Sonntag, 26. Juli 2020

Im Reisefieber

Liebe Lavendel,

wenn Marmelade Zukunftsangst lindert, dann schick mir mal ein paar Kilo rüber. Oder du bringst sie mir persönlich, das wäre sehr nett. Dann könntest du mir auch persönlich Mut zusprechen und ich dir. Und bekochen könntest du mich auch - ich schätze es außerordentlich, wenn ich gefüttert werde. Ich würde dich pausenlos lobpreisen.

Nachdem ich heute gelesen habe, dass am Nordpol 21 Grad sind und in Sibirien 38 Grad bin ich wieder bänglich und mutlos geworden, muss ich zugeben. Gerade schüttet es draußen ohne Ende und natürlich begrüße auch ich jeden Regentropfen, als wäre er der Heiland persönlich. Jeder Regentag hilft, bilde ich mir ein. 

Deine Baumtrauer ist berechtigt, leider, wie gerne würde ich denken: die spinnt doch, die Lavendel, das stimmt doch alles gar nicht, jetzt schreibt die hier Fake News in unser neues Blog - aber meine guten Beziehungen zu einem Förster im Brandenburgischen bestätigen das alles und wäre in diesem Jahr der dritte Dürresommer in Folge gewesen, dann läge die Versteppung nur noch einen Wimpernschlag entfernt. Was sie ohnehin tut, dieser Sommer wird nur der Tropfen auf dem heißen Stein sein. Ja, meine Liebe, es ist furchteinflößend. In meinem Wald vor der Tür sieht noch alles tippetoppe aus, aber es ist ja auch kein richtiger Wald sondern ein kleines Wäldchen, ein Mischwäldchen, aber der Förster hat bei der Begutachtung gesagt "Dieser Wald kriegt 90 von 100 Punkten". Wenn du mir die Marmelade bringst, zeige ich ihn dir gerne. Deinem Hund wird's hier auch gefallen.



Der hier schon
Sieht auch nicht mehr ganz gesund aus





















Am Dienstag musst du ganz fest an mich denken, denn dann bin ich in Wien und es werden 34 Grad sein. Ich besuche eine Freundin und fahre sehr luxuriös mit dem Nachtzug hin und zurück. Kaum hatte ich meine Tickets gebucht, kam zwei Tage später die Meldung, dass sich in Österreich die Fallzahlen wieder dramatisch erhöhen und ich fragte mich, welcher Teufel mich geritten hat, ins Ausland zu reisen, wo ich doch seit Jahr und Tag nur an Ost- und Nordsee zu finden bin? Warum ausgerechnet jetzt so abenteuerlich - ist meine Hypochondrie am Ende nur verklausulierte Todessehnsucht?

Eine Woche war ich bei meiner Mutter - dank Corona habe ich feststellen dürfen, dass es sehr lauschig bei ihr im Garten ist, wenn ich nicht nur ein Wochenende dort bin, sondern mal alle Zeit der Welt habe, alte Freunde und erste Lieben zu treffen. Der schöne See hat jetzt sogar ein Strand Café, wie bei uns in Berlin, chillig und unaufgeregt, Elevator-Musik und Sonnenuntergang inklusive.

Als ich später an dem Hochhaus vorbeifuhr, in dem ich als kleines Kind gewohnt habe (in meinern Zehnern, sozusagen), saßen in der Abendsonne mindestens 3 Kinder und vier Erwachsene auf dem Balkon im 6. Stock, es war ein munteres Treiben und ich konnte sie gut verstehen, denn ich weiß ja, wie schön es dort oben ist. Beinah wäre ich ausgestiegen und hätte hochgerufen, ob ich mal kurz nach oben kommen darf.

Kaum in Berlin angekommen, ging's gleich wieder zur Sache. Wir haben in Steglitz einen großen Laden für Bastelbedarf und mein Host in Wien hat sich als Mitbringsel tatsächlich eine Stoffschere gewünscht, naja, des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

An der Kasse jedenfalls beschimpft die Kassiererin eine Kundin dergestalt, dass ich mich einmischte und ihr wenig professionelles Gebaren beklagte. Die Hölle brach nun erst recht los, sie lasse sich nicht fertig machen, worauf ein anderer Kunde meint "Sie machen doch die Leute fertig und nicht umgekehrt", worauf sie ihn anbrüllte, er solle verschwinden und sich nicht in "Gespräche" einmischen, die ihn nichts angingen, sie kreiste komplett aus - ein Tumult, wie ich ihn noch nie erlebt habe mit einer Verkäuferin - aber das für mich Erstaunlichste war: niemand ihrer Kollegen griff ein, kein Vorgesetzter kam angerannt - obwohl die allgemeine Brüllerei eigentlich schon einen Polizeieinsatz hätte berechtigt erscheinen lassen. Wer mag, kann das auch positiv verstehen, als typische Berliner Lässigkeit oder so. Jedenfalls wusste ich, dass ich wieder zuhause bin.

Ich freue mich, dass du deine Zuhause-Ferien genießt. Mach nur weiter so, verreisen wird überschätzt. Lieber Regentänze lernen.

Liebste Urlaubsgrüße zurück
Deine Annika

2 Kommentare:

  1. Da besprecht Ihr die heikelsten Themen des Weltgeschehens; Beschreibt mit Hingabe sowie tiefster Offenheit eure diversen korrelierenden inneren Pulverfässer, und legt es dann mit Humor und Kurzweil der Welt zu Füßen.
    Lasst euch von mir einmal vollkommen unsubtil sagen, wie schön das ist!

    Euch beiden das Beste!
    Auf dass die Marmeladentherapie uns alle rettet!

    AntwortenLöschen
  2. Oh! Wie freundlich. Danke schön.
    Annika

    AntwortenLöschen