Samstag, 10. Oktober 2020

Herz kaputt

 Liebe Annika,

es tut mir leid, dass ich abgetaucht war, verschwunden in den Tiefen des Unglücks. Mein Herz wurde und wird gebrochen, im 10 Minuten Rhythmus. Der Mann, mit dem ich seit über 30 Jahren gemeinsam unser Leben verwurste, hat mir einiges gestehen müssen und seitdem bin ich nicht mehr ganz ich selbst. 

Als Therapie habe ich jeden Menge Gartenarbeit erledigt, mir über mein altes Tattoo (Was ist das? Ein Hühnerembryo?) ein Cover stechen lassen und renne täglich wie bekloppt durch den Wald, um meiner Verzweiflung Herr zu werden. 

Am Mittwoch lief ich auch wieder. Mein Hund ist sehr irritiert von meinem Verhalten, das nun schon wochenlang anhält. Nicht einmal in Ruhe durch den Wald trödeln zu können, um hier und da und dort zu schnüffeln, hält sie für eine Zumutung. Aber ich muss mich bewegen und möchte, dass mein elendes kleines Herz sich die 130 Schläge in der Minute verdient und nicht denkt, 130 Schläge in der Minute auf der Couch wären in Ordnung. 

So auch am Mittwoch. Ich lief die ganz große Runde und schnaufte und schwitzte, war aber zufrieden damit und mein Herz auch. Kurz vor Ende der Runde sah ich den Hund, der meinen Hund nicht leiden kann. So eine Hundeblondine mit schlechtem Benehmen. War unterwegs mit ihrem Besitzer. Ich runzelte prophylaktisch die Stirn und erwartete das Gekläffe. Da der Tuppes sie an der Leine hatte, ich die meine ebenfalls, erwartete ich nichts weiter als das Bellen und Knurren und ging zügigen Schrittes weiter. In der Tat sprang die Blonde in die Leine und tat, als würde sie gegen Godzilla antreten wollen. Mein Hund tat es mir gleich, wir gingen schnellen Schrittes weiter und an den zwei Hirselhubern vorbei. Ich wollte schon aufatmen, da nahm das Vieh Anlauf, sprang noch einmal mit aller Kraft in die Leine, der Mann gab etwas nach und schon hatte ich die Bestie am Bein hängen. Ein harter Schmerz durchfuhr mich und ich fing an zu schreien. Ich schlug nach dem Hund, der ließ mich dann auch aus seinen Zähnen, aber ich merkte gleich, das war eine echte Scheißaktion. Unter Tränen schrie ich weiter: "Was hat denn Ihr Scheißhund für ein Problem?" und der Mann sagte leise und verwirrt: "Ich weiß es doch auch nicht. Es tut mir so leid." 

Ich versuchte, mein Hosenbein hochzukrempeln, das war aber nur ein Stück weit möglich, weil ich seit Neuestem wieder meine alten Jeans tragen kann, von vor zehn Jahren, denn durch deutliche Gewichtsreduktion und meinem neu entwickelten Hang zum Nihilsmus, dem Tragen von schwarzer Bekleidung, dem Schreiben von sehr traurigen Gedichten, dem Kauf von Lippenstift und schwarzem Kajal, wobei ich beides eher selten benutze, drücke ich mein Unglück aus. Und sehe sehr gut dabei aus. Sagen die Leute um mich herum. Nachbarn halten auf der Straße, kurbeln ihr Autofenster herunter und rufen: "Haste abgenommen? Steht dir!!".

Egal. Wo war ich? Ah ja. Hundebiss. Die Jeans ließ sich nur bis knapp zum Biss hochzuschieben, um es genauer zu betrachten, hätte ich wohl die Hosen runterlassen müssen. Was kein Problem gewesen wäre, da ich seit Kurzem phantastische Unterwäsche trage. Die alten Baumwollschlüppis liegen traurig und allein ganz hinten in der Wäscheschublade, vorn liegt jetzt einiges, was sich sehr geschmeidig anfühlt, sehr fesch meine Pobacken betont und hin und wieder dazwischen rutscht, aber mir ein Gefühl von... nunja, wie soll ich es beschreiben, vielleicht... Attraktivität und Coolness gibt. Ich hätte also ohne weiteres meine Unterwäsche, meine rasierten Beine, sogar mein getrimmte Bikinizone zeigen können. Aber doch nicht dem Typen. Im Herbst. Bei Nieselregen. Im Wald. Also wirklich. 

