Montag, 28. Dezember 2020

Weihnacht und Zukunft

 Liebste Annika,

das Weihnachten ist rum. Und jetzt dauert es nur ein Jahr und dann ist wieder Weihnachten. Und wer weiß, was dann abgeht. 

Ich habe in meinem ganzen Drama dieses Jahr komplett vergessen, meine Weihnachtsdepression auszupacken. Wie konnte mir das nur passieren? Mir fehlt das Suhlen im Unglück all der Weihnachtsfeste, die ich mit sturzbetrunkenen Familienangehörigen verbringen durfte. Hatte ich Dir schon einmal davon erzählt, wie bereits nach der Vorspeise die Party zu Ende war, weil jemand volltrunken vom Stuhl gefallen ist? 

Ohne die Weihnachtsdepression gab es einen hübschen kleinen Weihnachtsbaum mit Lichterkette. Der Baum ist aus dem Garten und wird auch bald dorthin zurückkehren. Er hat sich selbst in einen alten Blumentopf gepflanzt und ist jetzt immerhin schon einen halben Meter groß. Nächstes Jahr darf er wieder rein und pieksen und leuchten. Und der Hund wird mit seinem wedelnden Schwanz die kleinen Kugeln wieder, wie ein Golfspieler den Golfball, durch das Wohnzimmer dreschen.

Kekse hat es auch sehr viele im Haus. Die laufen dieses Jahr nicht so gut. Insgesamt ist hier eine rechte Appetitlosigkeit zu beobachten. Und die harmoniert so gar nicht mit meiner Backattacke. Es gibt Mandelhörnchen, Kokosmakronen, Vanillekipferl, Husarenmopeds, Schwarzweißkekse, Ausstecherle und Baiser. Und die liegen rum. Schade eigentlich. Ich fange jetzt einfach mal an, sie in der Nachbarschaft zu verschenken. 

Ja, ich weiß, welche Frage hier in der Luft über dem Brief wabert. Was macht die Ehekrise? Was macht die Affäre? Was macht die Brotspinne? Nach außen hin wirkt es recht unverändert. Aber innen, ich sage Dir, innen, da geht richtig die Party. Also in mir. Ich denke und sortiere und plane und mache und tue. Schließlich möchte ich ja im neuen Jahr nicht weiter herumkriechen und leiden. Gut, der Mann ist recht unbeweglich. Der meint, wenn er die Augen fest zukneift, sieht ihn keiner. Und manchmal bekommt er Trotzanfälle. Immer dann, wenn ich ihm sage, dass es so nicht weiter geht. Ich habe ihm gestern gesagt, er soll aufhören, sich wie ein Dreijähriger zu benehmen. Und dass ich nicht mehr anspringe auf seine Trigger. Wenn er mich anpampt, rudere ich nicht mehr zurück nach dem Motto: Hab mich lieb, bittebittebitte, hab mich lieb! Ist für den Arsch. Der hat mich nicht lieb. Hätte er mich lieb, würde er das so nicht durchziehen. Ich habe ihn lieb. Ist so. Aber irgendwann ist das nicht mehr genug. Dann reicht Liebe nicht mehr aus. Dann muss es etwas anderes sein. 

Die Brotspinne hockt weiter in ihrem Einzimmerappartement und freut sich vermutlich, wenn der Mann vorbeikommt im Lockdown, sie zusammen eine Runde vögeln und er dann irgendwann wieder abdampft. Ist mir aber mittlerweile auch egal, denn ich weiß, wie sie heißt, wie sie aussieht, wo sie arbeitet und eine Menge mehr. Und das macht mich mächtig. Sie weiß nicht, dass ich es weiß. Er weiß nicht, dass ich es weiß. Das ist einfach ein richtig feines Gefühl. So leicht bin ich zufrieden zu stellen. Außerdem überlege ich, mich bei einer Privatdetektei zu bewerben. Ich bin ziemlich gut in Stalking privaten Ermittlungen. 

An Silvester werde ich auf dieses Jahr einen ziemlich großen Haufen scheißen (entschuldige bitte meine derbe Ausdrucksweise, aber dieses Jahr hat mich wirklich gelehrt, was eine Harke ist, da bleibt mir außer Vulgarität nichts mehr übrig) und anschließend das nächste vorwarnen, dass es das Selbe zu erwarten hat, wenn es sich nicht ein bisschen am Riemen reißt. 

Und nun überlege ich, ob ich mein Herz jemals wieder vergeben möchte oder es lieber im Wald aussetze, wo es von Wildschweinen gefressen wird, die es wiederum verdaut unter einen Baum kacken, worin sich dann ein Hund wälzt, der anschließend von seiner Besitzerin geduscht wird. Das Herz wird in verkackter Form mit dem Abwasser hinwegfließen und mit etwas Glück seinen Weg ins Meer finden. Und wenn ich nächstes Jahr Urlaub am Meer mache, wird mir mein beschissenes Herz beim Bad im Ozean begegnen. 

Mehr Pläne habe ich nicht. 

Die liebsten und innigsten Grüße von

Deiner Lavendel


Mittwoch, 9. Dezember 2020

Bloß nicht tindern

Ach, mein geplagtes Lavendelchen,

ich bin so gottfroh, dass ich original denselben Scheiß mit zarten 33 Jahren hinter mich bringen durfte. Nicht, dass es das besser macht oder weniger schmerzlich. Ich hatte nach einigen Wochen "meine" Brotspinne identifiziert, aber ich hätte es lieber lassen sollen nach ihr zu fahnden, denn als ich wusste, wer sie war, wusste ich auch, dass alle Messen gelesen waren: sie war Stuntwoman. Ernsthaft! Und Fitnesstrainerin. Er hatte sich wirklich das Kontrastprogramm gesucht. Buchhändlerin versus Stuntwoman. Ich war am Arsch.

Bis zu dem Tag, als er wieder vor meiner Tür stand, weil er zurück wollte, wusste er nicht, dass ich wusste, wer sie ist und wo sie wohnt. Das ist Herrschaftswissen, meine Liebe. Man muss sollte so einem anderweitig Schockverliebten immer einen Schritt voraus sein. 

Jedenfalls, als er wieder vor der Tür stand, fragte ich: "Wie heißt sie und wo wohnt sie?" und als er wahrheitsgemäß antwortete und mir seinen Wohnungsschlüssel gab, weil er "noch heute" wieder einziehen wolle, wusste ich, dass es ihm ernst war. Wir verbrachten dann noch drei weitere Jahre miteinander, bis es dann endgültig vorbei war. 

Ich spreche also aus Erfahrung und wiederhole mich: du kannst ihn später wieder aufnehmen, ihr könnt einen zweiten Frühling miteinander erleben, der sich gewaschen hat, sogar noch ein viertes Kind zeugen - aber vorher musst du das mit dem Haus klären. Sonst sitzt die Brotspinne drin und jetzt hast du noch den Mitleidsbonus, deine Kinder als Unterstützung - aber das MUSS dir jetzt überschríeben werden, das ist WIRKLICH WIRKLICH wichtig. Sonst ist das Erbe für eure Kinder weg und du sitzt in irgendeiner 2 Zimmer Wohnung und haderst, sobald du wieder bei klarem Verstand bist. Und die Brotspinne zupft das Unkraut in deinem Garten weg. Das braucht kein Mensch.

Also: nicht tindern, sondern notariell beglaubigen lassen. 

Immer die Deine
Annika

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Ja, das dauert noch, bis ich mich auf anderes konzentrieren kann

Liebste Annika,

wieviel Wahnsinn verträgt man? Und Mann? 

Du musst mich doch hassen, sagt er dauernd. Und ich google immer wieder die Brotspinne und denke, ich habe sie gefunden, auch wenn er behauptet, sie ist es nicht. Ich glaube sehr wohl, sie ist es.

Ach, egal. 

