Samstag, 27. Juni 2020

Vom Streichen und Geflügel

Liebste Annika,

Ganz sicher hast du Dich schon gewundert, in welchem Loch ich verschwunden bin. So ewig, wie ich mich nicht gemeldet habe. Aber ich sage Dir, ich habe die Woche des Grauens hinter mir. 
Der ältere von den Söhnen ist umgezogen. Und hatte das wunderbare Glück, sowohl bei Auszug aus der alten Wohnung als auch bei Einzug in der neuen Wohnung zu renovieren. Da er es nicht schaffte, einen Spagat über 109 Kilometer hinzubekommen, bin ich in meiner Eigenschaft als IchKümmerMichUmAllesHansel in die Bresche gesprungen und habe im Schweiße meines Angesichts, und Du darfst das ruhig wörtlich nehmen bei den Temperaturen, die alte Bude geschrubbt, gestrichen, aufgepluscht. Nicht ganz uneigennützig, habe ich doch ein großes Interesse an der Kautionsrückzahlung, da diese sofort in meinem Portemonnaie verschwinden wird. 
In der neuen Wohnung mussten lila und braune Wände geweißelt werden, da hatte ich mit weiß auf weiß eindeutig den leichteren Job. 
Gut, es gab einige innerfamiliäre Verwerfungen bezüglich der Mithilfe anderer Familienmitglieder. Da ließ das Engagement eindeutig zu wünschen übrig. So sehr, dass ich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit dem Vater des Sohnes eine sehr klare Ansage machen musste. Denn immerhin bin ich, wie Du ja weißt, ein Mensch mit Rücken und anderen Gebrechen, weshalb ich auf meine Belastungsgrenzen achten sollte. Was ich aber manchmal nicht tue. Diese Woche jedenfalls nicht. 
Integraler Bestandteil der Ansage war, sich eine Brechstange zu nehmen und das olle Laminat aus der Wohnung zu entfernen. Dann lief es. Männer brauchen immer einen ganz klaren und detaillierten Arbeitsauftrag. Sonst läuft nix. Meine Einwürfe bezüglich Verantwortungsgefühl, Einsatz, Kümmern ohne Auftrag, aus sich selbst heraus, wurden mit gerunzelter Stirn und leicht wippendem Kopp angehört. 

Hätte ich Gedanken lesen können, wer weiß, was ich dann gehört hätte. 
„Ochnäää, die schon wieder. Meckermaulmosermotz. Ich muss noch Gitarre spielen. Oh, hätte gerade so Bock auf ein Bier. Hm, ich glaube die Platte hab ich schon lange nicht mehr gehört. Und die auch nicht. Ich könnte mal wieder zum Frisör. Was hat sie gesagt? Oh verdammt, jetzt guckt sie wieder so. Ich muss was sagen. Was sag ich nur? Erst mal tief atmen und den Kopf ein bisschen bewegen. Jetzt so tun als ob…!“
So etwas in der Art? Wer weiß.
Heute war dann Möbelverschiffen angesagt. Früh stand ich vor der Autovermietung, um einen Wagen in entsprechender Größe zu besorgen. In Coronazeiten dauerts. Immer nur einer durfte rein und es saß auch nur ein Mitarbeiter in dem Laden. Vor der Tür standen aber an die 25 Leute, die ihre Karren abholen wollten. War ich froh, dass ich an sechster Stelle war. So dauerte es nur eine dreiviertel Stunde, bis ich die Kiste in Empfang nehmen konnte. 

Dann hin und her, Möbel schleppen, Trepp auf und ab. Und ich feuerte die Familie an. Denn ich hatte kein Bedürfnis, mich noch weiter zu zerstören. Ich bin doch nicht die CDU. Nichts habe ich geschleppt. Gar nichts. Fast. Aber an einer Holzlatte hebt man sich keinen Bruch. Und an einem Kissen auch nicht. Schon gar nicht, wenn man es einfach nur aus dem Fenster wirft. 
Nun ist aber alles erledigt und ich sehe ruhigeren Zeiten entgegen, ich naives Huhn. Am Horizont schwebt schon der nächste Umzug heran. Meine Schwester hat sich ein hübsches Paket Arbeit gekauft. Da werde ich sicher den Pinsel noch einmal in die Hand nehmen. 

Die neue Heimat des Burschen ist beschaulich und ruhig. Ich bin gespannt, wie es ihm auf Dauer gefällt. Wir sind nach getaner Arbeit noch an einen See gefahren, um dort ein Eis am Ufer zu schlecken. Das war familiäre Idylle pur. Der See war bevölkert von Wassergevögel, welches rund um den See alles zukackte. Kanadagänse kacken ja Haufen wie die ganz Großen. Auch die Enten hatten einiges zu bieten in Sachen Exkremente. Über dem See schwebte in perfekter Architektur eine Autobahnbrücke. Und am anderen Seeufer erblickte man eine hübsche Auswahl an Plattenbauten. Aber mit viel Wald drumherum. 
Der Vater der Kinder hatte einen Malagabecher. Finde ich grundsätzlich eklig aber nicht bedenklich. Normalerweise. Aber dieser Malagabecher war von einer Hundertschaft Rumrosinen überrannt worden. Ich sehe darin auch den Grund, warum er jetzt schon schläft. 
Das Bällchen Gummibärcheneis, für das sich der Mittelsohn entschied, war eine Ausgeburt der Hölle aber von wunderhübscher Farbe. Trotz dieser Umstände, aber vielleicht auch gerade deshalb, war es eines der schönsten Familienerlebnisse seit langem. Es gab viel zu lachen. 

Nur der Hund tat mir leid. Der war acht Stunden allein zu Hause. Und als wir wieder zuhause ankamen, geriet er aus dem Häuschen vor Freude. Wie lieb auch, dass er nirgendwo hingepieselt hat. Braves Tierchen. Der netteste Hund der Welt. So anders als die anderen Kläfftölen um uns herum. 

Ich mache jetzt die Augen zu. Denn meine Lider sind ganz schwer und schlapp. Und die Buchstaben hüpfen so seltsam herum. Schnell noch die Zahnbürste durch den Mund ziehen und dann erschöpft zusammenbrechen. 
Ich habe keinen Ventilator. Das Gebrumm würde mich irre machen. Aber danke für das Angebot. 


Gute Nacht. Deine Lavendel.

P.S.: Ich habe einen neuen Namen verliehen bekommen. Weil ich den großen Wagen fuhr (weil ich es einfach am Besten kann, das Autofahren, Du weißt ja, fast so gut wie Du), nannten sie mich Truckerin Sändy. Aber die Truckern Sändy hatte beim Fahren in der großen Stadt durchaus Schweißflecke unter dem Arm. Alles so eng, in der Stadt.


1 Kommentar:

  1. Sehr beruhigend, das mit dem Pinsel in die Hand nehmen. Brechstange wär hier und da aber auch gut. Und ein bißchen Agility mit dem Hund in spe! Machste, ne?

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