Montag, 28. Dezember 2020

Weihnacht und Zukunft

 Liebste Annika,

das Weihnachten ist rum. Und jetzt dauert es nur ein Jahr und dann ist wieder Weihnachten. Und wer weiß, was dann abgeht. 

Ich habe in meinem ganzen Drama dieses Jahr komplett vergessen, meine Weihnachtsdepression auszupacken. Wie konnte mir das nur passieren? Mir fehlt das Suhlen im Unglück all der Weihnachtsfeste, die ich mit sturzbetrunkenen Familienangehörigen verbringen durfte. Hatte ich Dir schon einmal davon erzählt, wie bereits nach der Vorspeise die Party zu Ende war, weil jemand volltrunken vom Stuhl gefallen ist? 

Ohne die Weihnachtsdepression gab es einen hübschen kleinen Weihnachtsbaum mit Lichterkette. Der Baum ist aus dem Garten und wird auch bald dorthin zurückkehren. Er hat sich selbst in einen alten Blumentopf gepflanzt und ist jetzt immerhin schon einen halben Meter groß. Nächstes Jahr darf er wieder rein und pieksen und leuchten. Und der Hund wird mit seinem wedelnden Schwanz die kleinen Kugeln wieder, wie ein Golfspieler den Golfball, durch das Wohnzimmer dreschen.

Kekse hat es auch sehr viele im Haus. Die laufen dieses Jahr nicht so gut. Insgesamt ist hier eine rechte Appetitlosigkeit zu beobachten. Und die harmoniert so gar nicht mit meiner Backattacke. Es gibt Mandelhörnchen, Kokosmakronen, Vanillekipferl, Husarenmopeds, Schwarzweißkekse, Ausstecherle und Baiser. Und die liegen rum. Schade eigentlich. Ich fange jetzt einfach mal an, sie in der Nachbarschaft zu verschenken. 

Ja, ich weiß, welche Frage hier in der Luft über dem Brief wabert. Was macht die Ehekrise? Was macht die Affäre? Was macht die Brotspinne? Nach außen hin wirkt es recht unverändert. Aber innen, ich sage Dir, innen, da geht richtig die Party. Also in mir. Ich denke und sortiere und plane und mache und tue. Schließlich möchte ich ja im neuen Jahr nicht weiter herumkriechen und leiden. Gut, der Mann ist recht unbeweglich. Der meint, wenn er die Augen fest zukneift, sieht ihn keiner. Und manchmal bekommt er Trotzanfälle. Immer dann, wenn ich ihm sage, dass es so nicht weiter geht. Ich habe ihm gestern gesagt, er soll aufhören, sich wie ein Dreijähriger zu benehmen. Und dass ich nicht mehr anspringe auf seine Trigger. Wenn er mich anpampt, rudere ich nicht mehr zurück nach dem Motto: Hab mich lieb, bittebittebitte, hab mich lieb! Ist für den Arsch. Der hat mich nicht lieb. Hätte er mich lieb, würde er das so nicht durchziehen. Ich habe ihn lieb. Ist so. Aber irgendwann ist das nicht mehr genug. Dann reicht Liebe nicht mehr aus. Dann muss es etwas anderes sein. 

Die Brotspinne hockt weiter in ihrem Einzimmerappartement und freut sich vermutlich, wenn der Mann vorbeikommt im Lockdown, sie zusammen eine Runde vögeln und er dann irgendwann wieder abdampft. Ist mir aber mittlerweile auch egal, denn ich weiß, wie sie heißt, wie sie aussieht, wo sie arbeitet und eine Menge mehr. Und das macht mich mächtig. Sie weiß nicht, dass ich es weiß. Er weiß nicht, dass ich es weiß. Das ist einfach ein richtig feines Gefühl. So leicht bin ich zufrieden zu stellen. Außerdem überlege ich, mich bei einer Privatdetektei zu bewerben. Ich bin ziemlich gut in Stalking privaten Ermittlungen. 

An Silvester werde ich auf dieses Jahr einen ziemlich großen Haufen scheißen (entschuldige bitte meine derbe Ausdrucksweise, aber dieses Jahr hat mich wirklich gelehrt, was eine Harke ist, da bleibt mir außer Vulgarität nichts mehr übrig) und anschließend das nächste vorwarnen, dass es das Selbe zu erwarten hat, wenn es sich nicht ein bisschen am Riemen reißt. 

Und nun überlege ich, ob ich mein Herz jemals wieder vergeben möchte oder es lieber im Wald aussetze, wo es von Wildschweinen gefressen wird, die es wiederum verdaut unter einen Baum kacken, worin sich dann ein Hund wälzt, der anschließend von seiner Besitzerin geduscht wird. Das Herz wird in verkackter Form mit dem Abwasser hinwegfließen und mit etwas Glück seinen Weg ins Meer finden. Und wenn ich nächstes Jahr Urlaub am Meer mache, wird mir mein beschissenes Herz beim Bad im Ozean begegnen. 

Mehr Pläne habe ich nicht. 