Soll ich Dir mal was sagen? Diese ganze Herzschmerzscheiße geht mir maximal auf den Zwirn. Ewig heulen, das ist doch sinnlos. Ich habe mir jetzt ein paar Kleidchen gekauft, weil ich seit neuestem meine Beine zeigen möchte, die sind nämlich rank und schlank wie vor der Speckexplosion, die verursacht wurde durch drei Schwangerschaften. Also Kleidchen und Röckchen, die nicht mehr bis zum Knöchel gehen sondern über dem Knie enden. ÜBER, verstehst Du? So wagemutig war ich lange nicht. Ich war shoppen mit meinem Wolkenköpfchen. Und die wollte mit in die Umkleide. Da ist sie fast vom Glauben abgefallen, weil mir nichts mehr passt, nicht einmal meine neuen Unterhosen. Die schlabbern um mich herum. Und die neuen Büstenhalter ebenfalls. Sie ist überzeugt, dass ich eine Essstörung habe (nicht ganz von der Hand zu weisen) und versucht jetzt, mich zu füttern. Damit ich nicht verhungere. Mein Argument, dass ich beim BMI noch im Normbereich bin, ist ihr komplett egal. Sie will, dass ich wieder ihre weiche, warme, bequemliche, schwere Mutter bin. Dieses etwas knochige Unglücksgespenst ist ihr gar nicht geheuer. Mir ja auch nicht. Ich verstehe durchaus, dass sie mit Macarons hinter mir herläuft und sie mir in den Mund stecken will. 

Diese Veränderung ist auch sehr erstaunlich. Leute, die mich nicht so gut kennen, erkennen mich nicht. Heute habe ich mir das Kinderauto ausgeliehen, weil meins in der Werkstatt war. Und als ich das Kind von der Arbeit abholte, grüßten mich seine Kollegen mit einem knappen Nicken. Bis sie merkten, wen ich abholte, mich noch einmal genauer anschauten und dann in laute Entschuldigungstiraden ausbrachen, weil sie mich einfach nicht erkannt hatten. Wie ich da so stand. In schwarzen Strumpfhosen, schwarzen Stiefeln, grauem kurzem Rock, anthrazitfarbenem Mantel, geflochtenem und hochgestecktem Haar (es fehlt nur die Kippe im Mundwinkel). 

Und in der Werkstatt drehte der Meister anschließend eine Probefahrt mit mir in meinem frisch reparierten Auto, um mich zu fragen, was mit mir los ist, warum ich so verändert bin, er hätte da gehört blablablatrallallalla und wenn nicht Winter und Corona wäre, würde er mich auf ein Eis einladen. Und ich würde das sogar annehmen, auf jeden Fall, auch wenn er so gar nicht mein Fall ist. Aber bitte. Mit Anfang fünfzig nimmt man, was man kriegt. 

Bei Tinder hatte ich mich auch angemeldet. Als ich gleich am nächsten Tag zwei Nachrichten von Männern hatte, von Männern, ich bitte Dich, von zwei Männern, Typen der Gattung, die Frauen nach 33 Jahren wegen einer Tussi belügen, betrügen, verarschen, die Brotspinne heißt und vor 33 Jahren noch nicht einmal auf der Welt war, warte... wo war ich? Ach ja, Tinder. Ja. Habe ich gelöscht. Vor Schreck. Ich meine, was schreibt man da? Keine Ahnung. 

Du, Horst, 57, aus dem wenige Kilometer entfernten Kuhkaff nebenan, siehst leider so erbärmlich aus wie ich mich fühle. Kannste nicht machen. Stefan, 52, du könntest mich interessieren, bist aber gottesfürchtig und da fürchte ich mich auch. Darum bekommst du heute von mir kein Dingsda. Und schon gar nicht ein Superlike. Niemals nach oben wischen, hat mir das Wolkenköpfchen gesagt. Superlikes behält man besser für sich. Wobei das Wischen schon witzig war. Ein Männerkatalog. Ein Ottokatalog. So viele Ottos. Wieviele von denen wohl schon belogen und betrogen haben? 

Ich schwimme und schwimme und schwimme durch die Tage. Versuche, den Kopf irgendwie über der Wasseroberfläche zu halten. Mache merkwürdige Dinge. Buche Reisen. Kaufe ständige Sachen. Kriege Lachanfälle. Und ich weine. Und weine. Wegen allem. Wegen der vergangenen Jahre, die echt beschissen waren. In so vieler Hinsicht. Wegen dieser Ehe. Wegen all der Zeit. Weine, weil ich mir so sehr wünsche, dass mich dieser Mann liebt. Weil ich eine Frau bin, die liebenswert ist. Und er tut es nicht. Ob ich jetzt im engen Kleid da stehe oder in der Jogginghose. Es macht keinen Unterschied. Ob 80 Kilo oder 60. Ob mit Wimperntusche oder ohne. Rote Lippen, blasse Lippen. Es ist egal. Ich schwimme. Und wenn ich auf den Strudel zuhalte, den Strudel der Verzweiflung, der mir ins Ohr schwappt und im Kopf und im Herzen immer weiter kreiselt, immer herum um den Gedanken EndeausMickeyMaus, Ausundvorbei, Erledigt und wie sie sonst alle heißen, dann versuche ich mir eine Rettungsweste aufzupusten. Damit ich nicht untergehe. 

Es ist natürlich schon cool, dass ich dauernd von allen Seiten höre, wie toll ich aussehe. Wie faszinierend das ist, dass ich so vital wirke. Wieviel Energie ich doch habe. Mit all den Komplimenten puste ich die Rettungsweste so prall auf, dass es eng wird, da drin. Aber mal ganz ehrlich, ich bin einfach so abartig traurig. Es ist eigentlich nicht auszuhalten. Das alles ist nur Kosmetik. Ich will das elende Häuflein, das ich innen bin, nicht auch noch im Außen darstellen. Dann lieber fesch. 

Und weißt Du, was noch? Mein Körper, dieses Miststück, macht mit 51 Jahren immer noch einen auf "Hach, ich bin so fruchtbar!". Ich erkläre meiner Gebärmutter, hör zu, das hier ist eine schlimme Krise und es würde mir entgegenkommen, wenn Du Dich mal entspannst und durchlockerst. Den Eierstöcken sage ich, Mädels, ihr könnt euch zurückziehen. Kommt eh nix sinnvolles mehr bei eurer Produktion rum. Den Hormonen sage ich, bitte alle mal beruhigen und einen Gang zurückschalten. Aber das ganze Pack pellt sich ein Ei drauf und veranstaltet ein Happy Feuerwerk an Fruchtbarkeitsreminiszenzen. Weshalb ich ständig zwischen Liebeskummer, PMS und klimakterischen Anfällen hin und her rutsche. Das hält doch niemand aus. 

Und dann ist da noch die Sache mit dem Haus. Und die Sache mit allem. Und ich müsste... und müsste... und dürfte ihm nicht trauen... und überhaupt. Aber weißt Du was? Ich kann gerade nicht. Ich bin viel zu sehr damit befasst, nicht abzusaufen. Ist vielleicht deppert. Aber es geht nicht. Jetzt nicht. Morgen möglicherweise. Oder nächsten Montag. 

Wann auch immer. 

Die liebsten Grüße aus Hell-City, Deine halbirre 

Lavendel

Donnerstag, 19. November 2020

Weitere Vorschläge

Also, meine liebe Lavendel,

weitere Vorschläge:

+++GEH ZUM NOTAR UND LASS DIR DAS HAUS ÜBERSCHREIBEN+++

Im Zustand der Verliebtheit ist der Abspenstige zu allem bereit, um seinem Gefängnis zu entkommen. Bevor er wieder zu Verstand kommt oder die Brotspinne schwanger wird oder beides, musst du das in trockenen Tüchern haben. Denn sonst kommt das junge Glück auf die Idee, bei dir einzuziehen. 

Vergiss, dass er der Mann ist, dem du immer vertraut hast, der anständig ist, war und immer sein wird, mit dem du so schön über Bücher sprechen konntest... er kann nur zu einer Frau nett sein und die wirst nicht du sein. Wenn er dir bereits gütig einen besseren Küsser wünscht, dann ist höchste Zeit für einen guten Rechtsbeistand.

Sag ihm, du willst das Haus für die Kinder, damit sie ein Erbe haben, sie sollen nicht alles verlieren, etc. blabla. 

Ob die Brotspinne nun brav ihre Spirale bei sich behält oder nicht, wissen wir nicht und du solltest nicht darauf vertrauen, dass er ihr vertraut. Du musst Fakten schaffen. In diesem Tränenmeer muss ein Funken Selbsterhaltungswille erweckt werden, der dieses Problem lösen will. 

Das kann er belächeln, soviel er will. Und überhaupt, was gibt es da zu lächeln? Denkt er, er kann fummeln und vögeln, bis die Brotspinne seiner überdrüssig wird und dann kommt er wieder endgültig zurück zu dir, für die letzten Jahre, nach seinem letzten Abenteuer, um in Ruhe und weitestgehend unbehelligt seine Tage zu fristen und dir ab und an eine gute Stelle von Joachim Meyerhoff vorzulesen?

