Sonntag, 1. November 2020

Die Geliebte - eine kleine Abhandlung

LiebeTwiggy,

vor ein paar Jahren war Reiner Brüderle auf einer Veranstaltung und ich auch. Es ging um Stuttgart 21. Er sagte selbstkritisch über die vielen Demos: "Wenn die Hausfrau wütend im Baum hängt, haben wir was falsch gemacht."

Das sollte sich der Abspenstige mal zu Herzen nehmen. Wenn Du in der Regenrinne hängst, hauchdünn in schwarz gewandet und frisch tätowiert, dann ist was schief gelaufen. Schweres Herzeleid verleitet zu aberwitzigen Kompensationshandlungen und auch wenn ich deine Therapeutin für bekloppt halte, dir suizidale Gedanken zu unterstellen, gebe ich ihr recht, dass derlei Turnübungen bis auf weiteres besser zu unterlassen sind. 

Hömma, das mit dem tätowieren, ist das sowas wie ritzen für Erwachsene? Das muss doch schweineweh tun. Oder erfüllst du dir damit einen Lebenstraum? Also, wenn du jetzt auf Schmerzen stehst, geh lieber reiten. Da tut dir hinterher ALLES weh. 

Wie sieht es denn aus an der Heimatfront? Ist er noch zugegen oder ist er hinfort, weil er "das jetzt leben muss"? 

Leider, meine Liebe, unter zwei Jahren kommt man aus so einem Super-GAU nicht raus. Bis dahin wird fleißig die Vergangenheit idealisiert, ach was sage ich, der ganze Mann wird zum Helden, auf den nicht verzichtet werden kann, ohne den das Leben keinen Sinn mehr macht, man fühlt sich halbiert und das tut mehr weh, als sich ein Tattoo stechen zu lassen. Wie ein waidwund geschossenes Reh schaut man in die Welt, man erweicht Steine, nur nicht das Gesponst, das sich vor deinem Kummer nur schnell in Sicherheit bringen muss, bei seiner Brotspinne, die dumm genug ist, sich ihr Glück auf dem Unglück einer zerbrochenen Familie aufzubauen gedenkt. 

Mir selbst machte mal ein verheirateter Mann Avancen, über Monate, völlig sinnlos, ich ließ mich auf nix ein, und der Höhepunkt war, dass er mir auf einer Silvesterparty ins Ohr raunte, ob ich jetzt, auf der Stelle, mit ihm gehen würde. Seine Frau und sein Kind waren auch anwesend. Ich schaute ihn entgeistert an und fragte, ob er noch ganz bei Trost sei und ob er ernsthaft seinem Kind und seiner Frau so einen Scheiß in die Vita schreiben möchte? 

Die Sache ist doch die: wenn dein Mann sich verliebt hätte und sofort gegangen wäre, ohne monatelang zu "testen", ob da was "Haltbares mit Zukunft" bei rumkommt, dann hätte er sogar meinen Respekt. Sowas passiert, man verliebt sich nicht, weil man jmd. damit weh tun will.

Aber monatelang lügen, tricksen, etc. - das ist doch wirklich nichts, womit sich die Beiden auszeichnen. Dumm genug von ihr, sich von Anfang an in die zweite Reihe zu stellen. Schön blöd. Und dann muss ihr doch klar sein: So wie der jetzt seine Frau bescheißt, um bei ihr zu sein... das wird er eines Tages auch mit ihr machen. Die sieht in ihre Zukunft. Sie weiß, wie er's regelt, was er erfindet. 

Bestell dir Blusen, Hosen, Schrankwände, meine Liebe.
Gekraxel in luftigen Höhen? Lass mal.  

Deine Annika aus dem Hotspot


8 Kommentare:

  1. (Ich möchte mich ja nicht groß einmischen, aber manchmal kommt man auch mit einem Jahr davon.)

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    1. Aber nicht nach 30 Jahren...

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    2. 33. Es sind 33. Es sind 33 Jahre. Ich war 18. Kleine, junge, zarte 18.

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  2. Liebe Annika, als selbst tätowierte kann ich dir sagen, in nahezu jedem von uns steckt ein kleiner masochist, manchmal. Da ist so ein bißchen schmerz ganz okay, es ist ein anderer als Liebeskummer, denn schmerzen beim tätowieren oder piercen haben ein (hoffentlich) ansehnliches Endresultat. Nicht zu vergleichen mit einem Zahnarztbesuch, der auch oft von Schmerzen begleitet ist. Da will man nur noch weg....und ob der Zahn jetzt schöner aussieht, wer weiß das schon. Aber so ein Bild auf der Haut, das schmückt, da erfreut man sich dran und man vergisst auch das Aua davor. Nicht genauso aber ähnlich wie bei der Geburt der Nachkömmlinge. Die bringt man immer unter Schmerz auf die Welt und trotzdem gibt es keine 1-Kind-Familien zu Hauf. Weil man sich (anfangs) an der eigenen Brut erfreut..ich schwof ab....
    manchmal passt einfach ein bißchen schmerz. Als ich mal ganz viel davon fühlen wollte, weil ich innen so viel fühlte, da hab ich mich auch piercen lassen. Das würde ich nie wieder tun. Das Ergebnis gefällt mir auch noch immer aber ich hätte jetzt gar nicht mehr den Mut oder das Verlangen dazu. Alles hat seine Zeit, das schwarz, das schlank, das wehtunwollenmitabsicht und das freuen und die erkenntnis, dass es irgendwann sehr wohl wieder tage gibt an denen man abends merkt: huch, gar nicht an den ex gedacht und gelacht und freude gespürt und alles!

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    1. Liebe Hedi, ich kompensiere wohl eher mit Schokolade...

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    2. Ich kompensiere gar nicht, ich häng mich immer voll rein. Auch gerne mal länger, als die Beziehung überhaupt gedauert hat. ;))) Es ist also eine von mir gut verifizierte Fehlannahme, dass es dadurch schneller geht das Tal der Tränen zu durchqueren. Alles ist gut, was dabei hilft, insbesondere Tätowierungen. ;)

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    3. Meine Lieben, ich wäre eher dafür, den Abpenstigen tätowieren zu lassen von einem unbegabten und unempathischen Tätowierer, damit IHM alles weh tut.

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    4. Der Abspenstige ist tätowiert. Und was soll ich sagen, das Tattoo sah vor 30 Jahren vielleicht mal gut aus. Heute ist es ein Flatschen. Ein Kuhfladen auf der Schulter. Ich gönne es ihm. Vor einem Cover hat er viel zu viel Angst. Pfff.

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