Die liebsten und innigsten Grüße von

Deiner Lavendel


Mittwoch, 9. Dezember 2020

Bloß nicht tindern

Ach, mein geplagtes Lavendelchen,

ich bin so gottfroh, dass ich original denselben Scheiß mit zarten 33 Jahren hinter mich bringen durfte. Nicht, dass es das besser macht oder weniger schmerzlich. Ich hatte nach einigen Wochen "meine" Brotspinne identifiziert, aber ich hätte es lieber lassen sollen nach ihr zu fahnden, denn als ich wusste, wer sie war, wusste ich auch, dass alle Messen gelesen waren: sie war Stuntwoman. Ernsthaft! Und Fitnesstrainerin. Er hatte sich wirklich das Kontrastprogramm gesucht. Buchhändlerin versus Stuntwoman. Ich war am Arsch.

Bis zu dem Tag, als er wieder vor meiner Tür stand, weil er zurück wollte, wusste er nicht, dass ich wusste, wer sie ist und wo sie wohnt. Das ist Herrschaftswissen, meine Liebe. Man muss sollte so einem anderweitig Schockverliebten immer einen Schritt voraus sein. 

Jedenfalls, als er wieder vor der Tür stand, fragte ich: "Wie heißt sie und wo wohnt sie?" und als er wahrheitsgemäß antwortete und mir seinen Wohnungsschlüssel gab, weil er "noch heute" wieder einziehen wolle, wusste ich, dass es ihm ernst war. Wir verbrachten dann noch drei weitere Jahre miteinander, bis es dann endgültig vorbei war. 

Ich spreche also aus Erfahrung und wiederhole mich: du kannst ihn später wieder aufnehmen, ihr könnt einen zweiten Frühling miteinander erleben, der sich gewaschen hat, sogar noch ein viertes Kind zeugen - aber vorher musst du das mit dem Haus klären. Sonst sitzt die Brotspinne drin und jetzt hast du noch den Mitleidsbonus, deine Kinder als Unterstützung - aber das MUSS dir jetzt überschríeben werden, das ist WIRKLICH WIRKLICH wichtig. Sonst ist das Erbe für eure Kinder weg und du sitzt in irgendeiner 2 Zimmer Wohnung und haderst, sobald du wieder bei klarem Verstand bist. Und die Brotspinne zupft das Unkraut in deinem Garten weg. Das braucht kein Mensch.

Also: nicht tindern, sondern notariell beglaubigen lassen. 

Immer die Deine
Annika

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Ja, das dauert noch, bis ich mich auf anderes konzentrieren kann

Liebste Annika,

wieviel Wahnsinn verträgt man? Und Mann? 

Du musst mich doch hassen, sagt er dauernd. Und ich google immer wieder die Brotspinne und denke, ich habe sie gefunden, auch wenn er behauptet, sie ist es nicht. Ich glaube sehr wohl, sie ist es.

Ach, egal. 

Soll ich Dir mal was sagen? Diese ganze Herzschmerzscheiße geht mir maximal auf den Zwirn. Ewig heulen, das ist doch sinnlos. Ich habe mir jetzt ein paar Kleidchen gekauft, weil ich seit neuestem meine Beine zeigen möchte, die sind nämlich rank und schlank wie vor der Speckexplosion, die verursacht wurde durch drei Schwangerschaften. Also Kleidchen und Röckchen, die nicht mehr bis zum Knöchel gehen sondern über dem Knie enden. ÜBER, verstehst Du? So wagemutig war ich lange nicht. Ich war shoppen mit meinem Wolkenköpfchen. Und die wollte mit in die Umkleide. Da ist sie fast vom Glauben abgefallen, weil mir nichts mehr passt, nicht einmal meine neuen Unterhosen. Die schlabbern um mich herum. Und die neuen Büstenhalter ebenfalls. Sie ist überzeugt, dass ich eine Essstörung habe (nicht ganz von der Hand zu weisen) und versucht jetzt, mich zu füttern. Damit ich nicht verhungere. Mein Argument, dass ich beim BMI noch im Normbereich bin, ist ihr komplett egal. Sie will, dass ich wieder ihre weiche, warme, bequemliche, schwere Mutter bin. Dieses etwas knochige Unglücksgespenst ist ihr gar nicht geheuer. Mir ja auch nicht. Ich verstehe durchaus, dass sie mit Macarons hinter mir herläuft und sie mir in den Mund stecken will. 

Diese Veränderung ist auch sehr erstaunlich. Leute, die mich nicht so gut kennen, erkennen mich nicht. Heute habe ich mir das Kinderauto ausgeliehen, weil meins in der Werkstatt war. Und als ich das Kind von der Arbeit abholte, grüßten mich seine Kollegen mit einem knappen Nicken. Bis sie merkten, wen ich abholte, mich noch einmal genauer anschauten und dann in laute Entschuldigungstiraden ausbrachen, weil sie mich einfach nicht erkannt hatten. Wie ich da so stand. In schwarzen Strumpfhosen, schwarzen Stiefeln, grauem kurzem Rock, anthrazitfarbenem Mantel, geflochtenem und hochgestecktem Haar (es fehlt nur die Kippe im Mundwinkel). 