Meine Liebe, es tut mir leid, dass ich so insistiere und dir (momentan) keine Hoffnung mache - obgleich immer noch passieren kann, dass er nach einem Jahr wieder angetrottet kommt - aber vorher muss das mit dem Haus klar sein. 

Meine Schreibblockade thematisiere ich ein andermal. 

Sei mir gegrüßt, gedrückt und geherzt
Deine Annika

PS: Lass ruhig alles schön raus, es ist mir weder zu larmoyant noch zu traurig, außerdem bist die Meisterin im Beschreiben trauriger Umstände. Du bist besser als jede Hollywood-Schmonzette es je sein könnte. Das ist ein Talent und jetzt kannst du es ausleben. 

Kennst das wunderbare Buch von Nora Ephron, "Sodbrennen"? Verfilmt mit Jack Nicholson und Meryl Streep. Schau den Film, lies das Buch - dieselbe Gemengelage, nur dass dein Mann kein preisgekrönter Journalist ist.

Sonntag, 15. November 2020

Unterm Dach ein Ach. Du. Verdammte. Hacke.

 Liebe Annika,

um es auf den Punkt zu bringen: Wäre dieses ätzende Corona-Covid-Geschisse nicht, ich wäre längstens mit einer Freundin ausgegangen, um auf Teufel komm raus zu flirten. Ein Mann, der mich zum Knutschen aufforderte und mit dem ich in der Tat zwei bis sieben Zungenküsse austauschte, findet mich sehr sexy, vielleicht aber auch nur, weil er mit seiner Frau genauso lange keinen Sex hatte wie ich mit meinem Mann. Entschuldige, kann sein, es ist zu viel Information. Aber manchmal muss es eben raus. 

Über die Zungenküsse kann ich nur sagen, nein, sie waren nicht das, was ich mir erträumte. Falsche Zeit, falsche Situation, falsches was auch immer. Ich fühlte mich hinterher nicht satt. Es hatte etwas gänzlich Pubertäres. Kann sein, ich bin zu alt für dieses hektische Rumgemache. Kann sein, ich möchte es... nun ja, ...langsam? Mit viel Gefühl? Was weiß denn ich. Nein. Ich möchte es mit meinem Mann. Das habe ich ihm (also meinem Mann, nicht dem zum Knutschen) auch gesagt und von dem Geknutsche erzählt. Natürlich hoffte ich, ihn würde ein bisschen was daran piesacken. Aber ach, er wünscht mir, dass ich einen finde, mit dem es mir viel Freude bereitet. Ein veritabler Griff ins Klo, diese Angelegenheit. 

Ja, mitunter wächst mir hier die ganze Angelegenheit über den Kopf. Und der Tränen gibt es immer noch sehr viele. Die Verzweiflung steigt und fällt. Wieder und wieder. Manchmal durchflossen von aller Kraft einer verschmähten und betrogenen Ehefrau, getragen von einer Energie, die mich selbst erstaunt, kippe ich nur fünf Minuten später in den Modus des verzweifelten Matschhaufens, der sich nicht einmal allein die Nase putzen kann. Es ist zum verrückt werden. 

Übrigens habe ich festgestellt, dass das Leben anderer Menschen sich darstellt wie ein Springen von Stein zu Stein in einem klaren, quirligen Gebirgsbach. Mein Leben hingegen ähnelten einem Springen von Kackhaufen zu Kackhaufen. Dazwischen steht hin und wieder ein Trampolin, damit ich mehr Dynamik bekomme, bei meinem nächsten Sprung. Und wenn das die Wahrheit ist, dann wartet der nächste Haufen schon auf meine Punktlandung. 

Um mich auf alles vorzubereiten, stelle ich mir gern vor, was als nächstes passiert. Die Brotspinne wird trotz Spirale schwanger und will das Blag auf jeden Fall bekommen. Mit dreißig tickt nämlich die Uhr und sie möchte gern ihre Gene weitergeben. Der Mann ist ganz verschämt und druckst rum, bis er es mir endlich sagt. Und der kleine Bastard hätte dann die gleichen Erbansprüche wie meine Kinder. Ein kleines Ups auf die Verhütung, sage ich. Ich hatte diesbezüglich Verantwortung von ihm eingefordert. Aber er traut der Brotspinne und ihrer Spirale. Ich nicht. Und mein Leben freut sich auf den Sprung. 

Hast Du noch weitere Vorschläge, was als nächstes passieren kann? Nur, damit ich mich schon mal warmlaufen kann und nicht im entscheidenden Moment die Nerven verliere. 

Vermutlich wäre ein Besuch beim Notar wirklich am Besten. Ich hatte das auch schon angemerkt. Bin aber bisher damit eher belächelt worden. 

Was ist das eigentlich, mit den Männern? Haben die sie nicht mehr alle beieinander? Liegt es an der Sternenkonstellation? Am Wetter? Am Virus? Oder hat Trump, der olle Pussygrabber, seine Finger im Spiel (Ihgitt, Ihgittigitt) und die männliche Weltbevölkerung mit etwas weitaus Schlimmerem als dem Populismus infiziert? 

Ich will eigentlich auch gar nicht schweigsam sein. Denn im Grunde hätte ich im Augenblick sehr viel herauszulassen. Nur ist das alles immer so abgrundtief traurig bis hin zur Larmoyanz.  Ich bin mir nicht sicher, ob ich Dir das antun kann. Ich kann es ja nicht einmal mir selbst antun. Und es kommt mir mitunter der Gedanke, ich sollte das ganze Theater von mir aus beenden. Ihn vor die Tür setzen. Nicht mehr hinnehmen, dass er seine Zeit mit der Brotspinne verbringt, während ich hier weiter die Care-Arbeit an Kindern, in Haus und Garten und mit dem Hund leiste. Adiós compañero. 

Wie auch immer, ich habe:

- eine neue Armbanduhr

- zwei weitere Spitzenschlüppis

- eine enge Jeans

- neue Ohrringe

- zwei neue Strickjacken

- einige neue Bücher (nur lesen kann ich sie nicht, zu unkonzentriert...)

- eine neue Pfanne

- acht Tüten Chips (die ich nicht esse, Appetitlosigkeit sei Dank)

- ein neues Spitzenbustier

- und noch ein paar Kleingkeiten, nicht weiter erwähnenswert erscheinen.

Was tun wir jetzt? Also gegen die Schreibblockade? Ich überlege, ob ich mein Herzensleid in Romanform gepresst bekomme. Was bisher von Erfolglosigkeit gekrönt ist. Denn außer: "Aber es kann sein, dass es genauso ist. Dass es dich nicht interessiert, was mit der Frau des Mannes passiert, den du gerade vögelst. Und dass der Mann, den ich gerheiratet habe, einfach nur ein Arschloch ist. Dann habt ihr euch verdient!" zu schreiben und nicht abzuschicken, kriege ich nicht so viel zustande.

Was ist Deine Erklärung für Deine Blockade? 

Liebste Grüße, Deine Lavendel

P.S.: Ich bin erschütternd müde, die Buchstaben können hüpfen, vor meinen Triefaugen.

P.P.S.: Ja, statt Ritzen mach ich lieber Tattoos. Ritzen hab ich probiert, ist blöd.

P.P.P.S.: Ich könnte den ganzen Tag fluchen. Oder heulen. Oder fluchen. Oder heulen. Oder...


Unter jedem Dach ein Ach

 Liebes Lavendelchen,

dein Kummer macht dich schweigsam, das verstehe ich gut. Ich bin schon schweigsam allein wegen Corona und natürlich wegen meiner allgemeinen Schreibblockade, die ich aber schon zwei Jahre habe, anyway, das ist ein anderes Thema.

Jedenfalls wollte ich dir heute mal schreiben, dass du nicht allein bist. Ganz und gar nicht - so gut wie alle Männer meinen engeren und entfernteren Freundinnen und sogar die Kerle von Nachbarinnen und Kolleginnen, alle sind auf Abwege geraten. Das ist wie ein Virus, sage ich dir. Wahrscheinlich ein weiteres Indiz für Corona: Männer, die abhauen. Und da sind ein paar echt absurde Fälle drunter:

Da verlässt ein Mann seine Familie, der jahrelang unter schweren Depressionen gelitten hatte, um zu einer alten Schulfreundin aus Thüringen zu ziehen, die ihn - so hofft er - "Feuer untern Hintern" machen und "nicht so geduldig" wie seine Gemahlin sein wird. Rundum hoffen alle, dass die neue Beziehung solange halten wird, bis die Scheidung durch ist.