Ich winkte ab, sagte, ich würde mich melden und humpelte weinend nach Hause. Dort weinte ich weiter und setzte mich auf die Treppe. Von oben rief, wie so oft in letzter Zeit, meine Tochter: "Du weinst ja, soll ich Dich trösten?" und ich rief: "Ja! Ein Hund hat mich gebissen." und schon kam sie angelaufen. Ich pellte mich aus der Hose und was da zum Vorschein kam, verschlug mir echt die Sprache. Die Bestie hatte mir eine ordentliche Wunde ins Bein gebissen. 

Von dem Weinen und Trösten und den erschrockenen Ausrufen aufgescheucht kam auch der Vater der Tochter in den Flur gestürzt, betrachtete das Gesamtbild mit medizinisch versiertem Blick und befand, ich müsse sofort und umgehend einen Arzt aufsuchen. Seine Zuwendung ließ mich noch ein bisschen mehr weinen und leiden und ich wollte nicht zum Arzt, musste aber zugeben, dass es vermutlich besser war. 

Ich rief in der Hausarztpraxis an. Aber Mittwochnachmittag ist da keiner. Ich zog mir eine meiner schlabberigen Hosen an, die ich bis vor kurzem täglich trug, als ich noch nicht existenzialistisch-nihilistisch unterwegs war, humpelte ins Auto und fuhr mich ins Krankenhaus. Warum ich mich selbst fuhr? Nun. Der Mann befindet sich in staatlich verordneter Quarantäne, weil er auf der Arbeit Kontakt zu einem coronapositiven Menschen hatte. Länger. Und dem in der Nase gepopelt hat. Somit kann er 14 Tage das Haus nicht verlassen, sonst kann das 15.000 Euro kosten und die haben wir nicht. Und die Tochter wollte sich mit ihrem Freund treffen. Sie wollte das absagen, um mich zu fahren. Aber ich wollte lieber allein fahren. 

Im Krankenhaus wurde ich dann erstmal durch die Coronaroutine geschoben, kam aber sehr schnell in einen Behandlungsraum und ehe ich noch "Achja" sagen konnte, steckte mir die Tetanusimpfung im Arm und eine Ärztin am Schenkel, die mir erklärte, Hundebisse seien eine miese Sache, da müsse man aufschneiden und bluten lassen, um die Keime rauszuspülen und alles andere abkratzen, und Betäuben ginge nicht, weil man auf keinen Fall Keime in tieferes Gewebe verbringen wolle. So arbeitete sie sich an meinem Oberschenkel mit dem Skalpell ab, während ich leise Lieder sang, weil ich damit Schmerz am besten ertragen kann, was ich erst kürzlich beim Tattoostechen herausgefunden hatte. Danach gab es noch einen hübschen Betaisodona-Verband und schon durfte ich wieder abhumpeln. 

Seitdem schlucke ich 2x täglich backsteingroße Tabletten, um Bakterien zu vernichten und schaue unter den Verband, ob alles ruhig ist. Was so ist. Keine starke Rötung, kein Eiter. 

Wie es jetzt weitergeht, möchtest Du wissen? Mein Mantra im Moment: "Ich hab doch keine Ahnung." Ich werde die Hundebesitzer nicht anzeigen. Ich habe mich mit der Hundebesitzerin geeinigt, dass wir das untereinander regeln und ich ihr eine Rechnung schreibe. Und beim Mann? "Ich habe doch keine Ahnung." und abwarten. 

Du siehst, mein Leben kann man sich nicht ausdenken. Wirkt irgendwie unglaubwürdig. Aber wenn jetzt noch Corona ins Haus kommt, dann kündige ich. 

Liebste Grüße,

Deine Lavendel

P.S.: Der selbe Hund hat vor 2 Jahren den treulosen Ehemann ins Bein gebissen. War aber nur halb so schlimm. Was sagt uns das? Vielleicht kann der uns nicht leiden, weil wir dem fies riechen. 

P.P.S.: Geht nihilistisch sein auch ohne zu rauchen? Oder muss ich damit wieder anfangen?


2 Kommentare:

  1. Liebe Lavendel,

    oh Man(n) :-( Humor und eine bestimmte Art, das Leben zu betrachten rettet einen noch am besten über traurige Zeiten hinweg... glaube/hoffe ich. Ich drücke die Daumen, dass es Ihnen bald besser geht! Und ja, ich glaube nihilistisch sein geht auch ohne zu rauchen ;-)

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