihr Schmodder beim nächsten Regen gleich wieder zu mir herüber geschwappt. Jetzt habe ich den Titel "Beste Nachbarin". Das freut mich. 

Als ich meiner Therapeutin davon berichtete, dass ich sehr wohl allein leben und alles selber machen könnte und darum auch aufs Dach steigen und drei Jahre angesammelten Dreck aus der Regenrinne holen könnte, fragte sie mich nach Suizidgedanken (ich springe doch nicht vom Dach! Ich bin doch nicht irre, das ist hoch und man tut sich weh). 

Jetzt soll ich nicht mehr aufs Dach, erst einmal. Aber nächstes Jahr müsste ich. Eigentlich. Vielleicht lasse ich das. Vielleicht warte ich doch 20 Monate, bevor ich solche Dinge wieder wage. 

Übrigens wird Gereon heute Abend ziemlich eine auf den Sack bekommen haben. Wer ist Gereon, fragst Du jetzt. Gereon ist der Typ, der heute Mittag in der Drogerie zwei Packungen Klopapier in den Einkaufswagen gelegt hat. Und seine weibliche Begleitung (ich kann im Augenblick diese Beschreibungen von Beziehungskategorien und deren Fachtermini nicht herausbringen, sonst kommt mir das kleine Portiönchen Abendessen hoch) fuhr ihn an: "Gereon, lass das bitte.". Aber Gereon brummelte: "Man weiß ja nie...!" und sie zischte ihn an: "Leg das sofort zurück, der Keller ist voll.", wobei er sich nicht beirren ließ: "Ich nehm das mit!".

Ich bin sicher, das letzte Wort war da noch nicht gefallen. Und in meinem Kopf breitet sich ein Potpourri an Möglichkeiten aus, wie die beiden ihren Abend gemeinsam verbracht haben werden. Ja, manches garniere ich mit Blut. Viel Blut. Und es ist nicht ihres. 

Ich werde jetzt in meine Kissen sinken, weiter atmen und dabei Knight Rider schauen. Denn zu mehr bin ich intellektuell nicht im Stande. 


Immer die Deine, bei jedem Kummer.

Morticia-Juliette Lavendel

P.S.: Ich habe meine Fingernägel wieder ablackiert. Manches geht einfach nicht, egal wie groß das Unglück ist.

P.P.S.: Ich habe jetzt zwei Tattoos. Wenn das so weitergeht, werde ich sehr bunt sein, in 2 Jahren.

Samstag, 17. Oktober 2020

Morticia - why not?

 Liebes Lavendelchen,

ich schwöre dir, es wird besser. Und zwar in zwei Jahren (ab der endgültigen Trennung - sollte es wirklich darauf hinauslaufen). 

In zwei Jahren wird er morgens nicht mehr der erste und abends nicht mehr der letzte Gedanke sein. Du wirst immer öfter denken, dass es ganz gut ist, wie es so gekommen ist. Womöglich findest du es sogar erstaunlich, dass es überhaupt so lange gehalten hat. Und vielleicht denkst du, dass du dir das nie verzeihen wirst: so lange ausgeharrt zu haben. 

Solltest du Letzeres mal in meiner Gegenwart fallen lassen, werde ich schimpfen, da es weder etwas zu beklagen noch zu verzeihen gibt. Weil jeder Mensch in jeder Situation immer genau von dem das Beste macht, was er für das Beste hält. 

Du kannst noch für den Rest deines Lebens eine nihilistische Morticia Addams werden (die ich übrigens grandios als Role Model finde und Angelica Huston sah spektakulär aus), aber in den ersten 30 Jahren deiner Beziehung warst du eben genau die Mutter, Ehefrau, Hundesitterin und Gärtnerin, die es gebraucht hat und die du im besten Fall ja sogar sein wolltest. Daran ist rein gar nichts falsch. Und vielleicht bleibst du das auch noch für die nächsten 30 Jahre. 