Ein anderer beweist Todesmut, denn seine Affaire flog auf, als seine Geliebte den gesamten Whatsapp-Chat der Ehefrau über Facebook zukommen ließ. Die darauffolgenden Treueschwüre und Trennung von der Geliebten hielt man für belastbar, war doch klar, dass er sich eine ausgesucht hatte, die vor nichts zurückschreckt. Keine sechs Monate sind vergangen und siehe da... Nächste Runde. Und nun muss die Ehefrau aussziehen. Kinder sind aus seiner ersten Ehe und Haus ist sein Elternhaus. So kann's kommen. 

Geh also schnell zum Notar und rette das Haus vor der Brotspinne. 

Allerliebste Grüße
Deine Annika

Sonntag, 1. November 2020

Die Geliebte - eine kleine Abhandlung

LiebeTwiggy,

vor ein paar Jahren war Reiner Brüderle auf einer Veranstaltung und ich auch. Es ging um Stuttgart 21. Er sagte selbstkritisch über die vielen Demos: "Wenn die Hausfrau wütend im Baum hängt, haben wir was falsch gemacht."

Das sollte sich der Abspenstige mal zu Herzen nehmen. Wenn Du in der Regenrinne hängst, hauchdünn in schwarz gewandet und frisch tätowiert, dann ist was schief gelaufen. Schweres Herzeleid verleitet zu aberwitzigen Kompensationshandlungen und auch wenn ich deine Therapeutin für bekloppt halte, dir suizidale Gedanken zu unterstellen, gebe ich ihr recht, dass derlei Turnübungen bis auf weiteres besser zu unterlassen sind. 

Hömma, das mit dem tätowieren, ist das sowas wie ritzen für Erwachsene? Das muss doch schweineweh tun. Oder erfüllst du dir damit einen Lebenstraum? Also, wenn du jetzt auf Schmerzen stehst, geh lieber reiten. Da tut dir hinterher ALLES weh. 

Wie sieht es denn aus an der Heimatfront? Ist er noch zugegen oder ist er hinfort, weil er "das jetzt leben muss"? 

Leider, meine Liebe, unter zwei Jahren kommt man aus so einem Super-GAU nicht raus. Bis dahin wird fleißig die Vergangenheit idealisiert, ach was sage ich, der ganze Mann wird zum Helden, auf den nicht verzichtet werden kann, ohne den das Leben keinen Sinn mehr macht, man fühlt sich halbiert und das tut mehr weh, als sich ein Tattoo stechen zu lassen. Wie ein waidwund geschossenes Reh schaut man in die Welt, man erweicht Steine, nur nicht das Gesponst, das sich vor deinem Kummer nur schnell in Sicherheit bringen muss, bei seiner Brotspinne, die dumm genug ist, sich ihr Glück auf dem Unglück einer zerbrochenen Familie aufzubauen gedenkt. 

Mir selbst machte mal ein verheirateter Mann Avancen, über Monate, völlig sinnlos, ich ließ mich auf nix ein, und der Höhepunkt war, dass er mir auf einer Silvesterparty ins Ohr raunte, ob ich jetzt, auf der Stelle, mit ihm gehen würde. Seine Frau und sein Kind waren auch anwesend. Ich schaute ihn entgeistert an und fragte, ob er noch ganz bei Trost sei und ob er ernsthaft seinem Kind und seiner Frau so einen Scheiß in die Vita schreiben möchte? 

Die Sache ist doch die: wenn dein Mann sich verliebt hätte und sofort gegangen wäre, ohne monatelang zu "testen", ob da was "Haltbares mit Zukunft" bei rumkommt, dann hätte er sogar meinen Respekt. Sowas passiert, man verliebt sich nicht, weil man jmd. damit weh tun will.

Aber monatelang lügen, tricksen, etc. - das ist doch wirklich nichts, womit sich die Beiden auszeichnen. Dumm genug von ihr, sich von Anfang an in die zweite Reihe zu stellen. Schön blöd. Und dann muss ihr doch klar sein: So wie der jetzt seine Frau bescheißt, um bei ihr zu sein... das wird er eines Tages auch mit ihr machen. Die sieht in ihre Zukunft. Sie weiß, wie er's regelt, was er erfindet. 

Bestell dir Blusen, Hosen, Schrankwände, meine Liebe.
Gekraxel in luftigen Höhen? Lass mal.  

Deine Annika aus dem Hotspot


Donnerstag, 29. Oktober 2020

The show is going on and on and on and...

Liebste Annika,

zwei Jahre? Ist das Dein Ernst? Zwei Jahre? Bis dahin bin ich entweder verhungert oder in den Tod gestürzt! Gut, das klingt jetzt dramatischer als ich das eigentlich wollte. Lass es mich erklären. 

Verhungert, weil Liebeskummer mich wirklich schlank macht. In den vergangenen Wochen hat sich meine Kleidergröße stetig bewegt. Und als ich mir, nachdem ich zwecks meines Morticiadaseinsplans eine schwarze Bluse in 42 bestellte und mich dabei extrem mutig fand, gleich noch eine in 40 bestellen und die 42 zurückschicken musste, wurde mir klar, ich bin aus der Größe L herausgeschrumpft. Die 40 passte auch nicht. Aber ich hatte erst einmal keine Lust auf weitere Versuche, eine schwarze Bluse zu bekommen. Denn ich hatte andere Notwendigkeiten zu bewältigen.

In einem Anfall von Traurigkeit füllte ich nämlich kürzlich die Waschmaschine. Meine tränenumflorten Augen schauten in die Vergangenheit (natürlich angefüllt mit unfassbar viel Glück- verlogenes Miststück, die Vergangenheit) oder wahlweise in die Zukunft (angefüllt mit unfassbar viel Unglück und Verlassenheit- noch so ein Lügenbold) und nicht auf den gottverdammten Wäschekorb. Ich stopfte alles in die Maschine, 40 Grad Buntwäsche. Und als ich später die Wäsche aufhängte, traf mich fast der Schlag. Meine wunderbare schwarze Wolljacke, echte Wolle, kein Polyester, kein Acryl, Haare vom Schaf, gesponnen und gestrickt, kam als kleiner, harter Kittel aus der Trommel. Ich erlitt einen veritablen Zusammenbruch auf dem Betonboden der Waschküche. 

Und darum musste ich mir, statt einer Bluse, eine neue schwarze Jacke besorgen. 

Die passte einigermaßen in 40. Kurz darauf fand ich eine attraktive Bluse. Sie passt in 38. Gut, sie spackt ein bisschen unter dem Arm. Aber ich habe ja jetzt die Gewissheit, in den nächsten 20 Monaten tut sich noch was, bevor ich wieder dick und glücklich werde. 

Und in den Tod stürzen werde ich nur, wenn ich nächstes Jahr wieder die Regenrinne eigenhändig reinigen werde. Das hat mir übrigens einen hübschen Muskelkater verursacht, weil ich mich heftig am Dach festhalten wollte. Zwischenzeitlich rief ich den mittleren Sohn zur Hilfe, der sich erst einmal bog vor Lachen, als ich auf der Dachkante des Anbaus saß und ihn fragte, ob er die Nummer der Feuerwehr auswendig wüsste. Nur für den Fall. Welchen Fall, wollte er wissen. Den Fall, dass ich nicht mehr allein herunterkomme, vom Dach. Er nahm dann den Eimer mit Regenrinnenschmand entgegen und hielt die Leiter ruhig, so kletterte ich, grazil wie ein kleines Äffchen, wieder herunter, nur um mich sogleich den Regenrinnen am vorderen Teil des Hauses zu nähern. Da einige Spaziergänger am Haus vorbeikamen, tat ich extrem lässig. Unter Zuhilfenahme eines alten Hockeyschlägers entleerte ich die Rinne bis ganz ins Eck. Und die Rinnen der Nachbarin gleich mit. Das bot sich an, sonst wäre ihr Schmodder beim nächsten Regen gleich wieder zu mir herüber geschwappt. Jetzt habe ich den Titel "Beste Nachbarin". Das freut mich. 

Als ich meiner Therapeutin davon berichtete, dass ich sehr wohl allein leben und alles selber machen könnte und darum auch aufs Dach steigen und drei Jahre angesammelten Dreck aus der Regenrinne holen könnte, fragte sie mich nach Suizidgedanken (ich springe doch nicht vom Dach! Ich bin doch nicht irre, das ist hoch und man tut sich weh). 