Und in der Werkstatt drehte der Meister anschließend eine Probefahrt mit mir in meinem frisch reparierten Auto, um mich zu fragen, was mit mir los ist, warum ich so verändert bin, er hätte da gehört blablablatrallallalla und wenn nicht Winter und Corona wäre, würde er mich auf ein Eis einladen. Und ich würde das sogar annehmen, auf jeden Fall, auch wenn er so gar nicht mein Fall ist. Aber bitte. Mit Anfang fünfzig nimmt man, was man kriegt. 

Bei Tinder hatte ich mich auch angemeldet. Als ich gleich am nächsten Tag zwei Nachrichten von Männern hatte, von Männern, ich bitte Dich, von zwei Männern, Typen der Gattung, die Frauen nach 33 Jahren wegen einer Tussi belügen, betrügen, verarschen, die Brotspinne heißt und vor 33 Jahren noch nicht einmal auf der Welt war, warte... wo war ich? Ach ja, Tinder. Ja. Habe ich gelöscht. Vor Schreck. Ich meine, was schreibt man da? Keine Ahnung. 

Du, Horst, 57, aus dem wenige Kilometer entfernten Kuhkaff nebenan, siehst leider so erbärmlich aus wie ich mich fühle. Kannste nicht machen. Stefan, 52, du könntest mich interessieren, bist aber gottesfürchtig und da fürchte ich mich auch. Darum bekommst du heute von mir kein Dingsda. Und schon gar nicht ein Superlike. Niemals nach oben wischen, hat mir das Wolkenköpfchen gesagt. Superlikes behält man besser für sich. Wobei das Wischen schon witzig war. Ein Männerkatalog. Ein Ottokatalog. So viele Ottos. Wieviele von denen wohl schon belogen und betrogen haben? 

Ich schwimme und schwimme und schwimme durch die Tage. Versuche, den Kopf irgendwie über der Wasseroberfläche zu halten. Mache merkwürdige Dinge. Buche Reisen. Kaufe ständige Sachen. Kriege Lachanfälle. Und ich weine. Und weine. Wegen allem. Wegen der vergangenen Jahre, die echt beschissen waren. In so vieler Hinsicht. Wegen dieser Ehe. Wegen all der Zeit. Weine, weil ich mir so sehr wünsche, dass mich dieser Mann liebt. Weil ich eine Frau bin, die liebenswert ist. Und er tut es nicht. Ob ich jetzt im engen Kleid da stehe oder in der Jogginghose. Es macht keinen Unterschied. Ob 80 Kilo oder 60. Ob mit Wimperntusche oder ohne. Rote Lippen, blasse Lippen. Es ist egal. Ich schwimme. Und wenn ich auf den Strudel zuhalte, den Strudel der Verzweiflung, der mir ins Ohr schwappt und im Kopf und im Herzen immer weiter kreiselt, immer herum um den Gedanken EndeausMickeyMaus, Ausundvorbei, Erledigt und wie sie sonst alle heißen, dann versuche ich mir eine Rettungsweste aufzupusten. Damit ich nicht untergehe. 

Es ist natürlich schon cool, dass ich dauernd von allen Seiten höre, wie toll ich aussehe. Wie faszinierend das ist, dass ich so vital wirke. Wieviel Energie ich doch habe. Mit all den Komplimenten puste ich die Rettungsweste so prall auf, dass es eng wird, da drin. Aber mal ganz ehrlich, ich bin einfach so abartig traurig. Es ist eigentlich nicht auszuhalten. Das alles ist nur Kosmetik. Ich will das elende Häuflein, das ich innen bin, nicht auch noch im Außen darstellen. Dann lieber fesch. 

Und weißt Du, was noch? Mein Körper, dieses Miststück, macht mit 51 Jahren immer noch einen auf "Hach, ich bin so fruchtbar!". Ich erkläre meiner Gebärmutter, hör zu, das hier ist eine schlimme Krise und es würde mir entgegenkommen, wenn Du Dich mal entspannst und durchlockerst. Den Eierstöcken sage ich, Mädels, ihr könnt euch zurückziehen. Kommt eh nix sinnvolles mehr bei eurer Produktion rum. Den Hormonen sage ich, bitte alle mal beruhigen und einen Gang zurückschalten. Aber das ganze Pack pellt sich ein Ei drauf und veranstaltet ein Happy Feuerwerk an Fruchtbarkeitsreminiszenzen. Weshalb ich ständig zwischen Liebeskummer, PMS und klimakterischen Anfällen hin und her rutsche. Das hält doch niemand aus. 

Und dann ist da noch die Sache mit dem Haus. Und die Sache mit allem. Und ich müsste... und müsste... und dürfte ihm nicht trauen... und überhaupt. Aber weißt Du was? Ich kann gerade nicht. Ich bin viel zu sehr damit befasst, nicht abzusaufen. Ist vielleicht deppert. Aber es geht nicht. Jetzt nicht. Morgen möglicherweise. Oder nächsten Montag. 

Wann auch immer. 

Die liebsten Grüße aus Hell-City, Deine halbirre 

Lavendel