Die Messen sind noch lange nicht gelesen, weil:

  1. Die Brotspinne hat sich einen Sugar-Daddy mit drei Kindern und einer quicklebendigen Ehefrau gesucht. Da wünsche ich viel Spaß und ihren Redebedarf kann ich mir lebhaft vorstellen. 
  2. Hätte er sich eine Frau in seinem Alter gesucht, wäre ich viel beunruhigter; da läge die Gefahr von Liebe in der Luft. In seinem Fall gehe ich von Pfirsichhaut-Anbetung aus. 

Ich finde gut, dass du den Garten umgräbst, neue Schlüpfer kaufst, die Nägel lackierst und die Haare nicht rot färbst (Haselnuss ist ein schöner warmer Ton). Du kannst aber auch einfach ein paar Wochen einfach liegen bleiben und nichts tun, außer heulen. Alles ist erlaubt in diesen Tagen; du gehst vor.

Übrigens: dass der Ruchlose dir erst nach der Kur Geständnisse macht, finde ich fast das Schlimmste. Wie gut hättest du jetzt eine sechswöchige Auszeit gebrauchen können!

Froh bin ich, dass das saufen auch für dich nix ist. Schwester im Geiste: auch ich war nur einmal besoffen, mit 16, auf der Klassenfahrt nach Amberg. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte saufen; will sagen: mein Kreislauf würde das vertragen. Aber dann hätte der Suff mich schon dahingerafft, das weiß ich. Sämtliche Eierlikörvorräte in Deutschland hätte ich verputzt. Aber das ist ein anderes Thema.

Und nun: welche ist wohl attraktiver? Hm?

 Psychology of Inspirational Women: Morticia Addams | The Mary Sue RUNNER'S WORLD

Halte durch. Atme einfach weiter. 

Deine Annika

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Heartbreak Hotel

 Liebste Annika, 

Wie gut mir Deine Worte taten. Es ist so schön, wenn es jemand für mich übernimmt, die beiden Liebeskummerproduzenten ein bisschen zu schmähen. Weil ich das nicht so gut hinbekomme, im Moment. Einfach zu traurig, weißt Du? Betreutes Weinen wäre gar nicht mal so verkehrt. Im Moment kämpfe ich noch. 

Ich weiß zwar nicht so genau, um was ich hier kämpfe, aber ich kämpfe. Seit gestern führe ich sogar meine Fingernägel in die Schlacht. Lackiert in tiefdunklem rotviolett. Eigentlich wollte ich schwarzen Lack nehmen, die Nägel abkauen wie in meiner Kindheit und dann mit ruinierten, abgestoßenen, abgeknabberten schurreschwarzen Nägeln auf mein Elend aufmerksam machen. Aber der tiefdunkel rotviolettfarbene Lack sieht einfach unerhört fesch aus, vor allem, wenn die Nägel etwas länger sind, weswegen ich sie jetzt zum ersten Mal nach der langen Nägelkurzzeit (Mutti hat die Nägel kurz wegen praktisch) wachsen lasse. Damit wirkt meine Hand sehr elegant. 

Und ich sage Dir, eine Kippe würde mich sehr kleiden. Aber schon der Geruch hindert mich daran, mir eine anzuzünden. Manchmal zieht nämlich vom gegenüber liegenden Balkon eine Rauchwolke in meine Kemenate und das ekelt mich. Auf jenem Balkon wird gern geraucht. Der Mann aus der Wohnung im ersten Stock raucht zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Balkon herum. Bis vor wenigen Wochen leistete ihm dabei seine Frau Gesellschaft. Die ist weg. Und die Klatsch- und Tratschkette förderte zutage, dass sie ihn verlassen hat, weil er zuviel Alkohol und andere Substanzen, unter anderem auch Rauchwaren, konsumierte, was seine Zeugungsfähigkeit auf 10 % Spermienaktivität hinunterschraubte, weshalb er der Holden kein Kind machen konnte, was sie ihm in ihrem ausgeprägten Kinderwunsch sehr übel nahm. 