Jetzt soll ich nicht mehr aufs Dach, erst einmal. Aber nächstes Jahr müsste ich. Eigentlich. Vielleicht lasse ich das. Vielleicht warte ich doch 20 Monate, bevor ich solche Dinge wieder wage. 

Übrigens wird Gereon heute Abend ziemlich eine auf den Sack bekommen haben. Wer ist Gereon, fragst Du jetzt. Gereon ist der Typ, der heute Mittag in der Drogerie zwei Packungen Klopapier in den Einkaufswagen gelegt hat. Und seine weibliche Begleitung (ich kann im Augenblick diese Beschreibungen von Beziehungskategorien und deren Fachtermini nicht herausbringen, sonst kommt mir das kleine Portiönchen Abendessen hoch) fuhr ihn an: "Gereon, lass das bitte.". Aber Gereon brummelte: "Man weiß ja nie...!" und sie zischte ihn an: "Leg das sofort zurück, der Keller ist voll.", wobei er sich nicht beirren ließ: "Ich nehm das mit!".

Ich bin sicher, das letzte Wort war da noch nicht gefallen. Und in meinem Kopf breitet sich ein Potpourri an Möglichkeiten aus, wie die beiden ihren Abend gemeinsam verbracht haben werden. Ja, manches garniere ich mit Blut. Viel Blut. Und es ist nicht ihres. 

Ich werde jetzt in meine Kissen sinken, weiter atmen und dabei Knight Rider schauen. Denn zu mehr bin ich intellektuell nicht im Stande. 


Immer die Deine, bei jedem Kummer.

Morticia-Juliette Lavendel

P.S.: Ich habe meine Fingernägel wieder ablackiert. Manches geht einfach nicht, egal wie groß das Unglück ist.

P.P.S.: Ich habe jetzt zwei Tattoos. Wenn das so weitergeht, werde ich sehr bunt sein, in 2 Jahren.

Samstag, 17. Oktober 2020

Morticia - why not?

 Liebes Lavendelchen,

ich schwöre dir, es wird besser. Und zwar in zwei Jahren (ab der endgültigen Trennung - sollte es wirklich darauf hinauslaufen). 

In zwei Jahren wird er morgens nicht mehr der erste und abends nicht mehr der letzte Gedanke sein. Du wirst immer öfter denken, dass es ganz gut ist, wie es so gekommen ist. Womöglich findest du es sogar erstaunlich, dass es überhaupt so lange gehalten hat. Und vielleicht denkst du, dass du dir das nie verzeihen wirst: so lange ausgeharrt zu haben. 

Solltest du Letzeres mal in meiner Gegenwart fallen lassen, werde ich schimpfen, da es weder etwas zu beklagen noch zu verzeihen gibt. Weil jeder Mensch in jeder Situation immer genau von dem das Beste macht, was er für das Beste hält. 

Du kannst noch für den Rest deines Lebens eine nihilistische Morticia Addams werden (die ich übrigens grandios als Role Model finde und Angelica Huston sah spektakulär aus), aber in den ersten 30 Jahren deiner Beziehung warst du eben genau die Mutter, Ehefrau, Hundesitterin und Gärtnerin, die es gebraucht hat und die du im besten Fall ja sogar sein wolltest. Daran ist rein gar nichts falsch. Und vielleicht bleibst du das auch noch für die nächsten 30 Jahre. 

Die Messen sind noch lange nicht gelesen, weil:

  1. Die Brotspinne hat sich einen Sugar-Daddy mit drei Kindern und einer quicklebendigen Ehefrau gesucht. Da wünsche ich viel Spaß und ihren Redebedarf kann ich mir lebhaft vorstellen. 
  2. Hätte er sich eine Frau in seinem Alter gesucht, wäre ich viel beunruhigter; da läge die Gefahr von Liebe in der Luft. In seinem Fall gehe ich von Pfirsichhaut-Anbetung aus. 

Ich finde gut, dass du den Garten umgräbst, neue Schlüpfer kaufst, die Nägel lackierst und die Haare nicht rot färbst (Haselnuss ist ein schöner warmer Ton). Du kannst aber auch einfach ein paar Wochen einfach liegen bleiben und nichts tun, außer heulen. Alles ist erlaubt in diesen Tagen; du gehst vor.

Übrigens: dass der Ruchlose dir erst nach der Kur Geständnisse macht, finde ich fast das Schlimmste. Wie gut hättest du jetzt eine sechswöchige Auszeit gebrauchen können!

Froh bin ich, dass das saufen auch für dich nix ist. Schwester im Geiste: auch ich war nur einmal besoffen, mit 16, auf der Klassenfahrt nach Amberg. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte saufen; will sagen: mein Kreislauf würde das vertragen. Aber dann hätte der Suff mich schon dahingerafft, das weiß ich. Sämtliche Eierlikörvorräte in Deutschland hätte ich verputzt. Aber das ist ein anderes Thema.

Und nun: welche ist wohl attraktiver? Hm?

 Psychology of Inspirational Women: Morticia Addams | The Mary Sue RUNNER'S WORLD

Halte durch. Atme einfach weiter. 

Deine Annika

Donnerstag, 15. Oktober 2020

Heartbreak Hotel

 Liebste Annika, 

Wie gut mir Deine Worte taten. Es ist so schön, wenn es jemand für mich übernimmt, die beiden Liebeskummerproduzenten ein bisschen zu schmähen. Weil ich das nicht so gut hinbekomme, im Moment. Einfach zu traurig, weißt Du? Betreutes Weinen wäre gar nicht mal so verkehrt. Im Moment kämpfe ich noch. 

Ich weiß zwar nicht so genau, um was ich hier kämpfe, aber ich kämpfe. Seit gestern führe ich sogar meine Fingernägel in die Schlacht. Lackiert in tiefdunklem rotviolett. Eigentlich wollte ich schwarzen Lack nehmen, die Nägel abkauen wie in meiner Kindheit und dann mit ruinierten, abgestoßenen, abgeknabberten schurreschwarzen Nägeln auf mein Elend aufmerksam machen. Aber der tiefdunkel rotviolettfarbene Lack sieht einfach unerhört fesch aus, vor allem, wenn die Nägel etwas länger sind, weswegen ich sie jetzt zum ersten Mal nach der langen Nägelkurzzeit (Mutti hat die Nägel kurz wegen praktisch) wachsen lasse. Damit wirkt meine Hand sehr elegant. 

Und ich sage Dir, eine Kippe würde mich sehr kleiden. Aber schon der Geruch hindert mich daran, mir eine anzuzünden. Manchmal zieht nämlich vom gegenüber liegenden Balkon eine Rauchwolke in meine Kemenate und das ekelt mich. Auf jenem Balkon wird gern geraucht. Der Mann aus der Wohnung im ersten Stock raucht zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Balkon herum. Bis vor wenigen Wochen leistete ihm dabei seine Frau Gesellschaft. Die ist weg. Und die Klatsch- und Tratschkette förderte zutage, dass sie ihn verlassen hat, weil er zuviel Alkohol und andere Substanzen, unter anderem auch Rauchwaren, konsumierte, was seine Zeugungsfähigkeit auf 10 % Spermienaktivität hinunterschraubte, weshalb er der Holden kein Kind machen konnte, was sie ihm in ihrem ausgeprägten Kinderwunsch sehr übel nahm. 

Ja, andere Leute haben es auch nicht leicht. Und so schaue ich aus meinem Fenster auf seinen Balkon hinunter und fühle mit, wenn ich nicht gerade damit beschäftigt bin, mich zu schlecht zu fühlen, um noch mit irgendwem anders mitfühlen zu können. 

Und mein Haar bleibt dran. Aber ich lasse mir mal zeigen, was ich mit meinem Haar alles anstellen kann. Kurz war ich versucht, es rot zu färben. Nur erinnerte ich mich an meine Mutter, die in den Fuffzigern auch das Haar rot trug und schon war der Plan in der Kanalisation. Dann liebäugelte ich mit schwarz (übrigens alles schon da gewesen, in meinen frühen Zwanzigern), erinnerte mich an die harten Kontraste zu meiner Haut und eigentlich möchte ich zwar nihilistisch aber nicht wie Morticia A. Addams (geborene Frump) aussehen. Darum bleibt mein Haar, wie es ist, dunkelblond oder hellbraun oder köterig, mit aparten grauen und fast weißen Strähnen. Und mehr als schulterlang. Es lässt sich hübsch hochdrapieren, seitlich eindrehen, messiknödeln. Glück hat, wer eine Tochter mit Leidenschaft für Frisurentutorials hat. 

