Donnerstag, 29. Oktober 2020

The show is going on and on and on and...

Liebste Annika,

zwei Jahre? Ist das Dein Ernst? Zwei Jahre? Bis dahin bin ich entweder verhungert oder in den Tod gestürzt! Gut, das klingt jetzt dramatischer als ich das eigentlich wollte. Lass es mich erklären. 

Verhungert, weil Liebeskummer mich wirklich schlank macht. In den vergangenen Wochen hat sich meine Kleidergröße stetig bewegt. Und als ich mir, nachdem ich zwecks meines Morticiadaseinsplans eine schwarze Bluse in 42 bestellte und mich dabei extrem mutig fand, gleich noch eine in 40 bestellen und die 42 zurückschicken musste, wurde mir klar, ich bin aus der Größe L herausgeschrumpft. Die 40 passte auch nicht. Aber ich hatte erst einmal keine Lust auf weitere Versuche, eine schwarze Bluse zu bekommen. Denn ich hatte andere Notwendigkeiten zu bewältigen.

In einem Anfall von Traurigkeit füllte ich nämlich kürzlich die Waschmaschine. Meine tränenumflorten Augen schauten in die Vergangenheit (natürlich angefüllt mit unfassbar viel Glück- verlogenes Miststück, die Vergangenheit) oder wahlweise in die Zukunft (angefüllt mit unfassbar viel Unglück und Verlassenheit- noch so ein Lügenbold) und nicht auf den gottverdammten Wäschekorb. Ich stopfte alles in die Maschine, 40 Grad Buntwäsche. Und als ich später die Wäsche aufhängte, traf mich fast der Schlag. Meine wunderbare schwarze Wolljacke, echte Wolle, kein Polyester, kein Acryl, Haare vom Schaf, gesponnen und gestrickt, kam als kleiner, harter Kittel aus der Trommel. Ich erlitt einen veritablen Zusammenbruch auf dem Betonboden der Waschküche. 

Und darum musste ich mir, statt einer Bluse, eine neue schwarze Jacke besorgen. 

Die passte einigermaßen in 40. Kurz darauf fand ich eine attraktive Bluse. Sie passt in 38. Gut, sie spackt ein bisschen unter dem Arm. Aber ich habe ja jetzt die Gewissheit, in den nächsten 20 Monaten tut sich noch was, bevor ich wieder dick und glücklich werde. 

Und in den Tod stürzen werde ich nur, wenn ich nächstes Jahr wieder die Regenrinne eigenhändig reinigen werde. Das hat mir übrigens einen hübschen Muskelkater verursacht, weil ich mich heftig am Dach festhalten wollte. Zwischenzeitlich rief ich den mittleren Sohn zur Hilfe, der sich erst einmal bog vor Lachen, als ich auf der Dachkante des Anbaus saß und ihn fragte, ob er die Nummer der Feuerwehr auswendig wüsste. Nur für den Fall. Welchen Fall, wollte er wissen. Den Fall, dass ich nicht mehr allein herunterkomme, vom Dach. Er nahm dann den Eimer mit Regenrinnenschmand entgegen und hielt die Leiter ruhig, so kletterte ich, grazil wie ein kleines Äffchen, wieder herunter, nur um mich sogleich den Regenrinnen am vorderen Teil des Hauses zu nähern. Da einige Spaziergänger am Haus vorbeikamen, tat ich extrem lässig. Unter Zuhilfenahme eines alten Hockeyschlägers entleerte ich die Rinne bis ganz ins Eck. Und die Rinnen der Nachbarin gleich mit. Das bot sich an, sonst wäre ihr Schmodder beim nächsten Regen gleich wieder zu mir herüber geschwappt. Jetzt habe ich den Titel "Beste Nachbarin". Das freut mich. 

Als ich meiner Therapeutin davon berichtete, dass ich sehr wohl allein leben und alles selber machen könnte und darum auch aufs Dach steigen und drei Jahre angesammelten Dreck aus der Regenrinne holen könnte, fragte sie mich nach Suizidgedanken (ich springe doch nicht vom Dach! Ich bin doch nicht irre, das ist hoch und man tut sich weh). 

Jetzt soll ich nicht mehr aufs Dach, erst einmal. Aber nächstes Jahr müsste ich. Eigentlich. Vielleicht lasse ich das. Vielleicht warte ich doch 20 Monate, bevor ich solche Dinge wieder wage. 

Übrigens wird Gereon heute Abend ziemlich eine auf den Sack bekommen haben. Wer ist Gereon, fragst Du jetzt. Gereon ist der Typ, der heute Mittag in der Drogerie zwei Packungen Klopapier in den Einkaufswagen gelegt hat. Und seine weibliche Begleitung (ich kann im Augenblick diese Beschreibungen von Beziehungskategorien und deren Fachtermini nicht herausbringen, sonst kommt mir das kleine Portiönchen Abendessen hoch) fuhr ihn an: "Gereon, lass das bitte.". Aber Gereon brummelte: "Man weiß ja nie...!" und sie zischte ihn an: "Leg das sofort zurück, der Keller ist voll.", wobei er sich nicht beirren ließ: "Ich nehm das mit!".

Ich bin sicher, das letzte Wort war da noch nicht gefallen. Und in meinem Kopf breitet sich ein Potpourri an Möglichkeiten aus, wie die beiden ihren Abend gemeinsam verbracht haben werden. Ja, manches garniere ich mit Blut. Viel Blut. Und es ist nicht ihres. 

Ich werde jetzt in meine Kissen sinken, weiter atmen und dabei Knight Rider schauen. Denn zu mehr bin ich intellektuell nicht im Stande. 


Immer die Deine, bei jedem Kummer.

Morticia-Juliette Lavendel

P.S.: Ich habe meine Fingernägel wieder ablackiert. Manches geht einfach nicht, egal wie groß das Unglück ist.

P.P.S.: Ich habe jetzt zwei Tattoos. Wenn das so weitergeht, werde ich sehr bunt sein, in 2 Jahren.

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