Ja, andere Leute haben es auch nicht leicht. Und so schaue ich aus meinem Fenster auf seinen Balkon hinunter und fühle mit, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt bin, mich zu schlecht zu fühlen, um noch mit irgendwem anders mitfühlen zu können. 

Und mein Haar bleibt dran. Aber ich lasse mir mal zeigen, was ich mit meinem Haar alles anstellen kann. Kurz war ich versucht, es rot zu färben. Nur erinnerte ich mich an meine Mutter, die in den Fuffzigern auch das Haar rot trug und schon war der Plan in der Kanalisation. Dann liebäugelte ich mit schwarz (übrigens alles schon da gewesen, in meinen frühen Zwanzigern), erinnerte mich an die harten Kontraste zu meiner Haut und eigentlich möchte ich zwar nihilistisch aber nicht wie Morticia A. Addams (geborene Frump) aussehen. Darum bleibt mein Haar, wie es ist, dunkelblond oder hellbraun oder köterig, mit aparten grauen und fast weißen Strähnen. Und mehr als schulterlang. Es lässt sich hübsch hochdrapieren, seitlich eindrehen, messiknödeln. Glück hat, wer eine Tochter mit Leidenschaft für Frisurentutorials hat. 

Weißt Du, jeden Morgen werde ich wach und denke, ich kann nicht aufstehen. Ich muss jetzt für immer liegen bleiben und dabei verdursten und verhungern und dann hat das Elend ein Ende. Und dann fällt mir ein, ich muss noch mit dem Hund raus (jetzt habe ich leider Angstanfälle, wenn mir im Wald blonde Hunde begegnen, danke dafür, du beschissener Scheißbeißhund!), ich muss noch zur Arbeit, ich muss noch Sport mit einer 91 Jahre alten Dame machen, die es zutiefst bedauert, wegen Corona nicht mehr Tennis spielen zu können und darum mit mir Gymnastik macht, ich habe keine Zeit, liegen zu bleiben. Dann quäle ich mich aus dem Bett und setze einen Fuß vor den anderen, putze meine Zähne, wurschtel mein Haar zusammen und dann arbeite ich eins nach dem anderen ab. Immer kurz davor, mich wieder hinzulegen. Aber dann doch nicht. 

Und wenn es sehr arg ist, dann werde ich extrem lyrisch, schreibe traurige Gedichte in mein trauriges Notizbuch, das ich im Moment stets bei mir trage, falls ich etwas Trauriges notieren möchte.


Und dieses ganze Geschwurbel der Gefühle, dieses Geschisse des Herzens, diese gottverfluchte, elende Ehe- und Beziehungsscheißkrise hat gestern dazu geführt, dass ich mir drei Gläser Weißwein reingeschüttet habe. Ich. Die nie trinkt. Die ein einziges Mal in ihrem Leben, und zwar mit 16, betrunken war. Drei Gläser Weißwein. Muss ich mehr erklären? Es war eine Erfahrung. Und sie wird sich frühestens in 35 Jahren wiederholen. Da bin ich 86, der Mann, den ich geheiratet hatte, dürfte der statistischen Wahrscheinlichkeit und seines Blutdrucks nach bereits den Löffel abgegeben haben und ich hocke fein im Sessel und gönne mir noch einmal einen Rausch. Dann ist nämlich eh alles wurscht. 

Oder mein Löffel wurde auch schon weitergereicht. 

Auf jeden Fall ist Saufen nicht mein Metier.

Kannst Du mir bitte schwören, dass ich irgendwann nicht mehr so traurig bin? Dass auch aus meinem Hintern irgendwann wieder die Sonne scheint? Schwöre es mir. So, dass ich es glaube. Ich flehe Dich an.

Deine Juliette