Weißt Du, jeden Morgen werde ich wach und denke, ich kann nicht aufstehen. Ich muss jetzt für immer liegen bleiben und dabei verdursten und verhungern und dann hat das Elend ein Ende. Und dann fällt mir ein, ich muss noch mit dem Hund raus (jetzt habe ich leider Angstanfälle, wenn mir im Wald blonde Hunde begegnen, danke dafür, du beschissener Scheißbeißhund!), ich muss noch zur Arbeit, ich muss noch Sport mit einer 91 Jahre alten Dame machen, die es zutiefst bedauert, wegen Corona nicht mehr Tennis spielen zu können und darum mit mir Gymnastik macht, ich habe keine Zeit, liegen zu bleiben. Dann quäle ich mich aus dem Bett und setze einen Fuß vor den anderen, putze meine Zähne, wurschtel mein Haar zusammen und dann arbeite ich eins nach dem anderen ab. Immer kurz davor, mich wieder hinzulegen. Aber dann doch nicht. 

Und wenn es sehr arg ist, dann werde ich extrem lyrisch, schreibe traurige Gedichte in mein trauriges Notizbuch, das ich im Moment stets bei mir trage, falls ich etwas Trauriges notieren möchte.


Und dieses ganze Geschwurbel der Gefühle, dieses Geschisse des Herzens, diese gottverfluchte, elende Ehe- und Beziehungsscheißkrise hat gestern dazu geführt, dass ich mir drei Gläser Weißwein reingeschüttet habe. Ich. Die nie trinkt. Die ein einziges Mal in ihrem Leben, und zwar mit 16, betrunken war. Drei Gläser Weißwein. Muss ich mehr erklären? Es war eine Erfahrung. Und sie wird sich frühestens in 35 Jahren wiederholen. Da bin ich 86, der Mann, den ich geheiratet hatte, dürfte der statistischen Wahrscheinlichkeit und seines Blutdrucks nach bereits den Löffel abgegeben haben und ich hocke fein im Sessel und gönne mir noch einmal einen Rausch. Dann ist nämlich eh alles wurscht. 

Oder mein Löffel wurde auch schon weitergereicht. 

Auf jeden Fall ist Saufen nicht mein Metier.

Kannst Du mir bitte schwören, dass ich irgendwann nicht mehr so traurig bin? Dass auch aus meinem Hintern irgendwann wieder die Sonne scheint? Schwöre es mir. So, dass ich es glaube. Ich flehe Dich an.

Deine Juliette


Dienstag, 13. Oktober 2020

Lavendel is back

Meine liebe Lavendel,

eine Pandemie reicht dir also nicht? Dir muss auch noch das Ehegesponst übel mitspielen und selbst ein Hundebiss bleibt dir nicht erspart und diesen von einer Rasse, die allgemein als die Mahatma Gandhis unter den Tölen gelten? 

Das ist ein bissel heftig für ein Jahr und da nützt es wenig, dass du jetzt als Juliette-Greco-look-a-like durch den Wald mäanderst. Obwohl das ganz bestimmt traumschön aussieht. Ich hoffe nur, dass du dir nicht deine langen Haare abgesäbelt hast, wie das zwangsläufig bei verlassenen bzw. von Trennung bedrohten bzw. zur Trennung entschlossenen Frauen passiert.

Ach ja, das Leid steht den Frauen meistens sehr gut; jedenfalls wenn eine andere Frau ins Spiel kommt und wenn man der Meinung anhängt, eine abgemagerte Frau sei viel schöner als eine hübsch Gerundete. Aber ich versteh das, einmal noch die Hüftknochen mit eigenen Augen sehen, anstatt sie zu ertasten - das ist schon einen Dujardin wert.

Was ich überaus gütig finde, dass du dem Abspenstigen gestattest, seine Zwangsquarantäne bei dir abzusitzen und dich und eure Leibesfrüchte womöglich auch in Gefahr zu bringen. Soll er doch seine Brotspinne (=jede Frau braucht einen Arbeitstitel) gefährden; zumal die nicht mal in die Risikogruppe gehört, wenn ich dich recht verstanden habe. Paaah, und dann zwei Wochen 24/7 aufeinandergehuckt, da wünscht er sich am Ende nur noch weg, die hat doch bestimmt ganz andere Lebensinhalte.

Aber nun sitzt er also bei dir die schlimme Zeit ab, um hernach frischgestärkt und negativ gestestet zurück ins Land der Abenteuer zu entschwinden? Fürwahr nichts für entzündete Nerven.

Komm nach Berlin. Falls du noch darfst. Fuck the virus. Ich hole den Leihhund und wir latschen gemeinsam durch den Wald. Aufgrund deines existenzialistischen Aussehens werden wir die Kerle mit der Kalaschnikow von dir fernhalten müssen. Ach... was rede ich da nur? Lavendelchen, es ist schlimm und bevor es wieder besser wird, wird es wahrscheinlich noch ein bisschen schlimmer. Du kannst auch einfach kommen und in die Kissen heulen. Betreutes Weinen halt. 

Rauchen? Nimm lieber die Möhrchen. Aber du bist schon groß, Juliette. Mach alles, was du willst. 

Immer deine Annika

 

Samstag, 10. Oktober 2020

Herz kaputt

 Liebe Annika,

es tut mir leid, dass ich abgetaucht war, verschwunden in den Tiefen des Unglücks. Mein Herz wurde und wird gebrochen, im 10 Minuten Rhythmus. Der Mann, mit dem ich seit über 30 Jahren gemeinsam unser Leben verwurste, hat mir einiges gestehen müssen und seitdem bin ich nicht mehr ganz ich selbst. 

Als Therapie habe ich jeden Menge Gartenarbeit erledigt, mir über mein altes Tattoo (Was ist das? Ein Hühnerembryo?) ein Cover stechen lassen und renne täglich wie bekloppt durch den Wald, um meiner Verzweiflung Herr zu werden. 

Am Mittwoch lief ich auch wieder. Mein Hund ist sehr irritiert von meinem Verhalten, das nun schon wochenlang anhält. Nicht einmal in Ruhe durch den Wald trödeln zu können, um hier und da und dort zu schnüffeln, hält sie für eine Zumutung. Aber ich muss mich bewegen und möchte, dass mein elendes kleines Herz sich die 130 Schläge in der Minute verdient und nicht denkt, 130 Schläge in der Minute auf der Couch wären in Ordnung. 

So auch am Mittwoch. Ich lief die ganz große Runde und schnaufte und schwitzte, war aber zufrieden damit und mein Herz auch. Kurz vor Ende der Runde sah ich den Hund, der meinen Hund nicht leiden kann. So eine Hundeblondine mit schlechtem Benehmen. War unterwegs mit ihrem Besitzer. Ich runzelte prophylaktisch die Stirn und erwartete das Gekläffe. Da der Tuppes sie an der Leine hatte, ich die meine ebenfalls, erwartete ich nichts weiter als das Bellen und Knurren und ging zügigen Schrittes weiter. In der Tat sprang die Blonde in die Leine und tat, als würde sie gegen Godzilla antreten wollen. Mein Hund tat es mir gleich, wir gingen schnellen Schrittes weiter und an den zwei Hirselhubern vorbei. Ich wollte schon aufatmen, da nahm das Vieh Anlauf, sprang noch einmal mit aller Kraft in die Leine, der Mann gab etwas nach und schon hatte ich die Bestie am Bein hängen. Ein harter Schmerz durchfuhr mich und ich fing an zu schreien. Ich schlug nach dem Hund, der ließ mich dann auch aus seinen Zähnen, aber ich merkte gleich, das war eine echte Scheißaktion. Unter Tränen schrie ich weiter: "Was hat denn Ihr Scheißhund für ein Problem?" und der Mann sagte leise und verwirrt: "Ich weiß es doch auch nicht. Es tut mir so leid." 

Ich versuchte, mein Hosenbein hochzukrempeln, das war aber nur ein Stück weit möglich, weil ich seit Neuestem wieder meine alten Jeans tragen kann, von vor zehn Jahren, denn durch deutliche Gewichtsreduktion und meinem neu entwickelten Hang zum Nihilsmus, dem Tragen von schwarzer Bekleidung, dem Schreiben von sehr traurigen Gedichten, dem Kauf von Lippenstift und schwarzem Kajal, wobei ich beides eher selten benutze, drücke ich mein Unglück aus. Und sehe sehr gut dabei aus. Sagen die Leute um mich herum. Nachbarn halten auf der Straße, kurbeln ihr Autofenster herunter und rufen: "Haste abgenommen? Steht dir!!".

Egal. Wo war ich? Ah ja. Hundebiss. Die Jeans ließ sich nur bis knapp zum Biss hochzuschieben, um es genauer zu betrachten, hätte ich wohl die Hosen runterlassen müssen. Was kein Problem gewesen wäre, da ich seit Kurzem phantastische Unterwäsche trage. Die alten Baumwollschlüppis liegen traurig und allein ganz hinten in der Wäscheschublade, vorn liegt jetzt einiges, was sich sehr geschmeidig anfühlt, sehr fesch meine Pobacken betont und hin und wieder dazwischen rutscht, aber mir ein Gefühl von... nunja, wie soll ich es beschreiben, vielleicht... Attraktivität und Coolness gibt. Ich hätte also ohne weiteres meine Unterwäsche, meine rasierten Beine, sogar mein getrimmte Bikinizone zeigen können. Aber doch nicht dem Typen. Im Herbst. Bei Nieselregen. Im Wald. Also wirklich. 

Ich winkte ab, sagte, ich würde mich melden und humpelte weinend nach Hause. Dort weinte ich weiter und setzte mich auf die Treppe. Von oben rief, wie so oft in letzter Zeit, meine Tochter: "Du weinst ja, soll ich Dich trösten?" und ich rief: "Ja! Ein Hund hat mich gebissen." und schon kam sie angelaufen. Ich pellte mich aus der Hose und was da zum Vorschein kam, verschlug mir echt die Sprache. Die Bestie hatte mir eine ordentliche Wunde ins Bein gebissen. 

Von dem Weinen und Trösten und den erschrockenen Ausrufen aufgescheucht kam auch der Vater der Tochter in den Flur gestürzt, betrachtete das Gesamtbild mit medizinisch versiertem Blick und befand, ich müsse sofort und umgehend einen Arzt aufsuchen. Seine Zuwendung ließ mich noch ein bisschen mehr weinen und leiden und ich wollte nicht zum Arzt, musste aber zugeben, dass es vermutlich besser war. 

Ich rief in der Hausarztpraxis an. Aber Mittwochnachmittag ist da keiner. Ich zog mir eine meiner schlabberigen Hosen an, die ich bis vor kurzem täglich trug, als ich noch nicht existenzialistisch-nihilistisch unterwegs war, humpelte ins Auto und fuhr mich ins Krankenhaus. Warum ich mich selbst fuhr? Nun. Der Mann befindet sich in staatlich verordneter Quarantäne, weil er auf der Arbeit Kontakt zu einem coronapositiven Menschen hatte. Länger. Und dem in der Nase gepopelt hat. Somit kann er 14 Tage das Haus nicht verlassen, sonst kann das 15.000 Euro kosten und die haben wir nicht. Und die Tochter wollte sich mit ihrem Freund treffen. Sie wollte das absagen, um mich zu fahren. Aber ich wollte lieber allein fahren. 

Im Krankenhaus wurde ich dann erstmal durch die Coronaroutine geschoben, kam aber sehr schnell in einen Behandlungsraum und ehe ich noch "Achja" sagen konnte, steckte mir die Tetanusimpfung im Arm und eine Ärztin am Schenkel, die mir erklärte, Hundebisse seien eine miese Sache, da müsse man aufschneiden und bluten lassen, um die Keime rauszuspülen und alles andere abkratzen, und Betäuben ginge nicht, weil man auf keinen Fall Keime in tieferes Gewebe verbringen wolle. So arbeitete sie sich an meinem Oberschenkel mit dem Skalpell ab, während ich leise Lieder sang, weil ich damit Schmerz am besten ertragen kann, was ich erst kürzlich beim Tattoostechen herausgefunden hatte. Danach gab es noch einen hübschen Betaisodona-Verband und schon durfte ich wieder abhumpeln. 

Seitdem schlucke ich 2x täglich backsteingroße Tabletten, um Bakterien zu vernichten und schaue unter den Verband, ob alles ruhig ist. Was so ist. Keine starke Rötung, kein Eiter. 

Wie es jetzt weitergeht, möchtest Du wissen? Mein Mantra im Moment: "Ich hab doch keine Ahnung." Ich werde die Hundebesitzer nicht anzeigen. Ich habe mich mit der Hundebesitzerin geeinigt, dass wir das untereinander regeln und ich ihr eine Rechnung schreibe. Und beim Mann? "Ich habe doch keine Ahnung." und abwarten. 

Du siehst, mein Leben kann man sich nicht ausdenken. Wirkt irgendwie unglaubwürdig. Aber wenn jetzt noch Corona ins Haus kommt, dann kündige ich. 

Liebste Grüße,

Deine Lavendel

P.S.: Der selbe Hund hat vor 2 Jahren den treulosen Ehemann ins Bein gebissen. War aber nur halb so schlimm. Was sagt uns das? Vielleicht kann der uns nicht leiden, weil wir dem fies riechen. 

P.P.S.: Geht nihilistisch sein auch ohne zu rauchen? Oder muss ich damit wieder anfangen?


Sonntag, 16. August 2020

# Pool gesucht


Liebes Pustgenie,

ich habe natürlich gleich getestet, wie lange ich die Luft anhalten kann: 16 Sekunden waren das Äußerste. Aber ich bin ja auch Anfängerin. Für eine Änfängerin war das auch ein gutes Ergebnis, no doubt about. Man könnte da eine Tschällänsch draus machen, was meinst du? 

Und das hier: "...nach dem Genuss eines Tiramisu mit ordentlich Wumms, eine Ruhepause auf einer Promenadenbank einlegen. Der Kreislauf, weißt Du. Tiramisu, dazu einen Espresso, 35 Grad und kein Windchen nach einer einstündigen Fahrt auf hoher See..." soll euch doch überhaupt erst mal eine/r nachmachen! Das ist ja übermenschlich gewesen, wer denkt sich denn so eine Freizeitgestaltung aus? Kein Wunder, dass ihr euch alle in der Kur kennengelernt habt. Wahrscheinlich betreibt ihr nicht zum ersten Mal derartigen Raubbau an euren Ressourcen. Lavendelchen, das muss aufhören. Du sollst mich doch später im Alter pflegen. 

Naja, ob wir so alt werden steht in den Sternen. Ich gebe dir Recht: die Hitze ist die Hölle. Weißt du, wegen Corona gehe ich nicht ins Freibad wie sonst all die Jahre. Ich fahre an einen leicht außerhalb liegenden See. Da ist zwar das Baden verboten, weil denen ist jetzt aufgefallen, dass dort ein Büdchen und ein Pixie Klo steht und deshalb ist das eine offizielle Badestelle und deshalb muss da ein Bademeister vorf Ort sein, aber es gibt keine Bademeister mehr auf dem freien Arbeitsmarkt und deshalb ist das schwimmen dort jetzt verboten. 

Niemand hält sich dran (was mir ein bissel Glauben an die Menschheit gibt), trotz des Flatterbands werden fleißig Babies in die Pipi-Zone gehalten und ich stelle mich da allabandlich bis zum Hals ins Wasser und kühle runter (denn für kein Geld der Welt schwimme ich auf einen See hinaus) - so weit ist es mit mir gekommen. Stehen in der Pipi-Zone. 

Alles wegen dieser Hitze. Und wegen meiner Schwachsinnsentscheidung vor zig Jahren, bei der Badrenovierung zu sagen, ich brauche keine Wanne. So ein Blödsinn!!!! Da würde ich mich heutzutage morgens und abends in kaltes Wasser legen, herrlich wäre das, aber nein, Madame hatte ja keine Ahnung von diesen Sommern, die uns blühen, naja, egal, nix zu machen, stehe ich halt im See. 

Oder gibt es hier irgendjemanden mit Swimmingpool, der/die sich gerne mit mir befreunden möchte, irl? Ich bin ortsungebunden. Foto erwünscht (vom Pool)

Liebe Lavendel, ich habe mir sagen lassen, am Dienstag soll es regnen. Hoffen wir das Beste. 

Deine Annika 


PS: Im Netz gefunden: Wann wird's mal wieder schlechter Sommer?

Wir brauchten früher eine große Reise
Wir wurden braun ganz weit weg am Strand
Doch heute sind die Blassen nur noch Weise.
Denn hier wird man ja doch nur stark verbrannt.
Ja früher war’n wir noch von Hitze frei.
Das Freibad war noch leer im Mai.
Ich saß in Decken vor unserem Haus.
Faktor 5 reichte gegen Sonnenbrand
Nur kalte Quallen an dem Strand, kein Eis
Und niemand zog die Jacke aus.

Wann wird’s mal wieder schlechter Sommer
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Wolkendecke von Juni bis September
Und nicht so heiss und spanisch
Wie in diesem Jahr.

Und was wir da für Kältewellen hatten
Bikinifabriken gingen ein.
Da gab es bis zu 4 Grad im Schatten
Wir mussten mit der Heizung sparsam sein
Der Regen knallte ins Gesicht
Da brauchte man die Dusche nicht
Ein Dummkopf, wer die Beine trotzdem schor
Es war hier wie in Kanada
Niemand machte FKK
Doch heut, heut summen alle Menschen laut im Chor

Refrain

Auch der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts
Erst zu warm, dann doch noch Schnee
Mein Postbote sagt: Das Klima hier wen wunderts,
Denn Schuld daran ist nur die AfD
Ich find das geht ein bisschen weit
Doch bald ist wieder Bürozeit
Und wer von uns denkt da nicht dauernd dran
Trotz allem glaub ich unbeirrt
Dass unser Wetter schlechter wird
Nur wann, und diese Frage geht uns alle an!


Dienstag, 11. August 2020

Heiße Tests

Meine liebste Annika,

ich lautmale einige Uffs und Achs für Dich, die Du eine Fahrt im Schlafwagen überstanden hast. Ein bisschen kannst Du Dich glücklich schätzen, ist Dir doch eine veritable Übelkeit durch dieses Wagongeschuckel in der Nacht ohne gescheiten Blick auf einen Horizont erspart geblieben.

Als ich Anno Dunnemals einmal mit dem Nachtzug nach Bozen reiste, um dann in Südtirol auf zwei Brettern einen Berg herunterzuwedeln, wurde mir hinter Ulm ziemlich kötzelig. Mein Hirn und mein Ohr haben massive Kommunikationsprobleme, wenn der Untergrund schwankt und ich nicht selbst fahre. Im Tauziehen um die Herrschaft verleiten sie den Magen zum gehaltvollen Aufschwulken. Weißte bescheid.

Aber generell ist so eine Nachtfahrt im Zug auf jeden Fall ein Abenteuer. Und Du hast es doch bravourös gemeistert. Und dann zur Belohnung Wien. Wien. Ich war das letzte und einzige Mal da vor 27 Jahren, mit meiner Tante. Wir haben das Phantom der Oper geschaut. Und sind am nächsten Tag ein bisschen durch Wien gelaufen. Leider hatte ich schlimme Kopfschmerzen. Aber es war nicht heiß. Vor 27 Jahren, da waren die Sommer noch richtige Sommer. Kühl und manchmal regnerisch. Herrlich war das. 

Heute ist der Sommer ja eine endlose Reihe von Hitzewellen. Und da hört der Spaß einfach auf. 

Gestern zum Beispiel, bin ich mit drei Damen, die ich während meiner Reha im März kennenlernen durfte, mit einem Boot über den Rhein geschippert. Innere und äußere Hitzewellen machten uns fertig und in Königswinter musste eine von uns, nach dem Genuss eines Tiramisu mit ordentlich Wumms, eine Ruhepause auf einer Promenadenbank einlegen. Der Kreislauf, weißt Du. Tiramisu, dazu einen Espresso, 35 Grad und kein Windchen nach einer einstündigen Fahrt auf hoher See, da braucht es schon eine gehörige Stabilität, um nicht in die Knie zu gehen. Und ihr hat es eben selbige aufgeweicht. 

Um es auf den Punkt zu bringen: Scheißhitze. 

Und schon wieder diese Sorge, dass irgendein Penner im Wald eine abgerauchte Kippe wegschnickt. Sag mir nicht, die Leute sind doch nicht doof. Die sind doof. Saudoof. Immerhin finde ich jeden Tag mindestens eine ausgetretene Kippe auf dem Waldboden. Und die werden nicht vom Oberwildschwein als Deko platziert. Zum Glück gewittert es heute Abend ein bisschen, so dass es den Wald zumindest leicht anfeuchtet. 

Ich hatte übrigens kein Tiramisu. Ich hatte eine Eisschokolade. Mit Sahne. Es war große Klasse. Und hat gleich einen erneuten Speckring auf meine Hüfte gelegt. War ich noch vor Kurzem erfreut, in der Coronazeit nicht zugenommen zu haben, sammle ich jetzt wieder für schlechte Zeiten einiges an Reserven. Wie so ein Vorgel, der sich für den Winter fettfrisst. 

Überhaupt, im Moment bin ich unzufrieden mit meinem Körper. Abgesehen davon, dass ich eine klimakterische Matrone werde, nervt auch hin und wieder der Bauch. Auf der Suche nach den Ursachen musste ich kürzlich einen Test absolvieren. 
Was soll ich sagen. Ich habe diesen Test so gut gemacht, ich glaube sogar, niemand hat bisher diesen Test so gut geschafft. Ich war einfach phantastisch. Es war erstaunlich. Die MTA war so sehr von mir beeindruckt, wie gut ich diesen Test gemacht habe. Sie sagte: „Sehr gut.“

Und ich glaube, sie sagt das nicht zu vielen, denn nicht viele können diesen Test so gut absolvieren wie ich. Ich war großartig. 

Ich musste für diesen Test einen Viertelliter Zuckerwasser trinken. Das habe ich auf einen Schwung weggeschluckt. Andere müssen absetzten. Ich nicht. Angesetzt, reingekippt, phantastisch. Kein mal abgesetzt. Die anderen können das so nicht.

Und dann musste ich alle 30 Minuten zu der MTA gehen. Ich habe nicht einen Termin verpasst. 4 Mal musste ich nach 30 Minuten zu ihr gehen und ich kam immer genau im richtigen Moment. Sie fand das absolut erstaunlich. Andere kommen schon 5 Minuten zu früh oder 10 Minuten zu spät. Ich war immer auf die Sekunde nach 30 Minuten bei ihr. Keiner musste mir sagen, wann und wie das geht. Ich konnte es einfach. Unfassbar. 

Die MTA sagte dann, ich soll die Luft anhalten. 20 Sekunden musste ich die Luft anhalten. Wenn Dir jemand sagt, halte 20 Sekunden die Luft an, und dann hältst Du 20 Sekunden die Luft an, und wenn Du das dann schaffst, dann zeigt das, wie unglaublich gut Du bist. Konzentriert, erfolgreich, großartig.

Dann sollst Du nicht einfach ausatmen. Nein. Du musst in ein Plastikrohr an einem sehr komplizierten und phantastischen Gerät pusten. Kräftig pusten. Ich pustete so kräftig, niemand hatte bisher so in das Rohr gepustet, wie ich in dieses Rohr an diesem wunderbaren Gerät gepustet habe. Die MTA fand, sie hätte noch nie jemanden so pusten sehen. Ich bin ein sehr guter Puster. Vermutlich könnte man sagen, einer der besten Puster überhaupt. 

Nach dem Pusten muss man weiteratmen. Einfach wieder ein und aus. Ich würde sagen, einatmen und ausatmen ist einfach das, was ich sehr gut beherrsche. Besser als die meisten, besser als alle anderen. Ich habe so großartig weitergeatmet. Es gab keine Probleme. Ich habe das alles perfekt gemacht. Ich habe diesen Test als Beste gemacht. Ich habe diesen Test mit voller Punktzahl bestanden. 

Und ich habe keine Laktoseintoleranz. 

Weshalb ich weiter Sahneschnittchen, Camembert und Joghurt essen kann. Und zum Glück bin ich bei den 20 Sekunden Luftanhalten nicht zu Tode gekommen. Wenn mir nämlich jemand sagt, ich soll 20 Sekunden die Luft anhalten, bekomme ich nach 3 Sekunden die erste Panikattacke, weil ich sicher bin, zu ersticken.Und 20 Sekunden sind lang. 

Egal. Die Hauptsache ist, ich habe einen wirklich guten Job gemacht. Und im September halte ich für Fruktose die Luft an. Im September mache ich diesen Test nochmal. Nicht genau den gleichen, nein. Es ist Fruktose. Ich werde ihn wieder so perfekt machen. 

Immerhin bin ich stabil und ein Pustgenie. 

Solltest Du noch Fragen haben, meine liebe Annika, ich kann Dir alles erklären. 

Deine Potus Lavendel